Andreas Wicki, CEO HBM Healthcare Investments, im Interview

Andreas Wicki, CEO HBM Healthcare Investments, im Interview
Andreas Wicki, CEO HBM Healthcare Investments. (Foto: zvg)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Wicki, Sie haben im letzten Semester bei den kotierten Unternehmen in Ihrem Portfolio Kasse gemacht, um Bargeld für opportunistische Zukäufe zu haben. Erwarten Sie also eine scharfe Korrektur?

Andreas Wicki: Nach ausserordentlich vielen Börsengängen von Portfoliogesellschaften stieg die Quote der börsenkotierten Unternehmen auf über 60% des Totalvermögens an. Da die Biotechbewertungen generell relativ hoch waren und wir laufend flüssige Mittel für Neuinvestitionen und auch Ausschüttungen an unsere Aktionäre (3-5% relativ zum Aktienkurs pro Jahr) benötigen, nahmen wir die Gelegenheit wahr, unsere Bargeldquote zu erhöhen. Die ansteigende Inflation und die mögliche Abkehr von überwerteten Tech-Aktien kann auch im Biotechsektor zu einer weiteren Abnahme der Euphorie führen. Mit einer Korrektur an den Aktienmärkten ist im heutigen Marktumfeld immer zu rechen. Der Healthcare-Sektor ist insgesamt allerdings weiterhin gefragt und unser Portfolio ist gut aufgestellt. Wir haben in den letzten 20 Jahren schon einige Stürme erlebt und wappnen uns so gut wie möglich.

In welchem Bereich sehen Sie die meisten Chancen?

In der Onkologie wird am meisten geforscht und entwickelt, dadurch ist die Anzahl an Medikamentenkandidaten in der klinischen Entwicklung die mit Abstand Grösste. Auch wenn der Markt bereits generell sehr kompetitiv ist, gibt es andererseits noch viele Krebsarten, die gar nicht, nur ungenügend oder mit starken Nebenwirkungen verbunden therapiert werden können. Ein Gebiet auf dem sich sehr viel tut, ist die Präzisions-Onkologie. Lange Zeit dominierten Chemotherapien die medikamentöse Behandlung von Krebs. Diese hochgiftigen Substanzen hemmen zwar die Teilung von Tumorzellen, schädigen gleichzeitig aber auch gesunde Zellen und verursachen so oft schwere Nebenwirkungen. Demgegenüber sind zielgerichtete Wirkstoffe im Kampf gegen Krebs eher mit Scharfschützen vergleichbar. Diese kleinmolekularen, oft als Tablette einnehmbaren Substanzen richten sich gegen spezifische genetische Veränderungen, die für das Wachstum bestimmter Tumoren eine entscheidende Rolle spielen. Aufgrund ihres Wirkungsmechanismus sind zielgerichtete Medikamente auf bestimmte molekulare Veränderungen in Tumoren zugeschnitten, unabhängig von deren Ursprungsgewebe.

Auch das Gebiet der neurologischen Erkrankungen hat viel Potenzial. Lange Zeit wurden praktisch keine neuen Arzneimittel zugelassen, womit ein hoher medizinischer Bedarf resultierte. Harmony Biosciences (Narkolepsie mit/ohne Kataplexie), Neurelis (Epilepsie) und Biohaven (Migräne) sind Beispiele für Innovation in unserem Portfolio. Das Medikament Wakix von Harmony wurde im November 2019 von der US FDA zugelassen und hatte einen sehr guten Verkaufsstart. Ähnlich erfolgreich verläuft die Marktlancierung von Nurtec ODT von Biohaven – ein Migränemittel in Tablettenform, welches zur Akuttherapie und zur Prävention der Migräne eingesetzt wird.

«Auch wenn der Markt bereits generell sehr kompetitiv ist, gibt es andererseits noch viele Krebsarten, die gar nicht, nur ungenügend oder mit starken Nebenwirkungen verbunden therapiert werden können.»
Andreas Wicki, CEO HBM Healthcare Investments

Wie seinerzeit mit Basilea hat HBM Healthcare Investments jetzt mit Cathay Biotech ein Klumpeninvestment, weil der Kurs dermassen gestiegen ist. Was wird nach Ablauf der Haltefrist geschehen?

In Cathay Biotech haben wir ab 2006 insgesamt 38 Millionen Dollar investiert, unser Buchwert ist dank positiver Unternehmensentwicklung auf über 636 Millionen Dollar gestiegen. Das Unternehmen erwirtschaftet Umsätze von gegen 300 Millionen Dollar, arbeitet hochprofitabel und ist eine der führenden Gesellschaften im Bereich «Synthetische Biologie». Cathay ist mittlerweile eines der fünfzig bedeutendsten Unternehmen am STAR Market der Shanghai Stock Exchange. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren substanziell in die Erweiterung der Produktionskapazitäten investiert. Analysten erwarten in zwei bis drei Jahren eine Verdoppelung der Verkäufe. Die Situation ist abgesehen vom Portfoliogewicht nicht vergleichbar mit jener von Basilea, die zu diesem Zeitpunkt biotechtypische Risiken aufwies. Wir werden unsere Beteiligungssituation nach Ablauf der Verkaufssperrfrist im August 2023 grundlegend überprüfen und dann im Rahmen unserer Portfoliomanagement-Grundsätze entscheiden.

Bei ConnectRN haben Sie in eine digitale Vermittlungsplattform für Pflegepersonal in den USA investiert. Gibt es so etwas nicht in Europa? Auch hierzulande gibt es ja einen Mangel an Fachkräften.

Der Vermittlungsmarkt für Pflegepersonal ist sehr fragmentiert und wird ineffizient bearbeitet. In Europa gibt es zumeist traditionell operierende Vermittler, und es kommen noch die Eigenheiten und Regulierungen in den einzelnen Ländern hinzu, was eine breite geografische Abdeckung erschwert. ConnectRN wurde 2015 gegründet und bietet ein ähnliches Konzept wie «Uber» auf Basis einer App zur Vermittlung von «Arbeit auf Zeit» von Krankenschwestern und -pflegern. Eine verlässliche, und einfach zu bedienende Technologie zusammen mit der Qualifizierung und Betreuung des zu vermittelnden Personals sind Schlüssel zum Erfolg. Das Unternehmen profitiert derzeit zusätzlich vom vorherrschenden Fachkräftemangel und verzeichnet hohe Wachstumsraten.

«ConnectRN wurde 2015 gegründet und bietet ein ähnliches Konzept wie «Uber» auf Basis einer App zur Vermittlung von «Arbeit auf Zeit» von Krankenschwestern und -pflegern.»

Fangzhou, Betreiber der chinesischen Healthcare-Service-Plattform Jianke.com, zählt ebenfalls zu den Corona-Gewinnern. Rechnen Sie bei Ihrer Beteiligung mit einem Going Public?

Ein Börsengang ist immer eine Option zur Finanzierung von zukünftigem Wachstum. Heute sind wir in mehreren Unternehmen investiert, die in der Online-Vermarktung von Medikamenten aktiv. Es sind dies in Lateinamerika Farmalatam, in Indien Tata 1mg und in China die erwähnte Fangzhou. Der Zugang zu Medikamenten ist in diesen Ländern teilweise erschwert. Das Marktpotential für digitale Gesundheitsdienstleitungen inklusive Medikamentenverschreibung und Lieferung ist gross, gleichzeitig gibt es gute Erfahrung im Softwareentwicklungsbereich durch IT-Spezialisten.

Auch bei den bei Ihren Fonds liegt mit WuXi Healthcare Ventures ein bedeutendes Investment, welches von einem chinesischem Management-Team gegründet wurde und verwaltet wird. Wie kamen Sie auf die?

Wir pflegen seit Jahren eine gute Beziehung zum Gründerteam, inklusive dem CEO und Verwaltungsratspräsidenten von WuXi App Tec, Dr. Ge Li. WuXi App Tec ist heute einer der grössten Anbieter von Forschungs-, Entwicklungs- und Herstellungsleistungen im Bereich kleiner Moleküle und biologischer Arzneimittel und hat eine Marktbewertung von 60 Milliarden US-Dollar. Aus Wuxi App Tec wurde vor einiger Zeit WuXi Biologics abgespalten, ein weiteres börsenkotiertes Unternehmen mit einer Kapitalisierung von rund 60 Milliarden Dollar. Der WuXi Healthcare Ventures Fonds II wurde 2015 von WuXi App Tech ausgegliedert. Im Fonds ist mit CStone Pharmaceuticals eine bedeutende, äusserst erfolgreich agierende Firma enthalten. Der Fonds hat mittlerweile mehr als 14mal das investierte Kapital an CStone verdient.

Investitionen in Drittfonds werden generell aus strategischen Überlegungen getätigt – beispielsweise in Regionen, in denen wir selber keine lokale Präsenz haben oder durch Sicherung des Zugangs zu aussichtsreichen Unternehmen in Entwicklungsphasen, Sub-Sektoren und Technologien, welche nicht in unserem Kern-Fokus liegen oder wo wir die nötigen Ressourcen zur Betreuung nicht selber bereitstellen können.

«Investitionen in Drittfonds werden generell aus strategischen Überlegungen getätigt – beispielsweise in Regionen, in denen wir selber keine lokale Präsenz haben.»

Haben Sie irgendwelche neuen Firmen aus der DACH-Region im Fokus?

Wir haben einige bestehende Portfoliogesellschaften in der DACH Region. Der jüngste Zuwachs ist Numab Therapeutics, wo wir kürzlich 17 Millionen Schweizer Franken investierten. Der Gründer war früher Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von ESBATech – einer HBM-Portfoliogesellschaft, welche durch Novartis übernommen wurde. Das Unternehmen aus Wädenswil entwickelt eine neue Art von Therapeutika für schwere Krankheiten wie chronische Entzündungen oder Krebs. Dabei punktet das Unternehmen mit einer Plug-and-Play-Plattform, die dazu beiträgt, schneller spezifische Biotherapeutika zu entwickeln.

Zudem sind wir seit einigen Jahren bedeutend in das in Baar domizilierte Unternehmen Swixx BioPharma investiert. Swixx ersetzt die Vertriebsgesellschaften von internationalen Biopharmaherstellern in Ländern in Mittel- und Osteuropa. Mit 800 Mitarbeitern ist Swixx BioPharma der grösste unabhängige Vertreter für verschreibungspflichtige Pharmazeutika im Dienste der forschenden Biopharma in diesen Ländern. Im Rahmen unseres üblichen Investitionsprozesses evaluieren wir laufend Firmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Eine Investitionszusage über zehn Millionen Dollar gaben Sie an das US-Unternehmen Odyssey Therapeutics. Die entwickeln eine Plattform von neuartigen Antikörpern (V-bodies) zur Behandlung von Krebs- und Autoimmunerkrankungen. Wie sieht die aus?

«V-bodies» gehören zur Gruppe der Nanobodies und bestehen nur aus den schweren Ketten der Antikörper. Das bringt Vorteile mit sich: Sie sind besser wasserlöslich, besitzen eine höhere Hitzebeständigkeit und weisen eine grössere Stabilität auf. Durch ihre geringere Grösse und ihre spezielle Form können sie potenziell zudem tiefer in Gewebe eindringen und so auch Antigene («Fremdkörper») binden, die für konventionelle Antikörper nur schwer erreichbar sind. Ausserdem sind sie einfacher zu produzieren.

Spannend. Ich kannte bisher nur Y-förmige Antikörper.

Odyssey Therapeutics arbeitet im Konzeptstadium an potenziellen Antikörpern, die auf natürlichem Weg von Alpakas produziert werden. Aus Blutproben der behandelten Tiere wird dann im Labor die genetische Information für die neuartigen «V-bodies» gewonnen. Auf ihren minimalen Bestandteil reduziert, können sie in Bakterien oder Hefen als sogenannte Nanobodies hergestellt werden, die zehn Mal kleiner sind als normale Antikörper.

Hat es HBM nie gereizt, bei der Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV mitzumischen?

Das Gebiet der Impfstoffe war über Jahre hinweg aufgrund von Kapazität- und Produktionsüberlegungen den grossen Pharma-Gesellschaften vorbehalten, welche ausserhalb unseres Investmentfokus liegen. Zudem gab es mit der Entwicklung von Impfstoffen immer wieder Rückschläge, insbesondere von kleineren und mittelgrossen Gesellschaften – unter anderem bei der Gesellschaft Dendreon – zu verzeichnen.

Sie waren doch auch bei Moderna dran…

Bei Moderna im Konkreten beurteilten wir die mRNA-Technologie zwar als interessant, jedoch war es vor Ausbruch der Covid-Pandemie unseres Erachtens noch zu früh, um verlässliche Potenzialabschätzungen der Anwendungsbereiche und Umsätze zu treffen. Man stelle sich vor: bei Alnylam hat es 16 Jahre gedauert, bis ein erstes Arzneimittel namens Onpattro (Patisiran) auf Basis der RNAi-Technologie zugelassen wurde. Moderna war Ende 2019 mit 21 Programmen, vier davon in Phase II, bereits in klinischen Versuchsreihen. Die Bewertung war dannzumal in unseren Augen sehr ambitioniert, was sich natürlich «dank Covid» im Nachhinein als «Makulatur» erwiesen hat.

Die Währungsabsicherung wurde innert sechs Monaten um 70% zurückgefahren. Rechnen Sie mit einem stabilen US-Dollar?

In Erwartung steigender Zinsen in den USA gehen wir kurz- und mittelfristig von einer stabilen, bis leicht steigenden Entwicklung des US-Dollars aus. Wir verfolgen die Währungssituation genau und können flexibel auf sich verändernde Situationen reagieren.

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