Washington – Das Ringen um den Ausgang der US-Präsidentenwahl ist vorbei: Der Kongress hat trotz eines Sturms von Trump-Anhängern auf den Parlamentssitz den Sieg von Joe Biden bestätigt. Amtsinhaber Donald Trump kündigte danach schliesslich an, dass er sich nicht mehr gegen die Übergabe der Amtsgeschäfte am 20. Januar sperren werde. Zugleich bekräftigte Trump jedoch, dass er nicht mit dem Ausgang der Wahl einverstanden sei.
Der scheidende Präsident hatte mit unbelegten Behauptungen über massiven Wahlbetrug bei einem Auftritt am Mittwoch abermals die Stimmung seiner Anhänger angeheizt. Daraufhin zogen sie zum Kapitol und stürmten den nur spärlich gesicherten Parlamentssitz. Die beiden Parlamentskammern waren gerade dabei, das Wahlergebnis offiziell zu bestätigen. Die Sitzung musste für mehrere Stunden unterbrochen werden, die Abgeordneten wurden in Sicherheit gebracht und konnten den Wahlsieg Bidens erst in der Nacht zum Donnerstag besiegeln.
Tote während Angriff auf Kapitol
Während der Attacke auf das Kapitol starben nach Polizeiangaben vier Menschen. Nach dem Eindringen von Trump-Unterstützern wurde im US-Kapitol eine Frau angeschossen und starb wenig später, wie der Chef der Polizei in der US-Hauptstadt, Robert Contee, sagte. «Darüber hinaus wurden heute drei weitere Todesfälle aus der Umgebung des Kapitols gemeldet», sagte er. «Eine erwachsene Frau und zwei erwachsene Männer scheinen an unterschiedlichen medizinischen Notfällen gelitten zu haben, die zu ihrem Tod führten.» Bei den Zusammenstössen seien zudem mindestens 14 Polizisten verletzt worden, zwei davon schwer.
In Videos und Fotos war zu sehen, wie Trump-Anhänger die Kapitol-Polizei überrannten, Türen und Fenster einschlugen und im Sitzungssaal und in Abgeordnetenbüros für Bilder posierten. Erst nach einigen Stunden wurden sie von einem grossen Aufgebot von Sicherheitskräften aus dem Gebäude gedrängt. Es gab mehr als 50 Festnahmen, 30 davon wegen Verstössen gegen eine Ausgangssperre am Abend.
Dramatischer Schlusspunkt des Feldzugs des US-Präsidenten
Das beispiellose Chaos in Washington war der dramatische Schlusspunkt eines Feldzugs von Trump gegen den Wahlausgang. Der Republikaner hatte die Wahl Anfang November mit deutlichem Abstand gegen seinen demokratischen Herausforderer Biden verloren. Trump weigerte sich aber, seine Niederlage einzugestehen und behauptete, er sei durch massiven Wahlbetrug um einen klaren Sieg gebracht worden. Weder er noch seine Anwälte legten aber stichhaltige Beweise dafür vor. Dutzende Klagen des Trump-Lagers wurden bislang von Gerichten abgeschmettert, auch vom Obersten Gericht der USA.
In knapp zwei Wochen, am 20. Januar, soll Biden vereidigt werden. Er kann besonders kraftvoll in seine Amtszeit starten: Seine Demokraten sicherten sich Prognosen von US-Medien zufolge mit Siegen bei zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia auch die Kontrolle im US-Senat, wie am Mittwoch inmitten der Turbulenzen bekannt wurde. Im Repräsentantenhaus stellen die Demokraten bereits die Mehrheit. Mit einer faktischen Mehrheit im Senat kann Biden vor den nächsten Kongresswahlen in zwei Jahren durchregieren – vorausgesetzt, die Demokraten im Kongress ziehen an einem Strang.
Twitter stellt Trump ab
Trumps Bereitschaft zu einer geordneten Machtübergabe wurde von seinem Vertrauten Dan Scavino bei Twitter mitgeteilt. Der Präsident selbst wurde beim Kurznachrichtendienst gesperrt, nachdem er in einem Video seine Sympathie für die Kapitol-Angreifer geäussert hatte: «Wir lieben Euch. Ihr seid sehr besonders.» Später schrieb er in einem weiteren Tweet, solche «Dinge und Geschehnisse» passierten eben, wenn «ein Erdrutschsieg» gestohlen werde. «Erinnert Euch für immer an diesen Tag!», schob er nach. Twitter blockierte die Beiträge und sperrte Trumps Account für mindestens zwölf Stunden. Die Sperre kann erst aufgehoben werden, wenn er das Video und den weiteren Tweet löscht.
Nach Trumps Verhalten nehmen Rufe nach einem erneuten Amtsenthebungsverfahren gegen den scheidenden Präsidenten zu. Die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar teilte auf Twitter mit, sie fertige bereits Artikel zur Anklageerhebung an. Zudem berichteten mehrere US-Medien, dass auch mehrere Kabinettsmitglieder der Trump-Regierung die Möglichkeit diskutiert hätten, Trump mit Hilfe des 25. Zusatzartikels der Verfassung aus dem Amt zu entfernen.
Das Repräsentantenhaus und der Senat hatten sich am Mittwochmittag (Ortszeit) versammelt, um die Ergebnisse der Präsidentenwahl offiziell zu bestätigen. Im formalen Nach-Wahl-Prozedere der USA ist vorgeschrieben, dass die Ergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten im Kongress zertifiziert werden. Erst dann ist amtlich, wer die Wahl gewonnen hat. Es ist der Endpunkt eines langen formalen Aktes vor der Vereidigung eines neuen Präsidenten. Üblicherweise ist dies eine schnelle formelle Prozedur. Dieses Mal dauerte es: Biden wurde erst um 3.41 Uhr Ortszeit am Donnerstag offiziell zum Wahlsieger erklärt.
Sogar Mitch McConnell wird deutlich
Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte nach dem Ende der Attacke, die Kammer lasse sich nicht einschüchtern und werde sich nicht Gesetzlosen beugen. Der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, nannte die Aufrührer «inländische Terroristen». Er machte Trump für den Angriff auf das Kapitol mitverantwortlich. Auch mehrere Republikaner warfen Trump öffentlich vor, er habe den Gewaltausbruch angezettelt.
Der künftige US-Präsident Biden sprach von einem Angriff auf die Demokratie. «Das Kapitol zu stürmen, Fenster einzuschlagen, Büros zu besetzen, den Senat der Vereinigten Staaten zu besetzen, durch die Schreibtische des Repräsentantenhauses im Kapitol zu wühlen und die Sicherheit ordnungsgemäss gewählter Beamter zu bedrohen, ist kein Protest», sagte der Demokrat. «Es ist Aufruhr.» Auch international lösten die Unruhen in den USA Besorgnis und Schockreaktionen aus.
Trump hatte über Wochen diesen Tag der Kongresssitzung – ohne jede Grundlage – als letzte Möglichkeit dargestellt, den Wahlausgang noch zu kippen. Angetrieben durch seine Wahlbetrugsbehauptungen legten Republikaner im Kongress zwar Einsprüche gegen die Wahlergebnisse aus den Bundesstaaten Arizona und Pennsylvania ein und erzwangen so, dass sich das Repräsentantenhaus und der Senat beide Male zu getrennten Sitzungen zurückziehen mussten, um die Einwände zu debattieren. Die Aktion hatte jedoch von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg. Die Kongresskammern wiesen beide Einsprüche ab.
Ursprünglich hatten Trump-getreue Republikaner auch die Resultate aus anderen Bundesstaaten anfechten wollen. Angesichts der schweren Randale am Kapitol zogen mehrere Senatoren ihre Unterstützung für die – parteiintern sehr umstrittene – Störaktion jedoch zurück. (awp/mc/ps)