Ungarn verhindert EU-Sanktionen gegen russischen Patriarchen

Ungarn verhindert EU-Sanktionen gegen russischen Patriarchen
Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

Brüssel – Die EU verzichtet wegen des Widerstands Ungarns vorerst auf Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Das sechste EU-Sanktionspaket, in dem auch ein weitgehendes Öl-Embargo enthalten ist, wurde am Donnerstag von Vertretern der 27 EU-Staaten ohne die eigentlich geplante Strafmassnahme gegen Kirill gebilligt. Weil eine einstimmige Entscheidung notwendig war, konnten sich die anderen 26 Länder nicht gegen Ungarn durchsetzen.

Kirill sollte eigentlich wegen seiner Unterstützung für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf die Sanktionsliste der EU. Er pflegt engen Kontakt zu Präsident Wladimir Putin und zeigte sich bislang sehr kremltreu. Der 75-Jährige stellte sich in seinen Predigten immer wieder hinter den Kriegskurs und behauptete zuletzt sogar, dass Russland noch nie ein anderes Land angegriffen habe.

Ungarn wollte die Sanktionen, die ein EU-Einreiseverbot und Finanzsperren umfassen, allerdings nicht akzeptieren. Regierungschef Viktor Orban hatte seine Haltung zuletzt «mit der Frage der Glaubensfreiheit ungarischer Religionsgemeinschaften» begründet. Diese sei «heilig und unveräusserlich».

Orbans «Made in Russia»-Politik
Beobachter in Budapest sehen Orbans Einsatz für den Moskauer Patriarchen hingegen vor allem durch ideologische Gemeinsamkeiten begründet. «Fast alles, was Orban auf dem Gebiet der Machtausübung in Ungarn getan hat, trägt den Stempel «Made in Russia»», meint der Budapester Historiker Krisztian Ungvary. Wie Putin habe Orban die Universitätsautonomie abgeschafft, einen Feldzug gegen die Rechte von Schwulen und Transsexuellen gestartet, unabhängige Medien beseitigt und kritische Zivilorganisationen unter Druck gesetzt.

In Brüssel wird zudem darauf verwiesen, dass es in Ungarn nur wenige Tausend orthodoxe Gläubige gibt. Und auch nur ein Teil von ihnen gehört jener orthodoxen Gemeinschaft an, die sich zum Patriarchat von Moskau bekennt. Der andere Teil gehört kirchenrechtlich zur Metropolie von Wien, die wiederum dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel (Istanbul) unterstellt ist.

Spendierfreudig
Zugleich hat Orban allerdings in den vergangenen Jahren den «Moskauer» Orthodoxen viel Geld zukommen lassen. So wird mit grossem Aufwand die orthodoxe Liebfrauenkirche im Zentrum von Budapest renoviert. Selbst für den Bau einer eigenen orthodoxen Kirche im südwestungarischen Kurort Heviz hatte Orban eine Million Euro aus der Staatskasse übrig. Bis zum Ukraine-Krieg war Heviz ein beliebtes Urlaubsziel gut betuchter Russen.

Ungewöhnlich war auch, dass Kirill dem Regierungschef eines nicht-orthodoxen EU-Landes im Vormonat mit warmen Worten zur Wiederwahl gratulierte. «Sie sind einer der wenigen europäischen Politiker, die während ihrer Arbeit bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, um die christlichen Werte zu erhalten und die Normen der öffentlichen Moral und die Institution der traditionellen Familie zu stärken», schrieb Kirill an Orban.

Der Ungar pflegt ein weit besseres Verhältnis zum Moskauer Patriarchen als zu Papst Franziskus in Rom. Im Februar sagte er in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation: «Das christliche Europa ist wegen seiner eigenen inneren Schwächen und äusserer Schläge in grosser Not. Es scheint, dass das lateinische (westliche) Christentum in Europa nicht mehr auf eigenen Beinen zu stehen vermag. Ohne ein Bündnis mit der Orthodoxie, mit dem östlichen Christentum werden wir die kommenden Jahrzehnte kaum überleben.»

Diplomaten in Brüssel verweisen unterdessen darauf, dass Orbans Blockadepolitik für dessen Land schwerwiegende Folgen haben könnte. So wird es nicht für ausgeschlossen gehalten, dass frühere Verbündete wie Polen aus Verärgerung ihren bisherigen Widerstand gegen ein Vorantreiben des sogenannten Artikel-7-Verfahrens aufgeben. Dieses wurde bereits vor einigen Jahren wegen Rechtsstaatlichkeitsbedenken von der EU eingeleitet und könnte sogar zum Entzug der ungarischen Stimmrechte bei EU-Entscheidungen führen. Das Land könnte dann EU-Sanktionen gegen Russland nicht mehr blockieren.

Grosser Ärger in Brüssel
Nach Angaben von EU-Diplomaten waren am Donnerstag etliche Staaten extrem verärgert über die erneute Blockade Ungarns. Diese stelle die Einigkeit der EU im Umgang mit Russland infrage und überschatte, dass eigentlich ein sehr wirkungsvolles Sanktionspaket auf den Weg gebracht worden sei. Dieses sieht neben dem Öl-Embargo vor, die grösste russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift auszuschliessen. Zudem sollen mehrere russische Nachrichtensender in der EU verboten werden.

Der wirtschaftlich besonders relevante Boykott gegen Öllieferungen aus Russland zielt darauf ab, im kommenden Jahr auf dem Seeweg kein Öl mehr in die EU zu lassen. Lediglich Ungarn, die Slowakei und Tschechien sollen wegen ihrer grossen Abhängigkeit noch bis auf Weiteres russisches Öl über die Druschbba-Pipeline importieren dürfen.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zufolge wird die EU trotz der Ausnahme für Pipeline-Lieferungen bis Ende des Jahres rund 90 Prozent weniger Öl aus Russland beziehen. Nach Schätzungen der EU-Denkfabrik Bruegel gaben EU-Staaten bis vor Kurzem noch täglich etwa 450 Millionen Euro für Öl aus Russland sowie 400 Millionen für Gas aus Russland aus.

Der förmliche Beschluss des Sanktionspakets soll an diesem Freitag erfolgen. Danach kann es im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden und in Kraft treten. (awp/mc/ps)

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