Corona-Krise: China lässt Wachstumsziel weg – Eingriff in Hongkong
Peking – Wegen der grossen Unsicherheiten durch die Corona-Krise weiss Chinas Regierung nicht, wo die zweitgrösste Volkswirtschaft in diesem Jahr hinsteuert. Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten wurde deswegen zum Auftakt der Plenarsitzung des Volkskongresses in Peking auf eine Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum verzichtet. Mit Milliardenhilfen und einer Erhöhung der Staatsausgaben soll die angeschlagene Konjunktur angekurbelt werden. Trotz der Krise steigt der Militärhaushalt aber wieder stark um 6,6 Prozent.
Ärger ist in Hongkong programmiert: Mit Sicherheitsgesetzen will die kommunistische Führung stärker als je zuvor in der autonomen chinesischen Sonderverwaltungsregion eingreifen, die seit einem halben Jahr Proteste gegen den Einfluss Pekings erlebt. Nicht nur soll das Hongkonger Parlament umgangen werden. Auch ist geplant, das chinesische Sicherheitsorgane «wenn nötig» eigene Aussenstellen in Hongkong einrichten, «um die betreffenden Verpflichtungen zur Sicherung der nationalen Sicherheit nach dem Gesetz zu erfüllen».
Steigende Neuverschuldung
Wegen der Milliardenhilfen und des Rückgangs der Einnahmen in der Corona-Krise steigt die Neuverschuldung. «Dies sind aussergewöhnliche Massnahmen für ungewöhnliche Zeiten», sagte Regierungschef Li Keqiang in seinem Rechenschaftsbericht. Er warnte, die Epidemie sei «noch nicht zu Ende», auch wenn China grosse Fortschritte im Kampf gegen das Sars-CoV-2-Virus gemacht habe. Die rund 2900 Abgeordneten sassen alle mit Mundschutz in der Grossen Halle des Volkes, während die kommunistische Führung auf dem Podium auf Gesichtsmasken verzichtete.
«Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor», schwor Li Keqiang die Delegierten ein. China sehe sich Faktoren gegenüber, «die schwer vorherzusagen sind». Wegen der «grossen Unsicherheiten» hinsichtlich der Covid-19-Pandemie und der weltweiten Wirtschaftskrise verzichte er auf eine Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum. Es war im ersten Quartal um 6,8 Prozent eingebrochen. Im Vorjahr lag das Wachstum mit 6,1 Prozent innerhalb der Vorgabe von 6,0 bis 6,5 Prozent.
Markante Erhöhung der Militärausgaben
Ungeachtet der wirtschaftlich schwierigen Lage steigen die Militärausgaben um 6,6 Prozent. Schon früher war der Verteidigungshaushalt meist schneller als die Wirtschaft gewachsen. Die Steigerung liegt allerdings unter dem Niveau des Vorjahres von 7,5 Prozent. Vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen mit den USA und Pekings Drohungen gegen das demokratische Taiwan wird der Ausbau des chinesischen Militärs mit Sorge beobachtet.
Wegen der Ausbreitung des Coronavirus hatte die Jahrestagung im März zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte der Volksrepublik verschoben werden müssen. Indem das Treffen jetzt nachgeholt wird, demonstriert China als Ursprungsland der Pandemie, dass es im Kampf gegen das Virus weit vorangekommen ist. Trotzdem gab es strenge Sicherheitsvorkehrungen, um Infektionen der Angereisten zu vermeiden. Delegierte mussten sich zwei Corona-Tests unterziehen. Das Treffen wurde von sonst knapp zwei auf eine Woche verkürzt.
Li verteidigt Vorgehen bei Corona-Ausbruch
Der Ministerpräsident erklärte zum Umgang Chinas mit dem Virus, Peking habe eine «offene, transparente und verantwortliche Haltung» in der internationalen Kooperation eingenommen und «rechtzeitig» Informationen zur Verfügung gestellt. Er reagierte damit auf Vorwürfe besonders von US-Präsident Donald Trump, den Ausbruch anfangs vertuscht, nicht ausreichend kooperiert und damit zur starken Ausbreitung des Virus weltweit beigetragen zu haben.
Umstrittenes Sicherheitsgesetz für Hongkong
Li Keqiang warb für die kontroversen Pläne, ein Sicherheitsgesetz für Hongkong zu erlassen. Die prodemokratische Opposition in der chinesischen Sonderverwaltungsregion fürchtet, zum Ziel dieses Gesetzes zu werden. Es wird sich voraussichtlich gegen Aktivitäten richten, die Peking als subversiv empfindet oder die auf eine Unabhängigkeit abzielen könnten. Kritiker sehen einen Angriff auf den Grundsatz «ein Land, zwei Systeme», nach dem die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 an China autonom verwaltet wird.
Der Volkskongress soll über das Gesetz beraten und seinem Ständigen Ausschuss am Ende der Tagung am Donnerstag den Auftrag zur Verabschiedung geben. Es soll unter Anhang III des Hongkonger Grundgesetzes neben anderen gültigen nationalen Gesetzen eingefügt werden. Der Vizepräsident des Volkskongresses, Wang Chen, begründete das Vorgehen damit, dass der Legislativrat bis heute keine Sicherheitsgesetze verabschiedet habe, obwohl er nach Artikel 23 dazu verpflichtet gewesen sei. Die Pläne waren 2003 auf Eis gelegt worden, als mehr als eine halbe Million Menschen dagegen protestiert hatten.
Offenbar mit Blick auf die Proteste sagte Wang Chen, die nationalen Sicherheitsrisiken seien in Hongkong ein «herausragendes Problem» geworden. Energische Massnahmen müssten ergriffen werden, um solche Aktivitäten «zu vermeiden, zu stoppen und zu bestrafen». Das Gesetz soll sich auch gegen ausländische Einmischung richten.
Die Pläne dürften die Demonstrationen in Hongkong anfachen und stiessen auch international auf Kritik. Trump sagte: «Falls es dazu kommt, werden wir uns sehr stark zu diesem Thema positionieren.» (awp/mc/pg)