Die deutsche Wirtschaft legt einer ersten Schätzung zufolge im zweiten Quartal um 1.5 % gegenüber dem Vorquartal zu. Gegenüber dem Vorjahresquartal steht eine Wachstumsrate von 9.6 % zu Buche (preisbereinigt).
Die Wachstumsrate gegenüber dem Vorjahresquartal erreicht einen neuen Rekord seit der Wiedervereinigung. Aber das ist in Anbetracht des massiven wirtschaftlichen Einbruchs aufgrund der ersten Corona-Welle und den verhängten Eindämmungsmassnahmen im vergangenen Jahr auch kein grosses Kunststück. Die Aufmerksamkeit richtet sich vielmehr auf die Entwicklung gegenüber dem ersten Quartal dieses Jahres. Dabei gilt: Das Wachstum fällt ordentlich aus, doch es hätte zu noch mehr gereicht, wenn nicht die Materialknappheit gewesen wäre.
Doch der Reihe nach: Im April und auch in Teilen des Mai galten noch Restriktionen zur Eindämmung der Corona-Infektion. Die sogenannte «Bundesnotbremse» belastete also noch in grossen Teilen des zweiten Quartals das Wachstum. Die breitflächigen Öffnungen im Dienstleistungssektor schoben dann jedoch das Wachstum kräftig an. Vor allem der Hotel- und Gaststättensektor sowie der Freizeitsektor waren die Wachstumssäulen. Der private Konsum glänzt deshalb im zweiten Quartal.
Doch es wäre eigentlich deutlich mehr drin gelegen. Die Industrie war ein Totalausfall. Der Mangel an Vorprodukten und Rohstoffen bremste das verarbeitende Gewerbe aus. Trotz gut gefüllter Auftragsbücher stockte die Produktion. Fliessbänder in der Automobilindustrie standen still und auch so manch kleiner Mittelständler oder Handwerker litt unter fehlenden Materialien. Ohne die Nachholeffekte im Hotel- und Gaststättengewerbe hätte es für die deutsche Wirtschaft lediglich Magerkost gegeben.
Die gute Nachricht ist allerdings, dass der Aufholprozess der deutschen Wirtschaft im laufenden Quartal weitergeht. Die Wachstumsrate wird im dritten Quartal höher als im zweiten Quartal ausfallen. Damit kommt das deutsche Bruttoinlandsprodukt seinem Vorkrisenniveau sehr nahe. Wachstumstreiber bleibt weiterhin der private Konsum. Der Hotel- und Gaststättensektor sowie der Freizeitsektor sind auch über den Sommer hinweg die Pfeiler des Wachstums. Die Industrie dürfte hingegen nur schleppend vorankommen. Der Materialmangel belastet auch im laufenden Quartal die Produktion. Zu hoffen ist, dass im vierten Quartal dann ausreichend Vorprodukte und Rohstoffe zur Verfügung stehen. Eine anziehende Industrieproduktion würde dann für die sich normalisierenden Umsätze im Dienstleistungssektor in die Bresche springen. In dieser Konstellation könnte dann auch im Schlussquartal noch eine relativ hohe Wachstumsrate veranschlagt werden.
Doch so schön das Szenario einer anziehenden Industrieproduktion in den Wintermonaten auch ist, das Risiko einer weiteren Corona-Welle lastet auf diesem Ausblick. Die sich rasant ausbreitende Delta-Variante stellt eine Belastung für die weitere globale Erholung dar. Gerade Deutschland als exportstarke Nation würde darunter leiden. Einmal mehr gilt: Es kommt weiterhin auf die Impferfolge an. (VPB/mc)