Andreas Meyer, CEO SBB.
Von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Meyer, bei ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt „wir müssen unangenehme und anspruchsvolle Hausaufgaben angehen, da kann man nicht oft frohe Botschaften verkünden.“ Heute gehen die „frohen Botschaften“, wie die SBB-Jahresbilanz 2010, in der Diskussion um die Finanzierung der Bahninfrastruktur fast unter. Stellen wir die „good news“ also an den Anfang. Was war 2010 besonders positiv?
Andreas Meyer: Wir haben auch 2010 wieder einen wesentlichen Beitrag an die Lebensqualität in unserem Land geleistet und bei der Pünktlichkeit, der Sicherheit und der Kundenzufriedenheit ausgezeichnete Werte erzielt. Die 28‘000 Mitarbeitenden der SBB haben also Tag für Tag für Tag einen super Job gemacht und mit grösstem Einsatz dafür gesorgt, dass der Betrieb praktisch reibungslos lief. Unternehmerisch haben wir in vielen Bereichen die Hausaufgaben gemacht, heute herrscht Transparenz über die Kosten und es gibt eine Langfristplanung. Was mich ebenfalls sehr gefreut hat, ist der Durchbruch auf politischer Ebene. Der Bundesrat, das Parlament und auch die Parteien anerkennen heute, dass der öffentliche Verkehr mehr Mittel braucht. Ich bin Bundesrätin Doris Leuthard sehr dankbar, dass sie die Diskussion darüber, wie wir die Bahn der Zukunft finanzieren können, so mutig und zielgerichtet lanciert hat und vorantreibt. Und dann waren da natürlich noch die Durchschläge am Gotthard und in der Durchmesserlinie Zürich – jedes für sich ein Jahrhundertbauwerk für die Bahn der Zukunft.
Trotz eines Gewinns von fast 300 Mio. Franken ist die Verschuldung gestiegen. Welches waren die Hauptursachen?
Wir mussten auch 2010 fast eine Milliarde Franken in neues Rollmaterial investieren, welches in den nächsten Jahren schrittweise auf die Schiene kommt. Dazu kam ein Beitrag von 938 Millionen Franken an die Sanierung der SBB-Pensionskasse. Und weil wir bei den Immobilien im letzten Jahr keine grösseren Verkäufe hatten, ist unsere verzinsliche Verschuldung um 760 Mio. Franken auf rund 8 Mia. Franken angewachsen. Der Gewinn ist auch deshalb trügerisch, weil in den nächsten Jahren Mehrbelastungen bei den Trassenpreisen und bei der Energie von mehreren Hundert Millionen Franken auf uns zukommen – das ist fast das Doppelte von heute.
«Ich bin Bundesrätin Doris Leuthard sehr dankbar, dass sie die Diskussion darüber, wie wir die Bahn der Zukunft finanzieren können, so mutig und zielgerichtet lanciert hat und vorantreibt.»
Andreas Meyer, CEO SBB
Die SBB hat im vergangenen Jahr 6 % mehr Passagiere befördert als 2009, 951’000 jeden Tag. Von welcher weiteren Entwicklung gehen Sie aus?
Die Prognosen sagen alle das Gleiche: die Passagierzahlen werden weiter steigen. Der Bund rechnet bis 2030 mit einer Zunahme von bis zu 50 Prozent, in grossen Agglomerationen sogar bis zu 100 Prozent. Wie viel es wirklich sein werden, hängt natürlich auch von der Preisentwicklung ab. Wir stellen uns auf weiteres Wachstum ein und bauen unser Angebot in den nächsten Jahren entsprechend aus. Unsere Kundinnen können bald noch öfter, schneller und komfortabler an ihr Ziel gelangen.
Um all diese Passagiere befördern zu können, müssen immense Investitionen getätigt werden. Wie viel wird es in den nächsten 20 Jahren sein, für Rollmaterial einerseits, für die Infrastruktur andererseits?
Bis 2030 werden wir jedes Jahr rund eine Milliarde Franken für neues Rollmaterial ausgeben, und zwar Mittel, die wir selber erwirtschaften müssen. Damit können wir die Zahl der Sitzplätze schon bis 2017 um 40 Prozent erhöhen. Wie viel in den Unterhalt und Ausbau des Bahnnetzes investiert wird, entscheidet der Bund. Er schlägt vor, dass in einem ersten Schritt bis 2025 Projekte für 3,5 Mia. Franken realisiert werden. Für uns ist entscheidend, dass auch genug Geld für den Unterhalt des Schienennetzes zur Verfügung steht; in diesem Bereich besteht ein Nachholbedarf von mehreren Hundert Millionen Franken pro Jahr.
Die Diskussion um die Finanzierung ist voll entbrannt, zahlreiche Vorschläge liegen auf dem Tisch. Dass die Reisenden selbst tiefer in die Tasche greifen müssen, ist klar. Welche kurz- und langfristigen Modelle stellen Sie zur Diskussion?
Für uns ist klar, dass neben den Benutzern des öffentlichen Verkehrs auch der Bund und die Kantone ihren Beitrag leisten müssen. Sie profitieren ja auch stark von unseren leistungsfähigen Verkehrsinfrastrukturen. Wie die Lasten am Ende verteilt werden, ist momentan in der politischen Diskussion. Für uns ist entscheidend, dass Mehreinnahmen nicht nur in die Infrastruktur fliessen, weil wir auch zusätzliche Mittel für den Ausbau des Angebotes und die Weiterentwicklung unseres Unternehmens brauchen. Deshalb müssen wir auch die Tarife in den nächsten Jahren schrittweise erhöhen.
Mit welchen Preiserhöhungen werden die Passagiere kurzfristig zu rechnen haben und wie schnell kann die SBB mit neuen Doppelstockzügen die Engpässe auf den Hauptverkehrsachsen überwinden?
Wie gesagt: bis 2017 können wir die Zahl der Sitzplätze um 40 Prozent erhöhen. Auf den Hauptachsen werden schon bald 400 Meter lange, moderne Doppelstockzüge fahren. Damit diese aber auch störungsfrei und in dichtem Takt rollen können, müssen noch eine Reihe von Engpässen im Bahnnetz beseitigt werden. Einer der wichtigsten ist derjenige zwischen Olten und Zürich. Zudem müssen wir bei der Differenzierung der Preise vorwärts machen, damit wir unsere Kunden fair behandeln können. Es darf nicht sein, dass jemand, der in einem älteren, langsameren Zug unterwegs ist gleich viel bezahlt wie jemand in einem neuen, schnellen und komfortablen Zug.
Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Planung haben zum heutigen „Pendlersystem“ beigetragen, ja sie haben es gefördert. Den Pendlerverkehr mit höheren Preisen zu lenken, ist schwierig. Müsste nicht ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich flexiblerer Arbeitszeiten und Heimarbeit stattfinden?
Auf jeden Fall. Deshalb ist die SBB dieses Jahr Partner des Home Office Day. Wir möchten unsere Kundinnen und Kunden, aber auch unsere Mitarbeitenden dazu bewegen, den Zug vermehrt auch als Arbeitsplatz zu nutzen. Ausserhalb der Hauptverkehrszeiten hat es ja genug Platz in den Zügen. Wir sind ja auch daran, zusätzliche Steckdosen in den Zügen zu installieren.
«Es darf nicht sein, dass jemand, der in einem älteren, langsameren Zug unterwegs ist gleich viel bezahlt wie jemand in einem neuen, schnellen und komfortablen Zug.»
Sie unterstützen die vom Bundesrat vorgeschlagene Schaffung eines Infrastrukturfonds, aus dem sowohl der Unterhalt und Betrieb als auch der etappenweise Ausbau des Netzes finanziert werden sollen. Wo müssten die Prioritäten gesetzt werden?
Es braucht beides. Genau deshalb ist dieser Fonds, aus dem Unterhalt wie auch Ausbau des Netzes finanziert wird, genau das richtige Instrument. Für uns ist es enorm wichtig, dass genug Geld für den Unterhalt zur Verfügung steht. Wenn wir diesen vernachlässigen, wird uns das später teuer zu stehen kommen.
Erwarten Sie im Rahmen des Infrastrukturfonds ein stärkeres finanzielles Engagement des Bundes?
Ja, auch der Bund wird seinen Beitrag leisten müssen. Er profitiert von einem leistungsfähigen öffentlichen Verkehr, weil dieser die Volkswirtschaft am Laufen hält und unseren Wohlstand sichert.
Auf der Seite der Bahnprojekte sehen die Vorschläge des Bundesrates einen Wandel von der bisherigen Planung mit grossen Würfen hin zu einem schrittweisen Ausbau vor. Unterstützen Sie dieses Vorgehen?
Ja, ohne Wenn und Aber. Dieses Vorgehen hat den entscheidenden Vorteil, dass die Planung immer wieder auf aktuelle Entwicklungen abgestimmt werden kann. Es braucht aber auch eine Langfristplanung; daran wird gearbeitet.
Wo sind auf Seiten der SBB Produktions- und Effizienzsteigerungen möglich, wo allenfalls Einsparungen?
Wie jedes Unternehmen schauen wir regelmässig, wo wir noch Potenzial haben. Ich bin überzeugt, dass wir uns vor allem in der Verwaltung, bei der Projektarbeit beim Einkauf noch optimieren können. Im täglichen Bahnbetrieb ist es schwieriger, weil die Zahl der Passagiere ständig wächst.
«…Das heisst auch, dass wir möglichst unabhängig von Atomstrom werden und möglichst wenig CO2 produzieren wollen.»
Die SBB ist die grösste Stromkonsumentin der Schweiz. Rund 25 % wird mit Atomstrom abgedeckt. Inwieweit wird die SBB ihre Energiebeschaffungsstrategie anpassen?
Wir sind daran, unsere Energieversorgungsstrategie für die nächsten Jahrzehnte festzulegen. Die Kriterien haben wir bereits festgelegt: sie soll sicher, wirtschaftlich und nachhaltig sein. Das heisst auch, dass wir möglichst unabhängig von Atomstrom werden und möglichst wenig CO2 produzieren wollen. Dafür müssen wir bei den Erneuerbaren Quellen alle Optionen prüfen und die Leistung unserer Wasserkraftwerke ausbauen.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein?
Das Ausbildungsniveau in der Schweiz ist exzellent und kann mit dem internationalen Standard problemlos mithalten. Hinzu kommen hohe Sprachkompetenzen und eine überdurchschnittliche Mobilität. Der Schweizer Führungsnachwuchs ist also absolut wettbewerbsfähig. Ab und zu dürften wir ruhig etwas mehr helvetisches Selbstbewusstsein zeigen.
Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen und welche Massnahmen sind in Ihrem Unternehmen zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
Konzernleitung und Verwaltungsrat haben eine Gendermanagement-Strategie verabschiedet, um den Anteil der Frauen unter den Mitarbeitenden auf allen Stufen spürbar zu erhöhen. So muss zum Beispiel bei der jeder Kaderrekrutierung eine Frau in der Schlussrunde sein. Aber auch die Sprachenvielfalt ist zentral. Wir sind ein dreisprachiges Unternehmen und leben nach dem Standard, dass jeder seine Sprache spricht.
Herr Meyer, herzlichen Dank für das Interview.
Zur Person
Vorsitzender der SBB-Konzernleitung (seit 2007).
Lic. iur., Rechtsanwalt, MBA INSEAD Fontainebleau (Frankreich), zuvor Rechtskonsulent/Projektleiter ABB Schweiz, Baden, Geschäftsführer Babcock Rohrleitungsbau GmbH, Oberhausen/Bitterfeld (D) und zuletzt bei der Deutschen Bahn AG als Vorsitzender der Konzernleitung der DB Stadtverkehr GmbH und Mitglied der Geschäftsführung der DB Personenverkehr GmbH sowie Mitglied des Executive Boards der Deutschen Bahn AG.
Andere Mandate:
Verband öffentlicher Verkehr (VöV), Vorstandsmitglied
Gemeinschaft der europäischen Bahnen (CER), Mitglied des Management Committee