Michael Horn, Amerika-Chef von Volkswagen.
Wolfsburg / Washington – Im Abgas-Skandal bei Volkswagen kommen jeden Tag neue Details ans Licht: VW räumte ein, die Steuerung zahlreicher Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189 könne nicht nur den amerikanischen Abgastest erkennen, sondern auch den europäischen Prüfzyklus NEFZ. Dies berichteten NDR, WDR und «Süddeutsche Zeitung». Bisher war gesichert, dass der Autobauer US-Tests manipuliert hat. Der US-Chef von VW, Michael Horn, erklärte, er habe bereits im Frühling 2014 von möglichen Verstössen gegen Emissionsregeln in den USA erfahren.
Ein Unternehmenssprecher in Wolfsburg sagte zu den Berichten, ob und wie weit die Software tatsächlich unerlaubt eingreife, sei derzeit noch Gegenstand von internen und externen Prüfungen. «Auch ist rechtlich noch unklar, ob es sich überhaupt um eine verbotene Abschalteinrichtung im Sinne der europäischen Normen handelt.» VW werde bei der technischen Lösung des Problems «keine Zeit» verlieren.
Abbitte vor US-Kongress
Bisher hatte VW mitgeteilt, bei der Mehrheit der betroffenen elf Millionen Fahrzeuge weltweit sei die Software zwar installiert, aber nicht eingeschaltet gewesen. Europas grösster Autokonzern hatte vor drei Wochen eingeräumt, mit einem Computerprogramm die Abgaswerte bei Dieselwagen manipuliert zu haben.
In Washington wollte der US-VW-Topmanager Horn am Donnerstag vor dem Kongress Abbitte leisten und sich für die Manipulationen entschuldigen, wie aus einer vorab veröffentlichten Stellungnahme hervorgeht. Der Manager erklärte, ihm sei im Frühling 2014 auch mitgeteilt worden, dass die US-Umweltbehörde EPA Strafen verhängen könnte.
Wer wurde informiert
Unklar ist allerdings, wen in der Wolfsburger VW-Zentrale Horn daraufhin informiert hat und was dann unternommen wurde. Horn informierte den Kongress zudem, dass VW in den USA den Zulassungsantrag für die Fahrzeuge des Modelljahres 2016 zurückgezogen habe.
Das Kraftfahrt-Bundesamt prüft derzeit einen von VW vorgelegten Zeit- und Massnahmenplan zur Bewältigung des Abgas-Skandals. Wie das KBA am Donnerstag mitteilte, geht es dabei um die Frage, inwieweit die von VW vorgeschlagenen Massnahmen geeignet sind, um einen «regel- und zulassungskonformen Zustand» der betreffenden Fahrzeuge herzustellen.
Rückrufe ab kommenden Januar
VW plant für die betroffenen Fahrzeuge je nach Motorvariante unterschiedliche Lösungen und will vor dem Rückruf von Millionen Autos zunächst «intensive Qualitätstests» vornehmen, wie es in Konzernkreisen hiess. Die Rückrufe sollen im Januar 2016 beginnen und Ende des Jahres beendet sein.
Für mögliche Steuerschäden durch die Abgas-Manipulationen von VW soll nach Ansicht von Nordrhein-Westfalens Landesregierung der Konzern und nicht der Steuerzahler geradestehen. Wegen der von VW eingestandenen Manipulationen könnten Kfz-Steuern zu niedrig festgesetzt worden sein, heisst es laut «Süddeutscher Zeitung» in einem Brief von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU).
Brief an Schäuble
Eine Sprecherin des NRW-Finanzministeriums hatte am Mittwochabend bestätigt, dass es einen Brief an Schäuble gibt. Details dazu nannte sie nicht. Beim Bundesfinanzministeriums hiess es, solange das Bundesverkehrsministerium den Abgasskandal nicht verkehrsrechtlich bewertet habe, könnten keine Aussagen über mögliche Folgewirkungen getroffen werden.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte dazu am Donnerstag nach einem Treffen mit VW-Betriebsräten in Wolfsburg, er halte nichts davon, dass es «von wem auch immer» eine politische Profilierung zulasten von VW gebe. «Auch solche Dinge gehören aufgeklärt. Und wenn es eine Aufklärung gibt, wird man auch über Konsequenzen sprechen.»
Gabriel fordert mehr Transparenz
Der Minister forderte ausserdem von VW mehr Transparenz bei der Aufklärung der Abgas-Affäre. «Klar ist, dass das Unternehmen aufklären muss. Je offensiver es das tut, desto besser wird es werden. Je defensiver, desto schwieriger.»
Gabriel warnte aber davor, übers Ziel hinauszuschiessen. «Es hängen über 70 000 Arbeitsplätze an der modernen Dieseltechnologie», sagte er. «Ich kann nur dazu raten, jetzt nicht eine allgemeine Debatte über die Autoindustrie in Deutschland zu führen.» Beim aktuellen Skandal gehe es «um ein strafwürdiges Verhalten von einem Unternehmen. Das ist schlimm genug, aber man muss aufpassen, nicht die ganze Industrie in Deutschland oder gar Europa zu schädigen.» (awp/mc/ps)