Ukraine: Separatisten drohen der Kiewer Regierung

Wjatscheslaw Ponomarjow

Wjatscheslaw Ponomarjow, selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk. 

Kiew – Eineinhalb Wochen vor der ukrainischen Präsidentenwahl verschärfen die Separatisten aus dem Osten des Landes den Ton. Vertreter der Aktivisten forderten die Kiewer Übergangsregierung ultimativ zum Abzug ihrer Truppen auf. Die prorussischen Kräfte drohten mit einer Offensive, sollten sich die Sicherheitskräfte nicht zurückziehen. Die Regierung gibt sich unbeeindruckt. Ungeachtet der jüngsten Friedensgespräche bei einem Runden Tisch in Kiew lieferten sich Regierungskräfte und Separatisten erneut Gefechte. Die OSZE geht dennoch von einer freien und fairen Wahl am 25. Mai aus.

In der slowakischen Hauptstadt Bratislava wollte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen mit Vertretern von Nachbarländern über die Lage in der Ex-Sowjetrepublik beraten. Die Krise ist auch Thema eines Treffens der Aussenminister der USA, Grossbritanniens, Frankreichs und Deutschlands in London. Dort fand eine Konferenz der sogenannten Kerngruppe der «Freunde Syriens» statt. In Kiew war das erste Treffen des Runden Tisches zur Krisenbewältigung vertagt worden.

Aktivisten drohen mit «Offensive»
Der Chef der moskautreuen «Selbstverteidigungskräfte» im Gebiet Donezk gab der Regierung Zeit bis Donnerstagabend 20.00 Uhr (MESZ) zum Rückzug. «Sollten die Truppen nicht herausgeführt werden, können unsere Militärs sie dazu zwingen», sagte Miroslaw Rudenko. Der selbsternannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, warnte Kiew, sollten sich die Einheiten nicht binnen 24 Stunden zurückziehen, würden die Aktivisten «in die Offensive übergehen». Offen blieb, wann dieses Ultimatum abläuft. Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow wies die Drohungen zurück: «Die Operation läuft, bis die Kämpfer die Waffen gestreckt haben.»

Schauplätze der neuerlichen Kämpfe waren Medienberichten zufolge die Separatisten-Hochburgen Slawjansk und Kramatorsk. Wie ukrainische Medien berichteten, nahmen Spezialeinheiten in den Vororten beider Grossstädte Stellungen der Aktivisten unter Beschuss. Dem Verteidigungsministerium in Kiew zufolge besetzten Soldaten dabei einen Fernsehturm. Turtschinow sprach von einem «bedeutenden Erfolg im Anti-Terror-Kampf».

EU-Spitzenkandidaten für harten Kurs gegenüber Putin
Die Spitzenkandidaten der europäischen Parteien für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten sind mehrheitlich für einen harten Kurs gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin. «Wir müssen sehr ernsthafte persönliche Sanktionen gegen die Leute um Putin verhängen», sagte der Kandidat der Liberalen, Guy Verhofstadt, am späten Donnerstagabend bei einer Eurovisionsdebatte im Brüsseler Europaparlament. Martin Schulz, der für die europäischen Sozialdemokraten antritt, sagte: «Falls es nötig ist, sollten harte Sanktionen beschlossen und umgesetzt werden.»

Für einen ähnlichen Kurs in der Ukraine-Krise sprach sich der Luxemburger Ex-Premier Jean-Claude Juncker aus, der für die Konservativen antritt. Im Falle einer Verschärfung der Strafmassnahmen sollten zunächst die Finanzströme zwischen Russland und europäischen Finanzzentren ins Visier genommen werden. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Ska Keller, forderte, Waffenausfuhren von Europa nach Russland zu stoppen: «Das muss dringend aufhören.»

Der Kandidat der europäischen Linken, Alexis Tsipras, warnte vor einer Eskalation. «Europa nutzt wieder das Vokabular des Kalten Krieges (…), und das ist der falsche Weg», sagte der Chef der griechischen Oppositionspartei Syriza. «Ich glaube, dass die Wunden, die Europa geteilt haben, nicht mit Sanktionen geheilt werden können.» In der Ukraine dürften keine «Faschisten» zum Zuge kommen, so der Grieche.

Moskau: Wissen nichts von Beitrittswunsch 
Die prorussischen Separatisten hatten sich nach einem illegalen und international nicht anerkannten Referendum von der Ukraine losgesagt und ihre selbst ernannten «Volksrepubliken» Donezk und Lugansk für unabhängig erklärt. Ein Sprecher des Aussenministeriums in Moskau gab an, er wisse nichts von einem Beitrittswunsch der Regionen zu Russland nach dem Vorbild der Krim.

Seit Mitte April gehen Truppen der Regierung in einem sogenannten «Anti-Terror-Einsatz» gegen die zum Grossteil bewaffneten Kräfte vor, die in der Region Dutzende Verwaltungsgebäude besetzen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew räumte ein, die Zentralmacht habe die Kontrolle über zahlreiche Behörden in der Ostukraine verloren. Dies habe etwa dazu geführt, dass «verantwortungslose» Regierungsmitarbeiter den Separatisten Zugang zu Munitionsdepots verschafft hätten. «Wir gehen davon aus, dass die Terroristen bisher etwa 2000 Waffen erbeutet haben», sagte Sprecher Nikolai Goschowski.

Runder Tisch vertagt
Um die Lage vor der Präsidentenwahl am 25. Mai zu beruhigen, initiierte die Kiewer Regierung einen «Runden Tisch zur nationalen Einheit». Dessen Teilnehmer, darunter Kirchenvertreter sowie Abgeordnete hatten sich aber am Mittwoch nach etwa zweieinhalb Stunden vertagt. Die Separatisten waren nicht eingeladen.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gab sich trotz der unruhigen Lage optimistisch. «Ich rechne damit, dass freie und faire Wahlen möglich sein werden», sagte der Chef der Beobachtermission in dem Land, Ertugrul Apakan, in Wien. Die Behörden täten derzeit alles, um die Sicherheit der Bürger zu garantieren.

Das Parlament in Kiew stimmte einem Gesetz zu, das die Präsidentenwahl «trotz Kampfhandlungen im Osten des Landes» erlaubt. Demnach können zur Organisation der Wahl, etwa zum Transport von Stimmzetteln, auch bewaffnete Sicherheitskräfte eingesetzt werden.

Entscheidende Wahl
Die Wahl gilt als entscheidend für die Zukunft des Landes. Kiew befürchtet, dass Russlands Präsident Wladimir Putin wegen der Auseinandersetzungen Truppen in die Ost- und Südukraine schicken könnte – mit dem Argument, wie auf der Krim russische Bürger oder Interessen schützen zu müssen.

Die Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel und die Entwicklungen in der Ostukraine haben auch in Polen und anderen Nachbarländern der Ukraine mit russischstämmigen Minderheiten alte Ängste vor russischer Hegemonie geweckt. Nato-Generalsekretär Fogh Rasmussen wollte am Donnerstag Gespräche über die Situation in der Ukraine mit den Regierungschefs von Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Polen führen. Polen, Ungarn und die Slowakei grenzen an die Ukraine.

Putin bekräftigte derweil, Russland werde der Ukraine wegen seiner noch immer steigenden Schulden von Juni an Gas nur noch gegen Vorkasse liefern. Die EU rief in einem Brief er zu mehr Engagement in diesem Streit auf. (awp/mc/ps)

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