Kiew / Washington – Die Ukraine bekommt weitere Militärhilfen der USA und Unterstützung der G7 – doch ein Durchbruch mit verlässlichen Finanzzusagen aus Washington lässt auf sich warten. US-Präsident Joe Biden drängt den Kongress, neue Hilfen für die von Russland angegriffene Ukraine zu genehmigen. «Das kann nicht warten. Der Kongress muss zusätzliche Mittel für die Ukraine bewilligen, bevor er in die Ferien geht, so einfach ist das», sagte Biden im Weissen Haus.
Der Chef des Kiewer Präsidialamtes, Andrij Jermak, liess am Mittwoch in Washington deutlich erkennen, dass die Ukraine ohne US-Hilfe den von Russland aufgezwungenen Krieg verlieren werde. Jermak und eine Delegation ukrainischer Spitzenpolitiker sprechen derzeit mit Partnern in den USA, um einen drohenden Stopp der Hilfen abzuwenden. Verteidigungsminister Lloyd Austin empfing seinen ukrainischen Kollegen Rustem Umjerow.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schlug in einer Videoschalte mit Washington eine gemeinsame Rüstungsproduktion mit den USA vor. Die Nacht auf Donnerstag begann für die Ukraine erneut mit Angriffen russischer Kampfdrohnen und Luftalarm in vielen Landesteilen. Die Flugabwehr in den Regionen Odessa im Süden und Chmelnyzkyj im Nordwesten nahm die Drohnen unter Feuer, wie auf sozialen Medien berichtet wurde. Für die Ukraine ist es der 652. Kriegstag.
Biden drängt auf Freigabe der Ukraine-Hilfen
Die bisher vom US-Kongress bewilligten Mittel für die Ukraine werden nach Angaben der Regierung zum Jahresende komplett aufgebraucht sein. Die Freigabe neuer Hilfen wird von innenpolitischem Streit zwischen Demokraten und Republikanern im US-Parlament blockiert. Mehr und mehr Republikaner melden Zweifel an der Unterstützung für die Ukraine an oder lehnen sie völlig ab. Die Republikaner wollen ausserdem mehr Geld für den Schutz der US-Grenze. Bewegung gibt es keine. Am Mittwochabend (Ortszeit) scheiterten die Demokraten im Senat durch Widerstand der Reublikaner schon an einer formalen Hürde, um einen Gesetzentwurf mit Ukraine-Hilfen in der Parlamentskammer überhaupt zur Debatte zu stellen. Eine Lösung, die in beiden Kongresskammern mehrheitsfähig wäre, ist nicht annähernd in Sicht.
Präsident Biden mahnte, die Welt schaue zu, und sagte, Hilfen für die Ukraine seien «in unserem überwältigenden nationalen Interesse und im internationalen Interesse aller unserer Freunde». Er warnte davor, dass Kremlchef Wladimir Putin nach einem Fall der Ukraine seine Aggression weitertreiben werde. Wenn Putin Nato-Staaten angreife, müssten plötzlich amerikanische Truppen gegen russische kämpfen.
Neues kleines US-Hilfspaket mit Munition
Zugleich kündigte die US-Regierung weitere Militärhilfe an. Aussenminister Antony Blinken teilte mit, das neue Paket mit Waffen und Ausrüstung habe einen Umfang von bis zu 175 Millionen US-Dollar (rund 162 Millionen Euro). Es stamme aus den begrenzten Restmitteln, die der Kongress zuvor bewilligt hatte.
Selenskyj schlug Vertretern der US-Rüstungsbranche gemeinsame Rüstungsprojekte vor. «Wir sind daran interessiert, gemeinsam die gesamte Palette der für die moderne Kriegsführung erforderlichen Waffen herzustellen», sagte er in einer Videoansprache. «Dazu gehören Geschütze, gepanzerte Fahrzeuge und Drohnen. Reparatur und Wartung von Ausrüstung. Sicherheit an Land, in der Luft und auf See.» Gemeinsame Rüstungsprojekte hat die Ukraine auch mit Polen, Deutschland und Grossbritannien vereinbart.
G7 zielt auf Russlands Diamantenhandel
Wegen des Moskauer Angriffskriegs will die Siebenergruppe grosser Industrienationen (G7) russische Einnahmen aus dem Diamantenexport beschneiden. Mit Beginn 2024 schränke die G7 den Import von Rohdiamanten ein, die in Russland gefördert oder verarbeitet wurden. Das beschlossen die Staats- und Regierungschefs in einer Online-Schalte unter japanischem Vorsitz. Zu den G7-Ländern gehören neben Gastgeber Japan auch Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, die USA und Grossbritannien. Auch die EU plant in ihrem kommenden Sanktionspaket Strafmassnahmen gegen den russischen Diamantenhandel.
Putin ernennt Dutzende neuer Generäle
Der russische Präsident Putin absolvierte am Mittwoch eine Kurzreise an den Golf, um sich mit den Ölstaaten Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate abzustimmen. Wegen des Ukraine-Krieges ist Putin international weitgehend isoliert und kann nicht mehr viel reisen.
In Moskau wurde derweil ein Erlass des Präsidenten veröffentlicht, mit dem er Dutzende Generalsränge in Armee und Sicherheitskräften vergab. Knapp 70 Offiziere erhielten einen neuen Dienstgrad. Dazu zählen auch Männer, die von russischen Militärbloggern in der Vergangenheit für hohe Verluste der Armee in Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich gemacht worden sind.
Brigadegeneral a.D.: Keine diplomatische Lösung mit Putin
Der Brigadegeneral a.D. Klaus Wittmann sieht keine Friedenslösung am Verhandlungstisch im russischen Angriffskrieg gegen den Nachbarn Ukraine. «Mit Putin wird es keine diplomatische Lösung geben», sagte Wittmann im Interview der Mediengruppe Bayern (Donnerstag). «Er ist zwar nicht irrational, wie manche behaupten, aber er ist besessen.»
Wittmann, der an der Universität Potsdam Zeitgeschichte lehrt, gibt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine Mitschuld an der stockenden ukrainischen Gegenoffensive. Bei früherer Lieferung schwerer Waffen etwa hätten die russischen Militärs nicht die Zeit gehabt, ihre Verteidigungslinien vorzubereiten und auszubauen. «Wenn wir jetzt am Spielfeldrand stehen und kritisieren, dass die Ukraine nicht richtig vorankommt, müssen wir bedenken, dass wir einen Anteil daran haben.»
Das wird am Donnerstag wichtig
Die EU und China sprechen bei einem Gipfeltreffen in Peking über die internationale Lage, darunter auch über den Krieg in der Ukraine. China hat zwar Moskaus gelegentliches Drohen mit Atomwaffen verurteilt; es steht aber sonst klar zu seinem Verbündeten Russland. Trotzdem hofft die EU, über Peking Einfluss auf Moskau zu nehmen. (awp/mc/ps)