New York / Kiew – Angesichts massiver Zerstörungen durch die von Russland eingesetzten Kampfdrohnen in der Ukraine fordern die USA eine UN-Untersuchung zu Vorwürfen der iranischen Herkunft der Waffen. «Die UN müssen jede Verletzung von UN-Sicherheitsratsresolutionen untersuchen, und wir dürfen nicht zulassen, dass Russland oder andere die UN am Ausüben ihrer festgeschriebenen Verpflichtungen hindern oder sie bedrohen», sagte der US-Vertreter Jeffrey DeLaurentis am Freitag bei einer Sitzung des Sicherheitsrates in New York.
Grossbritannien, Frankreich und Deutschland hatten zuvor ähnliche Aufforderungen per Brief an die Vereinten Nationen übermittelt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf dem Iran in seiner am Abend in Kiew verbreiteten Videobotschaft vor, mit der Lieferung von Waffen den russischen Terror gegen die Infrastruktur und Energieanlagen in seinem Land zu unterstützen.
Moskau und Teheran bestreiten, dass es sich um iranische Drohnen handelt. Allerdings meinen auch russische Militärexperten in Staatsmedien, dass es sich um Drohnen iranischer Bauart handele, die Russland unter dem Namen Geran – zu Deutsch: Geranie – in der Ukraine einsetze. Russland und der Iran arbeiten seit langem militärisch zusammen.
Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja bezeichnete die US-Forderungen bei dem Treffen des Sicherheitsrates als «empörende Situation». Er wies die Vorwürfe des Einsatzes iranischer Drohnen im Krieg gegen die Ukraine erneut zurück und wiederholte eine Warnung vor einer entsprechenden UN-Untersuchung. Sollte es dazu kommen, müsse Russland die Zusammenarbeit mit den UN überdenken. Russland hat bisher nicht offiziell erklärt, woher die erst seit kurzem eingesetzten Drohnen stammen, nachdem das Militär sie für den Krieg in der Ukraine lange gefordert hatte. Samstag ist der 241. Tag des Krieges.
Selenskyj hofft auf Hilfe beim Wiederaufbau
Präsident Selenskyj hatte zuletzt beklagt, dass Russland 40 Prozent der Energieinfrastruktur der Ukraine zerstört habe. In seiner Videobotschaft äusserte er die Hoffnung auf weitere Hilfe vom Westen – auch bei der in der kommenden Woche in Deutschland geplanten Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine. Es müssten vor allem Wohnungen, Energieanlagen und Sozialeinrichtungen wiederhergestellt werden. Selenskyj berichtete, die russischen Angriffe mit Drohnen und Raketen gegen zivile Infrastruktur des Landes gingen weiter.
Bei einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum am Montag in Berlin wollen Spitzenvertreter beider Länder über den Wiederaufbau der Ukraine sprechen. Eröffnet wird die Konferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal.
Selenskyj: Russland behindert Getreideexport aus Ukraine
In seiner Videobotschaft kritisierte Selenskyj ausserdem zunehmende Probleme bei den im Juli mit Russland vereinbarten Getreideexporten über das Schwarze Meer. Es gebe einen künstlichen Stau von 150 Schiffen, weil Russland absichtlich deren Passage verhindere. «Der Feind tut alles, um unsere Lebensmittelexporte zu verlangsamen», sagte der Präsident. Er warf Russland vor, so eine Lebensmittelkrise und soziale Spannungen in der Welt hervorrufen zu wollen.
Im Juli hatte Russland unter Vermittlung der UN und der Türkei den Getreideausfuhren zugestimmt, aber stets auch gedroht, die auf vier Monate angelegte Vereinbarung platzen zu lassen. Moskau beklagt seit langem, dass ein Teil der Vereinbarung vom Sommer nicht umgesetzt werde. Im Abkommen hat sich Russland zur Beendigung der Blockade ukrainischer Seehäfen für den Getreideexport bereiterklärt, forderte aber im Gegenzug Erleichterungen für die eigene Ausfuhr von Dünge- und Lebensmitteln. Russland und die Ukraine sind beide grosse Getreideexporteure, die mit den Ausfuhren Milliarden verdienen.
Wegen der Verzögerungen kommen laut Selenskyj aktuell drei Millionen Tonnen Nahrungsmittel nicht an ihr Ziel. Die Menge reiche aus, um zehn Millionen Menschen ein Jahr lang zu ernähren. Nach Darstellung Selenskyjs will Russland damit erreichen, dass Hunderttausende Menschen aus Hunger die Flucht antreten und etwa in der Türkei oder in der EU Asyl suchen.
Infolge des Ende Februar begonnenen russischen Angriffskriegs waren in der Ukraine monatelang tonnenweise Getreide in den Häfen des Schwarzen Meeres blockiert. Seit Juli sind nun drei ukrainische Seehäfen wieder für die Ausfuhr von Lebensmitteln geöffnet. Die Schiffe werden durch einen Korridor im Schwarzen Meer geleitet. Kremlchef Wladimir Putin kritisierte das Abkommen als «Abzocke», da die Versprechungen zu einer Lockerung der Sanktionen gegenüber Russland nicht eingehalten worden seien.
US-Minister: Diplomatie erst bei Stopp russischer Aggression
Die USA sehen derweil keinen Weg für Verhandlungen mit Russland, solange das Land seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine vorantreibt. «Was Diplomatie zur Beendigung des Krieges angeht, hängt das ganz davon ab, ob Russland daran interessiert sein wird, die Aggression zu stoppen, die es begonnen hat», sagte US-Aussenminister Antony Blinken am Freitag in Washington. Aktuell seien aber keine Hinweise darauf zu erkennen, sagte Blinken mit Verweis auf die von Präsident Putin angeordnete Teilmobilisierung in Russland. Zugleich machte Blinken deutlich, dass die USA weiterhin diplomatische Kanäle zur Kommunikation mit Russland unterhielten. «Wann auch immer wir den Russen etwas wichtiges mitzuteilen haben, werden wir das tun.»
Mützenich: G20-Gipfel könnte Forum für Friedensbemühungen sein
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hofft indes, dass der G20-Gipfel auf Bali am 15./16. November ein Forum sein könnte, «um diplomatische Initiativen auszuloten», die einmal zu einem Ende des Kriegs in der Ukraine führen könnten. «Es gibt von heute auf morgen sicherlich keine Waffenruhe. Manchmal entwickeln sie sich zuerst auch nur in einzelnen Regionen», sagte Mützenich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Wir dürfen aber keine Chance ausser Acht lassen, die eine lokale Waffenruhe, den Austausch von Kriegsgefangenen und die Versorgung der Zivilbevölkerung möglich macht.» Kremlchef Putin hat bisher offen gelassen, ob er zum Gipfel reist. Sein Aussenminister Sergej Lawrow hatte gesagt, sollten die USA ein Gesprächsangebot von US-Präsident Joe Biden unterbreiten, werde Moskau dies prüfen.
Was am Samstag wichtig wird
Die Ukraine setzt ihre Offensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete trotz der Raketen- und Drohnenangriffe fort. Nach Darstellung von Präsident Selenskyj verzeichnen die ukrainischen Streitkräfte im Osten und Süden des Landes Fortschritte. Besonders gespannt ist die Lage in der südlichen Region Cherson, wo es aus ukrainischer Sicht immer mehr Erfolge gibt. Russland hatte eingeräumt, dass die Lage für seine Truppen dort schwierig sei. (awp/mc/ps)