Kiew / New York – Kurz vor dem Jahrestag des Überfalls russischer Truppen auf die Ukraine hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Ausweitung des Konfliktes und dem Einsatz von Atomwaffen gewarnt. Unterdessen warf Russlands UN-Botschafter Deutschland und dem Westen im Ukraine-Konflikt ähnliche Motive wie im Zweiten Weltkrieg vor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verabschiedete einen Jahrgang junger Offiziere zum Abschluss ihrer Ausbildung in den Krieg. Zum Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine soll die UN-Vollversammlung am Donnerstag eine Resolution mit der Forderung nach Frieden und dem Rückzug Moskaus beschliessen. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Krieg am 24. Februar 2022 begonnen.
UN-Vollversammlung stimmt über Ukraine-Resolution ab
Vor dem Abflug zu der Sitzung der UN-Vollversammlung warb Aussenministerin Annalena Baerbock am Donnerstag um Zustimmung zu der von mehr als 50 Staaten eingebrachten Resolution der Vereinten Nationen für ein Ende des russischen Angriffskriegs. «Der Friedensplan liegt in New York auf dem Tisch, es ist die Charta der Vereinten Nationen», sagte die Grünen-Politikerin. Baerbock will am späten Nachmittag deutscher Zeit vor der Generalversammlung in New York eine Rede halten. Die Abstimmung über die Resolution ist für den späten Abend (MEZ) nach Dutzenden Reden hochrangiger Sprecherinnen und Sprecher geplant.
Guterres warnt vor Atomwaffen
«Im vergangenen Jahr haben wir nicht nur Leid und Verwüstung wachsen sehen, es wird auch immer deutlicher, wie viel schlimmer alles noch werden könnte», sagte Guterres am Mittwoch zur Eröffnung der Sondersitzung der UN-Vollversammlung zum Jahrestag des Kriegsbeginns. Die möglichen Folgen einer Konfliktspirale seien eine klare und gegenwärtige Gefahr. «Inzwischen haben wir implizite Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen gehört. Der sogenannte taktische Einsatz von Atomwaffen ist absolut inakzeptabel.» Es sei höchste Zeit, vom Abgrund zurückzutreten.
Russland: «Die deutschen Panzer werden wieder einmal Russen töten»
Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja sagte in der Sondersitzung der UN-Vollversammlung: «Dies ist ein Krieg, der, wie es auch vor 80 Jahren der Fall war, einen verräterischen und mächtigen Feind involviert, der unser Land übernehmen und uns unterwerfen will.» Der Westen wolle das Ende Russlands erreichen. «Das Ziel ist jetzt, die Ukraine zu bewaffnen und damit meinem Land eine strategische Niederlage zuzufügen, es zu zerstückeln und zu zerstören», sagte Nebensja. «Die deutschen Panzer werden wieder einmal Russen töten.»
Selenskyj verabschiedet Absolventen von Militärakademien in den Krieg
Selenskyj verabschiedete am Mittwoch die Absolventen der Militärakademien in Lwiw und Odessa in den Krieg. «Dies ist eine besondere Mission – jetzt eine militärische Ausbildung zu erhalten und zu wissen, dass diese Ausbildung morgen direkt auf dem Schlachtfeld benötigt wird, um den Staat zu verteidigen und Soldaten und Einheiten zu führen», sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache. Über die Zahl der jungen Offiziere wurden keine Angaben gemacht.
Kiew: Russland verstärkt Truppen an verschiedenen Frontabschnitten
Die russische Armee verstärkt nach Erkenntnissen Kiews ihre Truppen an verschiedenen Frontabschnitten. Das lasse auf unmittelbar bevorstehende neue Angriffe schliessen, teilte der ukrainische Generalstab am Mittwoch mit. Die russischen Streitkräfte konzentrierten ihre Hauptanstrengungen «auf Offensivoperationen in den Richtungen Kupjansk, Lyman, Bachmut, Awdijiwka und Schachtarsk», heisst es in der Mitteilung der ukrainischen Militärführung. Vor allem rund um Bachmut gebe es weiterhin schwere Kämpfe.
Zoff um Munition: Wagner-Chef kritisiert Russlands Militärführung
In Russland verschärfen sich die Spannungen zwischen der Militärführung und der Privatarmee Wagner. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin veröffentlichte am Mittwoch auf Telegram ein Interview mit dem bekannten russischen Militärblogger Wladlen Tatarski, in dem er sich über mangelnde Ausrüstung seiner Kämpfer durch das russische Militär beschwert. «Sie haben uns keine Munition gegeben, und sie geben uns auch jetzt keine», ist in der Audiodatei zu hören. Prigoschins Truppe ist für ihre besonders brutale Taktik berüchtigt, bei der hohe Verluste in den eigenen Reihen in Kauf genommen werden.
Kuleba zu chinesischem Friedensvorschlag: Teufel steckt im Detail
Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba äusserte sich zurückhaltend über einen möglichen chinesischen Vorstoss für Frieden. Er kenne zwar Schlüsselelemente eines von Peking vorbereiteten Vorschlags, müsse aber das gesamte Dokument sehen, um sich ein Bild machen zu können. «Der Teufel steckt im Detail», sagte Kuleba am Mittwoch in New York. Die Ukraine habe ihren eigenen Friedensplan, der von vielen Ländern unterstützt werde. Zuletzt war bekannt geworden, dass China offenbar einen Zwölf-Punkte-Plan für eine Beruhigung des Krieges vorbereitet, der auf dem Prinzip der territorialen Integrität beruht.
Experte: Ukrainische Gegenoffensive könnte Wendung im Krieg bringen
Nach Einschätzung des Militärexperten Carlo Masala könnte eine ukrainische Gegenoffensive «durchaus eine Wendung» im Krieg bringen. Wenn es den Ukrainern gelinge, die südliche russische Front von der östlichen zu trennen, könnte sie das in die Lage versetzen, «den Druck auf die Krim so zu erhöhen, dass Russland dabei ist, die Halbinsel zu verlieren», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag).
Was am Donnerstag wichtig wird
Nicht nur die Sitzung der UN-Vollversammlung in New York, auch die Wintertagung der Parlamentarier aus OSZE-Staaten in Wien steht im Zeichen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Weil russische Delegierte an dem Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa teilnehmen, haben ukrainische und litauische Abgeordnete beschlossen, der Sitzung fernzubleiben. (awp/mc/ps)