Warschau – US-Präsident Joe Biden hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin bei seinem Besuch in Polen erneut einen «Kriegsverbrecher» genannt. Die Verwüstung in der Ukraine gehe «von einem Mann aus, den ich, offen gesagt, für einen Kriegsverbrecher halte», sagte Biden am Freitag im polnischen Rzeszow etwa 90 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. «Und ich denke, das wird auch der rechtlichen Definition entsprechen», fügte er hinzu.
Biden hatte Putin bereits in der Vergangenheit als Kriegsverbrecher bezeichnet. Das Weisse Haus hatte daraufhin betont, dass der US-Präsident aus seinem Herzen gesprochen habe.
«Man kann den Schmerz in ihren Augen sehen»
Biden informierte sich in Rzeszow gemeinsam mit dem polnischen Staatsoberhaupt Andrzej Duda über den humanitären Einsatz zur Versorgung der Geflüchteten aus der Ukraine. «Ich meine, es ist einfach erschütternd, diese kleinen Babys oder Kinder zu sehen, wie sie ihre Mütter ansehen», sagte Biden weiter. Man müsse nicht ihre Sprache spreche, man könne den Schmerz in ihren Augen sehen. «Ich glaube, dass niemand von uns jemals in seinem Leben diese Geschwindigkeit und das Ausmass dieser Zerstörung erlebt hat», sagte Samantha Power, die Chefin der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit und Nothilfe. «Vieles von dem, was wir bis jetzt gesehen haben, war unvorstellbar.»
Biden hatte zuvor US-Truppen in Rzeszow besucht. Am Abend reist Bdien nach Warschau weiter. Für Samstagnachmittag ist eine Rede des US-Präsidenten auf dem Warschauer Schlossplatz geplant. Auch weitere Treffen mit politischen Führungspersönlichkeiten Polens sind geplant.
Ukrainer sehen Rückzug russischer Truppen
Aus der Ukraine wurden auch in der Nacht zum Freitag heftige Kämpfe gemeldet. Im Nordosten zogen sich nach Angaben des ukrainischen Generalstabs aber einige russische Verbände hinter die Grenze zurück. Sie hätten hohe Verluste erlitten, teilweise mehr als die Hälfte ihrer Kräfte, hiess es. Die Angaben aus dem Kriegsgebiet waren nicht unabhängig überprüfbar. Allerdings bestätigten in den vergangenen Tagen auch US-amerikanische und britische Quellen, dass ukrainische Kräfte östlich und nordwestlich der Hauptstadt Kiew erfolgreiche Gegenangriffe unternommen haben. Die westlichen Militärmächte beobachten das Geschehen mit Satelliten.
Trotzdem blockierten russische Truppen im Nordosten weiter die zweitgrösste ukrainische Stadt Charkiw und das Regionalzentrum Sumy. Bei Isjum im Gebiet Charkiw bereiteten sich russische Truppen auf eine neue Offensive vor, teilte der Generalstab in Kiew mit.
Erste Angriffe auf Dnipro und Umgebung
Ukrainischen Angaben nach feuerten russische Kräfte in der Nacht zweimal Raketen auf eine Militäreinheit nahe der Stadt Dnipro ab. Die Kasernen seien dabei erheblich beschädigt worden, teilte die regionale Militärverwaltung auf Facebook mit. Dnipro liegt im Zentrum der Ukraine und ist bislang von Angriffen weitgehend verschont geblieben. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, ein ukrainisches Treibstofflager bei dem Dorf Kalyinwka nahe Kiew sei mit Marschflugkörpern des Typs Kalibr zerstört worden.
Zivilisten sollen aus Mariupol evakuiert werden
Für die Evakuierung von Zivilisten aus der von russischen Truppen belagerten Hafenstadt Mariupol standen am Freitag 48 Busse im nahe gelegenen Berdjansk bereit. Ukrainischen Angaben zufolge war für die weitere Flucht mit der russischen Seite ein Korridor bis in die Grossstadt Saporischschja vereinbart.
EU-Geld für die Ukraine
Die EU beschloss auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel, zur finanziellen Unterstützung der Ukraine einen Solidaritätsfonds einzurichten. Durch den russischen Angriffskrieg erleide die Ukraine enorme Zerstörungen und Verluste, hiess es am Freitag in einer Erklärung. Dem Land solle geholfen werden bei laufenden Ausgaben, aber auch «nach Beendigung des russischen Angriffs beim Wiederaufbau einer demokratischen Ukraine». Wie zuvor die USA erhob auch die EU offiziell gegen Russland den Vorwurf, in der Ukraine Kriegsverbrechen zu begehen.
Selenskyj dankte in einer nächtlichen Videobotschaft den Bürgerinnen und Bürgern für ihren Widerstand. Seit dem 24. Februar hätten die ukrainischen Verteidiger den Feind überall aufgehalten, sagte er. Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die alles für den Sieg der Ukraine und den Frieden täten, hätten Orden verdient.
Seit Kriegsbeginn 135 Kinder getötet
Am Freitag berichtete die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seien bereits 135 Kinder getötet worden. Mehr als 180 Kinder seien verletzt worden. Die meisten Kinder und Jugendlichen seien in der Region Kiew sowie in den ostukrainischen Regionen Charkiw und Donezk ums Leben gekommen.
Trotz eindringlicher Appelle Selenskyjs lehnten es die 30 Nato-Staaten bei ihrem Sondergipfel am Donnerstag ab, Panzer oder Flugzeuge an die Ukraine zu liefern. «Es gibt eine Grenze, die darin besteht, nicht Kriegspartei zu werden», sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. Die Nato will die Ukraine aber weiter mit Boden-Luft-Raketen und Panzerabwehrwaffen versorgen. (awp/mc/pg)