Weiter keine formelle Entscheidung zu Taurus
Berlin / Kiew / Washington – Seit Monaten fordert die Ukraine von Deutschland die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern, um russische Stellungen weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Nach einem Bericht der «Bild» und des ARD-Hauptstadtstudios soll nun klar sein, dass die Bundesregierung den Wunsch des von Russland angegriffenen Landes vorerst nicht erfüllen wird. Eine Bestätigung dafür gab es am Mittwochabend allerdings zunächst nicht. «Zur Frage von Taurus-Marschflugkörpern gibt es keinen neuen Sachstand mitzuteilen», sagte eine Regierungssprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Im Klartext bedeutet das: Eine formelle Entscheidung gibt es weiter nicht. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen immer wieder erklärt, dass man sich die Entscheidung nicht leicht machen werde und das Thema weiter mit den Bündnispartnern diskutiere.
Derweil geht Bundeskanzler Olaf Scholz fest davon aus, dass die USA ihre Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine trotz des Haushaltsstreits im Kongress fortsetzen werden. «Ich bin sehr überzeugt davon, dass der amerikanische Kongress die notwendige Unterstützung für die Ukraine auch möglich machen wird», sagte der SPD-Politiker am Mittwoch auf einer Pressekonferenz mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Nikolaj Denkow in Berlin. «Es gibt sowohl unter den Abgeordneten der Demokratischen Partei als auch der Republikanischen Partei eine grosse, grosse Zahl, die genau diese Unterstützung auch wichtig finden und auch grosse Mehrheiten dafür.»
Deswegen sei er überzeugt, dass es im politischen Prozess gelingen werde, die Mittel für die weitere Unterstützung der Ukraine zu bewilligen, sagte Scholz. US-Präsident Joe Biden habe am Dienstag in einem Telefonat mit den wichtigsten Verbündeten versichert, dass auch in dieser Frage Verlass auf die USA sei.
In dem am Wochenende vom US-Kongress verabschiedeten Übergangshaushalt sind keine weiteren Ukraine-Hilfen vorgesehen. Das heisst nicht, dass die USA Kiew von jetzt auf gleich nicht mehr unterstützen. Doch geht das bisher genehmigte Geld zur Neige.
Der US-Präsident wolle sich bald in einer grösseren Rede zur Ukraine und der Unterstützung für das angegriffene Land äussern, sagte er am Rande eines Termins in Washington am Mittwoch.
Keine formelle Absage an Kiew
Auch «Bild» berichtete, dass Deutschland der Regierung in Kiew bislang der Anfrage nach den Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern keine formelle Absage erteilt habe. Intern sei aber klargemacht worden, dass die Taurus-Raketen derzeit nicht geliefert werden. So halte sich Scholz die Option für die Zukunft offen.
Öffentlich hat der Kanzler zuletzt immer wieder erklärt, dass sich Deutschland aktuell auf die Lieferung von Luftabwehrsystemen konzentrieren wolle. Seine skeptische Haltung zu den Marschflugkörpern ist bekannt. Dahinter steckt, dass mit den Waffen auch bis weit auf russisches Territorium geschossen werden kann.
Selenskyj erwartet neue Zusagen zur Luftverteidigung
Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet unterdessen neue Zusagen des Westens für die Lieferung weiterer Flugabwehrsysteme, wie er in seiner abendlichen Videobotschaft in Kiew sagte. «Wir tun unser Bestes, die Ukraine mit mehr Luftverteidigungssystemen vor dem Winter auszustatten. Wir erwarten gewisse Entscheidungen von unseren Partnern.» Details nannte er nicht.
Der Staatschef hatte immer wieder noch mehr Flugabwehrsysteme gefordert, um die Städte sicherer zu machen und vor allem die von den Russen angegriffene Energie-Infrastruktur besser zu schützen. Die bisher vom Westen gelieferten Flugabwehrsysteme helfen der Ukraine, den Grossteil der russischen Angriffe mit Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern abzuwehren. Allerdings sind nach Darstellung der Führung in Kiew noch viel mehr solcher Anlagen nötig. Zusammen mit den vom Westen angekündigten Lieferungen von F16-Kampfjets will die Ukraine die Kontrolle über ihren Luftraum wiedererlangen.
Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als anderthalb Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Dabei setzt die Führung in Kiew vor allem auf westliche Finanzhilfen und auf Waffenlieferungen.
USA schicken beschlagnahmte Munition in die Ukraine
Die US-Regierung hat der Ukraine eigenen Angaben nach vom Iran beschlagnahmte Munition geschickt. Die Munition sei ursprünglich im Dezember 2022 vom US-Militär im Golf von Oman auf einem Schiff sichergestellt worden, teilten das zuständige Regionalkommando des US-Militärs (Centcom) und das US-Justizministerium am Mittwoch (Ortszeit) mit. Der Iran habe die rund 1,1 Millionen Schuss den Huthi-Rebellen im Jemen schicken wollen, hiess es weiter. Das sei ein Verstoss gegen eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Die USA erklärten die Munition folglich zu ihrem Eigentum.
Mit diesem Waffentransfer unterstütze das Vorgehen der US-Regierung gegen ein autoritäres Regime nun direkt den Kampf der Ukraine gegen ein anderes autoritäres Regime, so das US-Justizministerium.
Ex-EU-Kommissionschef Juncker hält Ukraine für «nicht beitrittsfähig»
Der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker warnte indes vor einem übereilten Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union. «Wer mit der Ukraine zu tun gehabt hat, der weiss, dass das ein Land ist, das auf allen Ebenen der Gesellschaft korrupt ist», sagte Juncker der «Augsburger Allgemeinen» (Donnerstag). «Trotz der Anstrengungen ist es nicht beitrittsfähig, es braucht massive interne Reformprozesse», sagte Juncker weiter. Die EU habe mit einigen «sogenannten neuen Mitgliedern» schlechte Erfahrungen mit Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit gemacht. Das dürfe sich nicht wiederholen.
Auch dem Land selbst gegenüber, sei ein solches Vorgehen nicht fair, gab Juncker zu bedenken. «Man darf den Menschen in der Ukraine, die bis zum Hals im Leid stecken, keine falschen Versprechungen machen.» Dennoch müsse eine «europäische Perspektive» für Moldau und die Ukraine, «die sich so tugendhaft (gegen Russland) wehrt und europäische Werte verteidigt», aufrechterhalten bleiben.
EU-Ratspräsident Charles Michel hatte zuletzt einen Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union bis zum Jahr 2030 – unter bestimmten Voraussetzungen befürwortet.
Was am Donnerstag wichtig wird
Der Kreml hat eine Rede von Präsident Wladimir Putin bei dem grossen politischen Diskussionsforum Waldai in Sotschi am Schwarzen Meer angekündigt. Es wird erwartet, dass sich Putin zu globalen Konflikten äussert, darunter auch zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Den Organisatoren zufolge sind bei dem 20. Waldai-Forum 140 Experten aus mehr als 40 Ländern anwesend. (awp/mc/ps)