Venezuelas Staatspräsident Nicolás Maduro.
Caracas – Venezuelas Präsident Nicolás Maduro verleiht sich und dem Militär Sondervollmachten, um die dramatische Versorgungslage zu bekämpfen. Das sehen die Details eines veröffentlichten Dekrets zur Verhängung des Ausnahmezustands und des ökonomischen Notstands vor.
Das im Amtsblatt der Regierung erschienene, umfangreiche Dekret sollte eigentlich nur einen seit Januar geltenden ökonomischen Notstand um weitere 60 Tage verlängern, mit dem etwa die Lebensmittelversorgung gesichert werden soll. Nun heisst es aber zum Beispiel im Artikel 2, Absatz 3, dass das Militär und Bürgerwehren «die Verteilung und Vermarktung von Lebens- und Grundnahrungsmitteln» garantieren können.
Die Ermächtigung an die Streitkräfte kann bedeuten, dass Unternehmen am Ende zur Produktion gezwungen werden. Zuletzt hatte Polar, das grösste Privatunternehmen, unter anderem die Bierproduktion gestoppt, weil aus Devisenmangel kein Gerstenmalz mehr importieren werden kann. Der Lebensmittelkonzern liegt im Clinch mit Maduros Regierung. Maduro wirft privaten Unternehmern vor, aus ideologischen Gründen einen Wirtschaftskrieg gegen seine sozialistische Regierung zu führen.
Militärmanöver
Die Details gehen weit über das hinaus, was bisher bekannt war und richten sich offensichtlich auch gegen die Opposition, die über die Mehrheit im Parlament verfügt. Mit «Spezialmassnahmen» soll laut Dekret auch eine Einmischung des Auslands in innere Angelegenheiten unterbunden werden, berichtete das Portal «El Universal» am Montagabend. Maduro hatte am Wochenende Militärmanöver angekündigt.
Ein Punkt lässt sich so interpretieren, dass die Mitspracherechte des Parlaments eingeschränkt werden – die Opposition warnt vor einem «Putsch» und kündigte für Dienstag eine Sitzung des Parlaments an – sie will Maduro per Referendum schnellstmöglich zu Fall zu bringen.
Es wurden in einem ersten Schritt rund 1,8 Millionen Unterschriften gesammelt, aber aus der Regierung hiess es, es werde kein Referendum geben. Ein Bündnis von Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten hatte den Sozialisten im Dezember eine verheerende Niederlage bei der Parlamentswahl zugefügt. Nun werden dem Präsidenten aussergewöhnliche Rechte eingeräumt. So ist in Artikel 3 davon die Rede, dass er autorisiert wird, «Massnahmen der sozialen Ordnung (…), sowie im ökonomischen, politischen und juristischen Bereich anzuordnen».
Verzweifelte Lage
Das Dekret gilt 60 Tage und kann um 60 Tage verlängert werden. Die Lage im Land ist verzweifelt: Leere Regale, lange Schlangen prägen das Bild. In Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten, die medizinische Versorgung steht vor dem Zusammenbruch. Durch die zuletzt höchste Inflation der Welt, Devisenknappheit und eine enorme Rezession steht das Land mit den grössten Ölreserven der Welt nach 16 Jahren sozialistischer Regierung vor dem Ruin. Zwischen Opposition und Regierung ist die Lage enorm gespannt, viele fürchten eine neue Gewaltwelle im Land.
In dem Dekret wird auch verfügt, dass allen anderen ausser dem Militär und den Bürgerwehren das Tragen von Waffen verboten werden kann – in dem Land sind viele Waffen im Umlauf, die Hauptstadt Caracas hat eine der höchsten Mordraten der Welt. Hinzu kommt eine seit Wochen andauernde schwere Energiekrise, weil das grösste Wasserkraftwerk des Landes, das normalerweise mit einer Leistung von 10 000 Megawatt über 60 Prozent der Energie produzieren kann unter einem strarken Wassermangel leidet. Daher gab es zuletzt teilweise 2-Tage-Wochen, Schulen blieben häufiger geschlossen. Maduro drohte auch dem Parlament, den Strom abzustellen, Frauen riet er, auf das Föhnen zu verzichten.
Auch gegen ausländische Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) kann nun dem Dekret zufolge vorgegangen werden, wenn sie nach Einschätzung des Aussenministeriums die Stabilität des Landes gefährden – ihnen kann die Finanzierung von Projekten im Land untersagt werden. Aus Deutschland unterhalten unter anderem die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung Büros in Caracas.
Der frühere Busfahrer Maduro steht unter erheblichem Druck, auch wenn er nach eigenen Angaben immer noch «wie ein Baby schläft». In eigenen Reihen ist er nicht mehr unumstritten, er hatte 2013 den gestorbenen Hugo Chávez beerbt. Aber neben Misswirtschaft hat der stark gefallene Ölpreis die Krise verschärft, die Sozialprogramme im Rahmen eines «Sozialismus des 21 Jahrhunderts» sind kaum noch zu finanzieren. (awp/mc/ps)