Washington – Der US-Senat hat das Amtsenthebungsverfahren gegen Ex-Präsident Donald Trump mehrheitlich für verfassungsgemäss erklärt. Damit ist der Versuch von Trumps Verteidigern gescheitert, das sogenannte Impeachment gleich zu Beginn zu stoppen. Sechs republikanische Senatoren stimmten dabei mit den 50 demokratischen Senatoren. Sie machten damit den Weg frei für das weitere Prozedere: Ab Mittwoch (Ortszeit; 18.00 Uhr MEZ) werden die Anklagevertreter ihre Argumente in der Sache darlegen, gefolgt von der Verteidigung.
Die Ankläger argumentierten am Dienstag, Trump müsse für sein Handeln als Präsident bis zum letzten Tag im Amt geradestehen – und damit auch für die gewaltsame Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger zwei Wochen vor seinem Abschied aus dem Weissen Haus. Trumps Anwälte wiederum argumentierten, das Verfahren sei politisch motiviert und verfassungswidrig, weil Trump nicht mehr im Amt sei.
Trump-Anwalt «unorganisiert und chaotisch»
Zunächst sprach für Trump der Anwalt Bruce Castor. Sein rund 45 Minuten langer Vortrag wurde von mehreren Demokraten als zusammenhangslos und wirr bezeichnet. Selbst republikanische Senatoren wie Kevin Cramer und John Cornyn, die gegen die Verfassungsmässigkeit des Verfahrens stimmten, räumten ein, die Präsentation der Ankläger sei besser gewesen. Der Republikaner Bill Cassidy, der sich der demokratischen Mehrheit anschloss, nannte Castors Vortrag im Gespräch mit dem Sender CNN «unorganisiert, chaotisch». Seine Parteikollegin Lisa Murkowski sagte US-Medien zufolge, «ich konnte nicht verstehen, was er sagen wollte».
Trump stinksauer
Trump sei wütend gewesen, als er den Vortrag Castors am Fernseher verfolgte, schrieb die «New York Times» unter Berufung auf namentlich nicht genannte Personen. Auf einer Skala von eins bis zehn sei Trumps Wut einer Acht gleichgekommen. Der Ex-Präsident habe «fast geschrien», berichtete der Sender CNN unter Verweis auf ungenannte Quellen.
Trumps zweiter Verteidiger, David Schoen, hingegen setze sogleich zum Angriff an. Die Demokraten hätten das Verfahren nur eingeleitet, um Trump «von der politischen Bühne zu entfernen», klagte er. Dies sei ein Missbrauch des Impeachment-Verfahrens für politische Zwecke. Den Demokraten gehe es – anders als sie es darstellten – auch nicht darum, das Land zu einen, im Gegenteil. «Dieser sogenannte Prozess wird das Land zerreissen», mahnte Schoen. Zudem betonte er, das Verfahren gegen die Privatperson Trump sei verfassungswidrig.
«Anstiftung zum Aufruhr»
Der oberste Anklagevertreter der Demokraten aus dem Repräsentantenhaus, Jamie Raskin, hielt dagegen, ein Präsident müsse sich bis zum letzten Tag im Amt für seine Taten verantworten. Alles andere wäre höchst gefährlich. Die Demokraten verwiesen ausserdem darauf, dass das Repräsentantenhaus die Eröffnung des Verfahrens bereits am 13. Januar beschlossen hatte – also eine Woche vor Trumps Ausscheiden aus dem Amt. Die Ankläger zeigten zu Beginn ihrer Präsentation auch dramatische Videos von der Erstürmung des Kapitols.
Die Demokraten werfen Trump «Anstiftung zum Aufruhr» vor und haben im Repräsentantenhaus – unterstützt von zehn republikanischen Abgeordneten – ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Sie wollen mit dem Vorgehen gegen Trump auch erreichen, dass der Republikaner für künftige Ämter auf Bundesebene gesperrt wird. Damit würde ihm etwa eine Präsidentschaftskandidatur 2024 verwehrt. Geführt und entschieden wird das Impeachment-Verfahren im Senat. Die Kongresskammer nimmt dabei die Rolle eines Gerichts ein.
Wenig Chancen für Verurteilung
Bislang scheint es unwahrscheinlich, dass im Senat die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit zustandekommen könnte, um Trump zu verurteilen. Dafür müssten sich 17 Republikaner den 50 demokratischen Senatoren anschliessen. Die geringen Chancen für eine Verurteilung zeigt auch das Votum zur Verfassungsmässigkeit vom Dienstag. 44 Republikaner werteten den Prozess als nicht verfassungskonform. Dass von ihnen fast ein Dutzend am Ende umschwenken und für eine Verurteilung ihres Parteikollegen stimmen könnte, ist kaum vorstellbar. Ein Schuldspruch für Trump wäre auch die Voraussetzung für eine Ämtersperre.
Sturm aufs Kapitol
Trump-Anhänger hatten am 6. Januar gewaltsam den Kongresssitz in Washington erstürmt. Bei den Krawallen kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Die Angreifer hatten mit der Attacke versucht, eine Sitzung zu stoppen, bei der der Kongress den Wahlsieg von Trumps Nachfolger Joe Biden zertifizieren sollte. Trump hatte seine Anhänger kurz zuvor bei einer Kundgebung damit aufgewiegelt, dass ihm der Wahlsieg gestohlen worden sei. Er sagte damals unter anderem: «Wenn Ihr nicht wie der Teufel kämpft, werdet Ihr kein Land mehr haben.»
Ab Mittwoch haben Anklagevertreter und Verteidiger nun ausführlich Zeit, um jeweils 16 Stunden lang über zwei Tage verteilt ihre Argumente vorzubringen. Die Ankläger dürften auch in den kommenden Tagen alles daran setzen, durch Bilder und Erzählungen die Erinnerungen an jenen Januar-Tag wieder zu erwecken, an denen Senatoren sich selbst vor einem wütenden Mob in Sicherheit bringen mussten. Es wird erwartet, dass das Verfahren nur einige Tage dauern wird und sich womöglich lediglich bis ins Wochenende oder bis in den Beginn der kommenden Woche zieht.
Trump geht als erster US-Präsident in die Geschichte ein, gegen den während seiner Amtszeit gleich zwei Amtsenthebungsverfahren im Repräsentantenhaus eingeleitet wurden. In dem ersten Verfahren musste er sich in der sogenannten Ukraine-Affäre wegen Machtmissbrauchs und der Behinderung von Kongressermittlungen verantworten. Im Februar 2020 wurde er am Ende jedoch von allen Vorwürfen freigesprochen – mit der damaligen Mehrheit seiner Republikaner im Senat. (awp/mc/pg)