Berlin – Nach dem tiefen Fall bei der Landtagswahl in Bayern stehen Union und SPD unter enormem Druck, die grosse Koalition in Berlin in ruhiges Fahrwasser zu bekommen. Mit Blick bereits auf die nächste Landtagswahl in nur zwei Wochen in Hessen beraten die Parteiführungen an diesem Montag über Konsequenzen aus dem bayerischen Ergebnis und darüber, wie sie Profil gewinnen können. Bei der CDU rückt – zunächst noch sehr verhalten – die Rolle von Kanzlerin Angela Merkel in den Blick, bei der SPD abermals die Frage nach dem Sinn der Koalition. Doch den Schlussstrich fordert offen noch niemand.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten bekräftigte die Forderung nach personeller Erneuerung in der Union. Unter Hinweis auf die Abwahl des Merkel-Vertrauten Volker Kauder von der Spitze der Unionsfraktion sagte er der «Heilbronner Stimme» (Montag): «Die CDU muss ihren Ende September in der Bundestagsfraktion begonnenen Erneuerungsprozess fortsetzen und nach der hessischen Landtagswahl die Weichen auf dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember für die Zukunft neu stellen.» Auf dem Parteitag steht auch die Wahl des Parteivorsitzes an. Merkel hatte vor der Bayern-Wahl deutlich gemacht, als Parteivorsitzende weitermachen zu wollen.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) gab Merkel Rückendeckung. «Das ist ein rein hausgemachtes CSU-Ergebnis», sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Montag) auf die Frage nach einer Mitverantwortung Merkels und ihrer Migrationspolitik für das CSU-Abschneiden. Der Schwesterpartei legte er personelle Konsequenzen nahe. «Ohne die wird es vermutlich kaum funktionieren. Allerdings halte ich wenig davon, jetzt Einzelne verantwortlich zu machen», sagte der Christdemokrat der «Welt». «Die CSU-Führung hat in vergangenen Jahren in Gänze Fehler gemacht: (Parteichef) Horst Seehofer, (Ministerpräsident) Markus Söder, (Bundestagsgruppenchef) Alexander Dobrindt – da darf man niemanden ausnehmen.»
«Es wäre fatal, zur Tagesordnung überzugehen»
Der parteinahe Wirtschaftsrat der CDU forderte die schwarz-rote Koalition zum Richtungswechsel auf. «Es wäre fatal, zur Tagesordnung überzugehen», sagte der Generalsekretär der Organisation, Wolfgang Steiger, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Parteien der grossen Koalition seien regelrecht abgestraft worden. «Es ist zu befürchten, dass sich das bei den nächsten Wahlen wegen einer zu inkonsequenten, zu wenig harmonischen und kaum zukunftsorientierten Politik fortsetzt.»
Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert (SPD) sieht die grosse Koalition deshalb am Scheideweg. «Entweder wir versuchen noch ein weiteres Mal, die Koalitionspartner zur Vernunft zu bringen. Oder wir gehen», sagte der Chef des SPD-Nachwuchses der «Rheinischen Post» (Montag). Die Haltung der Jusos sei bekannt. Diese waren von Anfang an gegen das Regierungsbündnis.
«Das versteht kein Mensch»
Was nicht gehe, das sei die Inszenierung als Koalitionspartei, die mit den Unzulänglichkeiten der Koalition nichts zu tun habe. «Das versteht kein Mensch.» Auf Floskeln, dass man jetzt «gründlich analysieren müsse» oder der «Streit in der Union nicht hilfreich gewesen sei», habe er keine Lust mehr, sagte Kühnert. Auf den Unionsstreit hatte unter anderen SPD-Chefin Andrea Nahles hingewiesen.
Die CSU-Vizevorsitzende Dorothee Bär verlangte vom Koalitionspartner eine Entscheidung: «Die Sozialdemokraten müssen jetzt für sich klären, ob sie noch zu dieser Koalition stehen oder nicht», sagte die Staatsministerin im Kanzleramt der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» (Montag). Falls sie in der Koalition bleiben wollten, «müssen sie aber auch danach handeln».
Nach dem vorläufigen Endergebnis verliert die CSU mit 37,2 Prozent (2013: 47,7) ihre absolute Mehrheit und braucht nun einen Koalitionspartner. Die SPD fällt mit 9,7 Prozent (20,6) – ihrem bundesweit schlechtesten Landtagswahlergebnis – auf den fünften Platz zurück. Ein Gewinner sind die Grünen mit 17,5 Prozent (8,6). Die Freien Wähler kommen auf 11,6 (9,0), die AfD erreicht aus dem Stand 10,2 Prozent. Die FDP schafft es mit 5,1 Prozent ganz knapp ins Parlament. Damit sieht die Sitzverteilung so aus: CSU 85, Grüne 38, Freie Wähler 27, AfD 22, SPD 22, FDP 11. Die Wahlbeteiligung liegt bei 72,4 Prozent. (awp/mc/ps)