Wolfsburg – Ein Jahr nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals kämpft der VW-Konzern an so vielen Fronten wie nie zuvor. In der Affäre um weltweit elf Millionen manipulierte Dieselautos sind allenfalls frühe Etappen genommen. So kostet ein erster Vergleich in den USA bis zu 14,7 Milliarden Dollar (aktuell 13,1 Mrd Euro). Es drohen aber weitere Zivilklagen und auch strafrechtliche Folgen.
Beim Rückruf der Fahrzeuge mit dem Skandal-Motor EA 189 hat der Konzern zwar kürzlich rund die Hälfte der für Europa nötigen Genehmigungen vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erhalten. Doch ursprünglich sollte der Rückruf 2016 abgewickelt sein – nun gilt dieses Ziel lediglich für die KBA-Genehmigungen. Wann die letzten Autos in die Werkstatt können, ist unklar. Es dürfte 2017 werden.
Kosten von bis zu 35 Milliarden Euro?
Analysten wie Frank Schwope von der NordLB rechnen mit bis zu 35 Milliarden Euro Kosten für das Diesel-Debakel – und Ungewissheit auf Jahre. «Verschiedene Prozesse werden sich mindestens eine Dekade hinziehen, die tatsächlichen Gesamtkosten des Skandals dürften in der Folge gleichfalls frühestens in zehn Jahren feststehen», sagt er.
Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt inzwischen gegen 30 Beschuldigte. Ob die Behörde Anklage erhebt, ist noch in der Prüfung – Entscheidungen sind für dieses Jahr nicht mehr realistisch. Prozesse könnten dann frühestens 2017 starten, falls das Gericht sie eröffnet.
Auch intern bemüht sich VW weiter um Gewissheit zur Schuldfrage. Nach dpa-Informationen ist der Kreis möglicher Beteiligter eingegrenzt. Doch die Abfolge hinter den Entscheidungen bleibe unklar. VW will die Untersuchung bis zum Jahresende beenden. Die Veröffentlichung der Ergebnisse hängt auch an der Abstimmung mit US-Behörden wie dem FBI.
Konzernchef Matthias Müller bilanzierte Ende Juni, es gelte, gesetzestreues und wertegeleitetes Handeln noch konsequenter im Unternehmen zu verankern und auch vorzuleben.
Absatzeinbruch bleibt aus
Im Alltagsgeschäft blieb immerhin der befürchtete Absatzeinbruch aus. Aber mit rund 1,6 Milliarden Euro Nachsteuerverlust wurde 2015 zum verlustreichsten Jahr in der rund 80-jährigen VW-Konzerngeschichte.
Auch im ersten Halbjahr 2016 kostete die Abgas-Affäre Europas grössten Autobauer Gewinnkraft: Unterm Strich sackte das Ergebnis um gut ein Drittel auf 3,46 Milliarden Euro ab. Als neuen Risikopuffer musste der Konzern aus dem Gewinn weitere 1,6 Milliarden Euro herausnehmen. Zuvor hatten die Rückstellungen schon 16,2 Milliarden Euro betragen.
Zu allem Überfluss muss sich VW mitten in der Krise für branchenweit gewaltige Herausforderungen wappnen. Autopilot-Funktionen sollen das Steuern überflüssig machen, durch die Digitalisierung werden Autos zu Apps auf Rädern. Die E-Mobilität trifft Verbrennungsmotoren und deren Wertschöpfung, an der Tausende Jobs nicht nur bei Volkswagen hängen. Ein «Zukunftspakt» soll der Belegschaft neue Sicherheiten bringen. VW will in dieser Gemengelage zum «Mobilitätsdienstleister» werden. (awp/mc/upd/ps)