Mannheim – Belastet durch den Krieg in der Ukraine sind die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten so stark eingebrochen wie nie zuvor. Das Stimmungsbarometer des Mannheimer Forschungsinstituts ZEW fiel im März gegenüber dem Vormonat um 93,6 Punkte auf minus 39,3 Punkte, wie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag in Mannheim mitteilte. Der Rückgang war auch deutlich stärker als erwartet. Analysten hatten im Schnitt einen Rückgang auf plus 5,0 Punkte prognostiziert.
Es ist der stärkste Rückgang der Erwartungen seit Beginn der Umfrage im Dezember 1991. Zum Vergleich: Zu Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 fiel der Indikator um 58,2 Punkte. Nach dem jetzigen Rückgang erreichen die Erwartungen den niedrigsten Stand seit März 2020, also zu Zeiten der ersten Corona-Welle in Deutschland.
Die Bewertung der Konjunkturlage trübte sich zwar auch ein. Der Rückgang war jedoch deutlich moderater. Der Indikator fiel um 13,3 Punkte auf minus 21,4 Zähler. Hier waren minus 22,5 Punkte erwartet worden.
«Rezession immer wahrscheinlicher»
«Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher», kommentiert ZEW-Präsident Achim Wambach. «Der Ukrainekrieg und die Sanktionen gegen Russland verschlechtern den wirtschaftlichen Ausblick für Deutschland ganz erheblich.»
Sorgen bereitet laut Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, vor allem die Industrie. «Der Krieg in der Ukraine ist eine schwerwiegende Belastung für die ohnehin angeschlagenen Lieferketten», heisst es in einem Kommentar. «Es fehlen etwa in der Automobilindustrie die in der Ukraine hergestellten Kabelbäume.» Darüber hinaus könnten die hohen Energiekosten nicht in allen Branchen an Kunden weitergereicht werden. Es bestehe die Gefahr von Produktionsstilllegungen.
Die trüben Konjunkturaussichten gehen einher mit extrem steigenden Inflationserwartungen. Der entsprechende Indikator kletterte im März sprunghaft um 107,7 Punkte auf einen Wert von 70,2 Punkten. Laut Wambach gehen die befragten Experten von einer Stagflation in den kommenden Monaten aus. Dies ist ein gleichzeitiges Auftreten von einer schwachen Wirtschaft und einer hohen Inflation.
Für die Eurozone insgesamt zeichnen die Daten des ZEW ein ähnliches Bild. Für die Europäische Zentralbank (EZB) wird so die Geldpolitik noch schwieriger. Angesichts der hohen Inflation müsste sie eigentlich die Zinsen anheben. Dies würde allerdings auch die Wirtschaft belasten. (awp/mc/ps)