Widerstand in der SPD gegen Koalitionsverhandlungen wächst
Berlin – Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat bei den Bemühungen, seine Partei für Koalitionsverhandlungen mit der Union hinter sich zu bringen, einen weiteren Dämpfer einstecken müssen. Am Montagabend sprach sich der Landesvorstand der Berliner SPD mit 21 zu 8 Stimmen gegen Verhandlungen über eine Neuauflage der grossen Koalition aus. Die Entscheidung auf dem Bundesparteitag stehe aber jedem der 23 Delegierten frei, sagte eine Parteisprecherin.
Rückenwind erhielt Schulz dagegen von der Brandenburger SPD. Deren Landesvorstand befürwortete mit 9 zu 2 Stimmen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Die Brandenburger SPD schickt 10 Delegierte zum Sonderparteitag nach Bonn.
Schulz begann am Montag in Dortmund vor Parteitagsdelegierten aus Westfalen seine Werbetour für Koalitionsverhandlungen. «Es war ein sehr offener und sehr konstruktiver Meinungsaustausch», sagte er anschliessend. Es sei «viel Nachdenklichkeit» ausgelöst worden. Dem Parteitag sehe er sehr optimistisch entgegen.
Ein SPD-Sonderparteitag wird am Sonntag darüber entscheiden, ob die SPD in Koalitionsverhandlungen mit der Union einsteigt. Von Seiten der Union ist der Weg für Koalitionsverhandlungen frei: Nach dem CDU-Vorstand am Freitag billigte am Montag auch der CSU-Vorstand die Aufnahme förmlicher Verhandlungen über eine Neuauflage der grossen Koalition – auf Basis des Sondierungspapiers. Sowohl die CDU- als auch die CSU-Spitze wollen noch am Sonntagabend direkt nach der Entscheidung des SPD-Parteitags über die Konsequenzen beraten.
Sondierungskompromiss in der Kritik
Zahlreiche SPD-Politiker haben inzwischen den Sondierungskompromiss kritisiert und Nachbesserungen in den Koalitionsverhandlungen verlangt. Sie betreffen zum Beispiel die Einführung der Bürgerversicherung und ein Verbot der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund.
Der rheinland-pfälzische SPD-Landeschef Roger Lewentz fordert, mit der Union auch noch über höhere Renten zu reden. «Sollte es zu Verhandlungen kommen, müssen die Punkte ja auch mit noch mehr Leben erfüllt werden», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. «Dann müssen natürlich auch Antworten gegeben werden, wie Rente wieder steigen kann und wie das nach 2025 in diesem Sinne aussieht.» Aus Sicht von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wurde bislang auch zu wenig über die medizinische Versorgung auf dem Land gesprochen. «Das werden wir bei möglichen Koalitionsverhandlungen auf jeden Fall thematisieren», sagte er der «Welt».
Juso-Chef Kevin Kühnert sieht in der SPD weiterhin grosse Skepsis gegenüber einer neuen grossen Koalition, die er selbst vehement ablehnt: «Viele – und zwar nicht nur bei den Jusos – sind unzufrieden mit dem Sondierungspapier», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Die Stimmung in der SPD ist sehr kontrovers.»
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) warb für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union. «Wir sind es unseren Wählern schuldig, jetzt in Koalitionsverhandlungen auszuloten, inwiefern wir unser Land ein Stück gerechter machen können», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Wir dürfen es uns nicht so einfach machen wie die FDP bei ihrem Jamaika-Theater.»
Die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Andrea Nahles, versprach in der «Passauer Neuen Presse» (Dienstag): «Wir werden versuchen, für den Koalitionsvertrag alles rauszuholen, was möglich ist.» Sie wolle aber keine Illusionen verbreiten. So habe die Union beim Ende der Befristung von Jobs ohne sachliche Begründung massiv abgeblockt. «Ich sehe nicht, wie wir diese verhärtete Position aufbrechen können, auch wenn wir es erneut versuchen.»
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wies die SPD-Forderungen zurück. «Die CDU wird die Sondierungsergebnisse nicht neu verhandeln», sagte er der «Rheinischen Post» (Dienstag).
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) warf Teilen von CDU und CSU vor, durch Störmanöver die Bildung einer neuen grossen Koalition zu hintertreiben. «Da sind Frondeure am Werk, die eine versteckte Agenda verfolgen», sagte sie der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Dienstag). Vor allem Äusserungen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt legten die Vermutung nahe, ihm gehe es darum, die «Alten loszuwerden» und durch ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen die Parteichefs Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) zu Fall zu bringen. (awp/mc/ps)