Koalitionsvertrag von Union und SPD steht

Koalitionsvertrag von Union und SPD steht
Deutschlands künftiger Kanzler Friedrich Merz. (Foto: CDU)

Berlin – Der Weg für die Bildung einer schwarz-roten Bundesregierung ist frei. CDU, CSU und SPD verständigten sich knapp sieben Wochen nach der Bundestagswahl auf einen Koalitionsvertrag. Das 144-Seiten-Papier mit der Überschrift «Verantwortung für Deutschland» regelt auch die Verteilung der Ministerien.

Erstmals vorgesehen ist ein Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Die CDU soll erstmals seit fast 60 Jahren wieder das Aussenministerium übernehmen. Finanzministerium und Verteidigungsministerium werden künftig von der SPD geführt. Das Innenministerium soll an die Union gehen.

Alle Vereinbarungen stehen unter dem Vorbehalt, dass der Vertrag auch von den drei Parteien abgesegnet wird. Die SPD will dazu ein Votum ihrer Mitglieder einholen.

Merz verspricht handlungsstarke Regierung
«Deutschland bekommt eine handlungsfähige und eine handlungsstarke Regierung», sagte der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Der Koalitionsvertrag sei ein Aufbruchsignal und ein kraftvolles Zeichen für Deutschland, dass die politische Mitte in der Lage sei, die Probleme zu lösen. «Die künftige Regierung, die künftige Koalition wird reformieren und investieren, um Deutschland stabil zu halten, sicherer zu machen und wirtschaftlich wieder stärker zu machen.»

Koalitionsvertrag als Antwort auf die Probleme der Zeit
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil betonte: «Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen.» Klingbeil wies auf die aktuellen Krisen hin und betonte: «Wir haben das Potenzial, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.» Die Co-Vorsitzende Saskia Esken sagte: «Der gesellschaftliche Zusammenhalt in unserem Land, die Stärkung unserer Demokratie, die Wiederherstellung einer europäischen Friedensordnung – das alles muss uns gemeinsam am Herzen liegen. Das alles sind Ziele auch dieser Koalition.»

Man habe schon ein dickes Brett bohren müssen, räumte CSU-Chef Markus Söder ein. «Das, was jetzt vorliegt, kann man nicht nur gut vertreten, sondern ich finde, es ist eine Antwort auf die Probleme unserer Zeit.» Er sei von der Vereinbarung «inhaltlich überzeugt». Der Koalitionsvertrag sei eine Mischung aus «Reha-Kur und Fitnessprogramm für unser Land».

Entlastungen für Bürger
Die Vereinbarung von Union und SPD sieht Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger vor. So soll die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen gesenkt werden. Dies soll allerdings erst zur Mitte der Legislatur passieren, also in etwa zwei Jahren. Details nennen die Parteien nicht. Der umstrittene Solidaritätszuschlag soll unverändert bestehen bleiben. Einkommensstarke Bürger und Unternehmen müssen die Sonderabgabe zur Finanzierung der Wiedervereinigung also weiterhin zahlen.

Auch Pendler sollen steuerlich entlastet werden. Dazu soll die Pendlerpauschale ab 2026 bereits vom ersten Kilometer an bei 38 Cent liegen. Aktuell liegt die Pauschale für die ersten 20 Kilometer Wegstrecke von der Wohnung zum Arbeitsplatz bei 30 Cent pro Kilometer. Erst ab dem 21. Kilometer kann man 38 Cent ansetzen.

Entlastungen für Unternehmen
Zur Entlastung von Unternehmen sollen zuerst steuerliche Abschreibungsregeln angepasst werden, danach soll die Körperschaftsteuer sinken. Für die Jahre 2025, 2026 und 2027 soll demnach auf Ausrüstungsinvestitionen eine degressive Abschreibung von 30 Prozent gelten. Damit können Unternehmen jährlich einen höheren Prozentsatz ihrer Investitionskosten abschreiben als bisher – und diese so schneller refinanzieren. Ab 2028 soll dann die Körperschaftsteuer schrittweise sinken – und zwar fünfmal je um einen Prozentpunkt.

Energieintensive Unternehmen sollen mit einem Industriestrompreis entlastet werden. Die Stromsteuer soll auf den europäischen Mindestsatz sinken.

Auch die vorgesehene Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes wird die Wirtschaft freuen, weil dadurch zum Beispiel Berichtspflichten entfallen.

Rente
Union und SPD wollen das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 gesetzlich festschreiben. Ohne gesetzliche Eingriffe würde es in den kommenden Jahren sinken, weil wegen der Alterung der Gesellschaft auf immer weniger Einzahlende immer mehr Rentenempfängerinnen und -empfänger kommen. Die Milliardenkosten, die sich durch eine Fixierung des Rentenniveaus ergeben, wollen CDU/CSU und SPD aus Steuermitteln ausgleichen.

2026 soll eine «Frühstart-Rente» eingeführt werden. Für jedes Kind vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, sollen pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot fliessen.

Am Rentenalter soll sich nichts ändern – die Altersgrenze soll weiterhin schrittweise auf 67 Jahre ansteigen. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll auch künftig möglich bleiben.

Soziale Sicherung
Das Bürgergeld soll nach dem Willen der künftigen Koalitionspartner zu einer neuen Grundsicherung für Erwerbssuchende umgestaltet werden. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben. Vorgesehen ist dazu die Beseitigung von Vermittlungshürden. Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärft werden.

Schneller als heute sollen Sanktionen durchgesetzt werden. Leistungen können vollständig entzogen werden, wenn Menschen, die arbeiten können, wiederholt zumutbare Arbeit verweigern. Geltende Schonzeiten für Vermögen sollen abgeschafft werden, die Höhe des Schonvermögens soll an die Lebensleistung gekoppelt werden.

Auch bei der Berechnung der Regelsätze wollen Union und SPD etwas ändern. Mit der Einführung des Bürgergelds wurde ab dem 1. Januar 2023 bei der Fortschreibung der sogenannten Regelbedarfe die aktuelle Inflation stärker berücksichtigt. Hier sollen wieder die alten Regeln gelten und die Regelsätze mit mehr Nachlauf an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden.

Erhöhung der inneren Sicherheit
Zur Erhöhung der inneren Sicherheit wollen Union und SPD die Telekommunikationsanbieter künftig dazu verpflichten, IP-Adressen für mögliche Ermittlungen drei Monate lang zu speichern. Wegen rechtlicher Unsicherheiten war die alte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung seit 2017 nicht mehr genutzt worden.

Im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit soll die Bundespolizei zur Bekämpfung schwerer Straftaten die sogenannte Quellen-TKÜ anwenden dürfen. Dabei wird verschlüsselte Kommunikation direkt am Endgerät überwacht. Nicht erlaubt werden soll dabei allerdings der Zugriff auf Daten, die vor Installation der Überwachungssoftware angefallen sind.

Verteilung der Ministerien
Die CDU wird in der neuen Bundesregierung sechs Ressorts besetzen. Dazu kommt der Chef des Kanzleramts, der ebenfalls Ministerrang haben wird. Die SPD stellt die Leitung in sieben und die CSU in drei Ressorts. Erstmals seit fast 60 Jahren wird die CDU wieder das Aussenministerium übernehmen. Auch das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung geht an die CDU. Mit Verteidigung, Finanzen sowie Umwelt und Klimaschutz erhält die SPD wichtige Schlüsselressorts.

Fünftes schwarz-rotes Bündnis seit 1949
Die neue Koalition ist das fünfte schwarz-rote Regierungsbündnis seit der Gründung der Bundesrepublik. Erstmals kam es von 1966 bis 1969 unter CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger zu einer solchen Konstellation. Nach den Bundestagswahlen 2005, 2013 und 2017 führte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jeweils eine schwarz-rote Koalition.

Die früher übliche Bezeichnung «grosse Koalition» passt inzwischen nicht mehr. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar war die AfD (20,8 Prozent) hinter der Union (28,5 Prozent) die zweitstärkste Kraft geworden. Die SPD lag mit 16,4 Prozent nur auf Platz drei. Eine Zusammenarbeit mit der AfD hatte die Union jedoch von Anfang an ausgeschlossen. Da eine Koalition aus Union und Grünen keine Mehrheit hätte, gab es praktisch keine Alternative zu einem neuen schwarz-roten Regierungsbündnis.

AfD in Umfrage erstmals vor der Union
In einer heute veröffentlichten deutschlandweiten Umfrage liegt die AfD erstmals vor der Union auf dem ersten Platz. Bei der sogenannten Sonntagsfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos erreichte die AfD einen Stimmenanteil von 25 Prozent. CDU und CSU kamen gemeinsam auf lediglich 24 Prozent. Angesichts der Vereinbarungen von Union und SPD ist dies nach Ansicht der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel «kein Zufall». CDU-Chef Friedrich Merz sieht im Koalitionsvertrag hingegen eine «sehr, sehr gute Grundlage», um die AfD wieder zurückzudrängen.

Koalitionsverhandlungen liefen fast vier Wochen
Die Koalitionsverhandlungen hatten am 13. März begonnen. Zuvor hatten sich Union und SPD in Sondierungsgesprächen bereits auf ein elfseitiges Eckpunktepapier verständigt, das unter anderem die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigung und ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Investitionen vor allem in die Infrastruktur vorsah.

Sie reagierten damit unter anderem auf die veränderte Weltlage nach dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump. Die europäischen Verbündeten befürchten, dass sie sich nicht mehr wie bisher auf den Schutz der USA verlassen können. Sie wollen daher massiv in ihre Sicherheit investieren.

Der von Trump losgetretene Zollstreit und die dadurch eingetretenen Turbulenzen in der Weltwirtschaft und an den Aktienmärkten setzten die Verhandler unter zusätzlichen Einigungsdruck.

Regierungsbildung erst im Mai
CDU-Chef Merz hatte ursprünglich als Ziel eine Regierungsbildung bis Ostern ausgegeben. Dieser Zeitplan ist aber nicht mehr zu halten. Merz nannte nun die erste Maiwoche – im Gespräch für die Kanzlerwahl ist der 7. Mai.

Davor wollen alle drei Parteien ihre Vereinbarung noch innerparteilich absegnen lassen. Die SPD wird dazu eine Mitgliederbefragung vornehmen. Die CDU plant einen Kleinen Parteitag am 28. April. Bei der CSU ist nur ein Vorstandsbeschluss vorgesehen. (awp/mc/pg) der 7. Mai. Dann hätte Deutschland fast auf den Tag genau ein halbes Jahr nach dem Bruch der Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP am 6. November 2024 eine neue Regierung. (awp/mc/pg)

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