Weiteres Atom-Problem in Ukraine – AKW Tschernobyl ohne Strom

Weiteres Atom-Problem in Ukraine – AKW Tschernobyl ohne Strom
Das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl mit dem Sarkophag (links) über dem ehemaligen Reaktor 4.

Kiew – Das von russischen Einheiten besetzte ukrainische Atomkraftwerk Tschernobyl ist von der Stromversorgung abgeschnitten. Stromleitungen seien durch Beschuss beschädigt worden, teilte der ukrainische Netzbetreiber Ukrenerho am Mittwoch mit. Kampfhandlungen nördlich von Kiew verhinderten aktuell jegliche Reparaturarbeiten. Während der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba vor einem möglichen Atomunfall warnte, bahnt sich aus Sicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien kein kritisches Problem an. Dennoch reiht sich der Stromausfall in eine Liste von fast täglichen Zwischenfällen in ukrainischen Atomanlagen ein, die vom Einmarsch russischer Truppen betroffen sind.

In Tschernobyl kam es 1986 zu einem verheerenden Atomunfall. Noch heute werden dort radioaktive Abfälle gelagert. Die abgebrannten Brennelemente seien jedoch in ausreichend grossen Kühlbecken, die auch ohne Elektrizität genug Wärme ableiten würden, erklärte die IAEA via Twitter. Die Stromversorgung sei zwar grundsätzlich ein wesentlicher Sicherheitsfaktor für Nukleareinrichtungen. «In diesem Fall sieht die IAEA keine kritische Auswirkung auf die Sicherheit.»

Aussenminister Kuleba hatte zuvor gewarnt, dass Dieselgeneratoren den Stromausfall nur 48 Stunden lang ausgleichen könnten. «Danach werden die Kühlsysteme des Lagers für abgebrannten Kernbrennstoff abgeschaltet, wodurch Strahlungslecks unmittelbar bevorstehen», schrieb er auf Twitter. «(Kremlchef Wladimir) Putins Krieg bringt ganz Europa in Gefahr.»

Über 200 Mitarbeitende seit zwei Wochen ununterbrochen im Dienst
Die gekappte Stromleitung ist nur eines von vielen Problemen im AKW Tschernobyl, dass unter russischer Kontrolle zunehmend von der Aussenwelt abgeschnitten ist. Der IAEA zufolge sind 210 Techniker und lokale Sicherheitsmitarbeiter seit fast zwei Wochen ununterbrochen im Dienst, weil es unter russischer Kontrolle keinen Schichtwechsel mehr gegeben habe. Sie hätten zwar Wasser und Nahrung, aber ihre Lage verschlechtere sich. Ausserdem habe die IAEA keine Verbindung mehr zu ihren Überwachungsgeräten, die sicherstellen, dass jegliches Nuklearmaterial an seinem Platz ist.

Trotz der differenzierten Lagebeurteilung der IAEA ist die Wiener Atombehörde durchaus beunruhigt über die Situation in der Ukraine, wo abseits von Tschernobyl 15 Atomreaktoren zur Stromgewinnung, drei Forschungsreaktoren und weitere Nuklearanlagen stehen. Im AKW Saporischschja brannte in den vergangenen Tagen laut ukrainischen Angaben ein Ausbildungsgebäude unweit eines Reaktors, nachdem es beschossen wurde. Zudem ist es seit Beginn der Invasion in Lagerstätten und Forschungseinrichtungen mit Beständen von Nuklearmaterial zu Beschädigungen gekommen.

Bei diesen Zwischenfällen wurde keine radioaktive Strahlung freigesetzt. IAEA-Chef Rafael Grossi drängt jedoch seit Tagen auf rasche Verhandlungen mit ukrainischen und russischen Vertretern, um Garantien für Atomanlagen auszuarbeiten und schwerere Unfälle zu vermeiden. Grossi liess am Montag bei einer Pressekonferenz durchklingen, dass die Gespräche unter anderem deshalb noch nicht zustande gekommen seien, weil eine oder beide Seiten für das Treffen eine breitere politische Agenda vorgeschlagen habe, statt sich auf technische Sicherheitsfragen zu beschränken. (awp/mc/ps)

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