Andreas Züllig, Präsident hotelleriesuisse. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Züllig, Sie waren gerade mal zwei Wochen im Amt, als die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufhob. Sie hätten sich sicherlich einen «sanfteren» Einstieg ins Amt gewünscht.
Andreas Züllig: Ja, es war ein Sprung ins kalte Wasser. Normalerweise hat man als Präsident 100 Tage Zeit, sich einzuarbeiten. Mit dem SNB-Entscheid wurde mein Terminkalender ziemlich durcheinandergewirbelt.
Was ging Ihnen als erstes durch den Kopf, als Sie vom Entscheid erfahren haben?
Der Entscheid kam für mich völlig überraschend. Ich dachte, es sei ein verfrühter Aprilscherz.
Dass die Mindestkurs-Garantie nicht in alle Ewigkeit Bestand haben würde, war klar. Seitens der SNB hiess es, die Unternehmen und Betriebe hätten lange Zeit gehabt, sich auf die jetzige Situation einzustellen. Wie hat die Hotellerie diese Zeit genutzt?
Die standortgebundene Hotellerie war schon bei der Eurokurs-Anbindung von 1.20 mit einem überbewerteten Franken und einem hohen Kostensockel konfrontiert. Sie konnte sich über die letzten drei Jahre, auch aufgrund der Preisstabilität zum Euroraum, mit Investitionen in Qualität und Innovation wieder etwas erholen. Dies zeigen auch die Logiernächte-Zahlen auf, welche im Vergleich zum Jahr 2010 (36,2 Millionen) nach den Einbrüchen in den Jahren 2011 und 2012 (35,5 resp. 34,8 Millionen) wieder anstiegen und im Jahr 2014 in einem Plus von 0,9 Prozent zum Vorjahr auf 35,9 Millionen resultieren.
«Selbst wenn sich der Kurs zwischen 1.10 bis 1.15 Franken einpendeln würde, steht die Branche vor grossen Herausforderungen.»
Andreas Züllig, Präsident hotelleriesuisse
Nun sind Ferien in der Schweiz für Gäste aus dem Euroraum schlagartig massiv teurer geworden. Welche Folgen für die Schweizer Hotellerie befürchten Sie? In welchem Umfang dürften die Hotelübernachtungen im laufenden und im nächsten Jahr zurückgehen?
Selbst wenn sich der Kurs zwischen 1.10 bis 1.15 Franken einpendeln würde, steht die Branche vor grossen Herausforderungen. Eine Schätzung zu dem Logiernächte-Rückgang kann momentan nicht abgegeben werden. Dies ist immer auch sehr abhängig von den kurzfristigen Buchungen aufgrund der Wetterbedingungen. Falls das Sofortprogramm von Schweiz Tourismus zur Förderung des inländischen Tourismus umgesetzt werden kann, wird diese kurzfristige Massnahme die Logiernächte im laufenden und nächsten Jahr ebenfalls beeinflussen.
Wie viele Hotels sind in ihrer Existenz bedroht, wie viele Arbeitsplätze sind gefährdet?
Wir sprechen von etwa 60-80 Betrieben pro Jahr bei der normal in der Schweiz vorherrschenden, nachhaltigen Strukturbereinigung. Ich gehe aufgrund der Währungssituation von einer Beschleunigung des Strukturwandels in der Hotellerie aus, welche zu einer höheren Anzahl Hotelschliessungen und damit verbundenen Arbeitsplatzverlusten führen wird.
Sehen Sie in erster Linie die alpine Hotellerie unter Druck oder trifft es Stadthotels oder starke Sommer-Destinationen wie das Tessin ebenso stark?
Auch wenn das MICE-Geschäft kurzfristig weniger anfällig ist, wird der Businesstourismus in den Städten im Verlaufe des Jahres ebenfalls von der Währungssituation betroffen sein. Die Betroffenheit wirkt sich auf alle Saisons und Regionen aus, da Gäste aus dem Euro-Raum und der Schweiz auf die Währungssituation reagieren werden und für ihre Ferien oder Businessaufenthalte aufgrund der Preiserhöhung Alternativen zu der Schweiz berücksichtigen. Ein Unterschied bei der Betroffenheit lässt sich innerhalb der Hotellerie machen. So vermute ich, dass beispielsweise die Hotels im Luxussegment weniger betroffen sein werden, da ihre Gäste weniger preissensibel sind.
«Auch wenn das MICE-Geschäft kurzfristig weniger anfällig ist, wird der Businesstourismus in den Städten im Verlaufe des Jahres ebenfalls von der Währungssituation betroffen sein.»
Im vergangenen Jahr wurde mit 16 Mio Übernachtungen von Schweizer Gästen ein neuer Rekord erreicht. Und vor allem auch inländische Gäste sollen nun die zu befürchtenden Ausfälle aus dem Euro-Raum kompensieren. Welche Massnahmen stehen dabei im Fokus?
Wir unterstützen das Sofortprogramm zur Förderung des inländischen Tourismus («Offensive Schweiz») von Schweiz Tourismus. Wir Hoteliers müssen versuchen, das Angebot noch attraktiver zu machen und beispielsweise vermehrt auch Kooperationen mit anderen Leistungsträgern einzugehen. Qualität und Innovation gewinnen noch verstärkter an Bedeutung, damit wir uns mit unverwechselbaren Alleinstellungsmerkmalen von den Durchschnittsangeboten der ausländischen Konkurrenz abheben können.
Die Konkurrenz ist gerade im alpinen Tourismus hart. Warum soll denn jemand Ferien in der Schweiz machen, wenn ein vergleichbares Angebot z.B. in Österreich oder in Südtirol deutlich günstiger ist?
Weil wir unsere Gäste mit einem attraktiven Angebot in einer einzigartig schönen Landschaft überzeugen. Für die Schweizer ist die Schweiz auch nicht teurer geworden und die Destinationen sind nahe gelegen. Mit dem Trend zu Kurfristigkeit und Kurzaufenthalten haben wir hier vor allem im Nahmarkt einen Wettbewerbsvorteil.
hotelleriesuisse verlangt gezielte Sofortmassnahmen, um die Folgen der Aufhebung des Euro-Mindestkurses abzufedern. Welche?
Das Produkt Schweiz ist sehr gut aufgestellt, steht durch die Kostenexplosion aber vor einem Nachfrageproblem. Um die akute Währungssituation abzudämpfen, benötigt die Tourismusbranche zusätzliche kurzfristige Massnahmen. hotelleriesuisse fordert ein Sofortprogramm zur Förderung des inländischen Tourismus und für die Erschliessung noch brachliegender neuer Quellmärkte ausserhalb des Euro-Raums. Die Gewährung von Zinserleichterungen und die Aufschiebung der Amortisationen durch die SGH als effizientes Mittel, die Wettbewerbsfähigkeit der Hotellerie zu erhöhen und gegen den Investitionsstau in der Branche zu wirken. Weiter ist für den Wissenstransfer und die Innovationsförderung die Finanzierung im Rahmen von Innotour bedeutsam, deshalb fordert hotelleriesuisse für die Kontinuität der Projekte bis Ende 2015 ebenfalls eine sofortige Aufstockung der Mittel im Rahmen des Innotour-Förderprogramms für 2015.
Welche Anliegen verfolgen Sie längerfristig?
Die Politik muss die Rahmenbedingungen für unsere Branche besser gestalten. Wirtschaftspolitisch fordert der Verband nach 20 Jahren Provisorium eine gesetzliche Verankerung des MWST-Beherbergungssatzes. Er ist von zentraler Bedeutung, dass wir bei den Steuern eine langfristige Planungssicherheit haben. Gerade in Zeiten eines sehr volatilen Wechselkurses. 25 der 27 EU-Staaten wenden im Rahmen der Nachfrageförderung für die Beherbergung einen Mehrwertsteuer-Sondersatz an.
Das Parlament wird im März über die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative entscheiden. Es ist besonders wichtig, dass Art. 9 des Zweitwohnungsgesetzes angenommen wird. Er sieht sowohl die Querfinanzierung als auch die Umnutzung nicht rentabler Betriebe in Zweitwohnungen vor. Es müssen auch Massnahmen gegen die Hochpreisinsel Schweiz ergriffen werden. Möglichkeiten sehe ich beispielsweise bei den Parallel-Importen, bei der Umsetzung des Kartellgesetzes und der Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Auch die Flexibilisierung des Arbeitsgesetzs an die Bedürfnisse der Gast- und Beherbergungswirtschaft steht auf unserer politischen Agenda.
Trotz aller Aktionen und Strategien – die Hoteliers werden spätestens ab der Sommersaison die Folgen der Aufhebung des Euro-Mindestkurses zu spüren bekommen und sind entsprechend auch selber gefragt, zu handeln. Was empfehlen Sie Ihren Mitgliedern und wie unterstützen Sie sie?
Der starke Franken führt dazu, dass Erträge und Margen wegbrechen. hotelleriesuisse empfiehlt, diesem Druck nicht mit Preisreduktionen zu begegnen, da dies mittelfristig substanzverzehrend ist. Eine Massnahme für den Hotelier stellt die konsequente Kostenoptimierung in Einkauf, Produktion und Dienstleistungserbringung dar, wobei die Schweizer Hotellerie in den letzten Jahren schon viel in die Optimierung der betrieblichen Abläufe investiert hat. Zu prüfen sind ebenfalls Pooling-Möglichkeiten: Schliessen sich mehrere Hoteliers zusammen und tätigen gemeinsam den Einkauf, ergeben sich Sparmöglichkeiten. Ertragspotenziale in der Region lassen sich auch durch Kooperationen nutzen. Der Hotelier kann sich ebenfalls durch eine klare Positionierung und Ausrichtung auf spezifische Gästegruppen (Familien, Best Agers, Bikers etc.) im Markt abheben und in innovative und qualitativ hochstehende Produkte und Dienstleistungen investieren. Dabei ist auch die Produktivitätssteigerung über die Qualifikation der Mitarbeitenden via Aus- und Weiterbildung zentral.
«Der Zeitpunkt ist reif für die Politiker, um endlich grundlegend bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für unsere Branche zu schaffen.»
Sie leiten auf der Lenzerheide ein Viersterne-Hotel. Wo können Sie den Hebel ansetzen, was für Massnahmen kann ein Hotel alleine umsetzen?
Entscheidend ist bei uns weiter an der Qualität zu arbeiten und mit speziellen Angeboten die Gäste zu überraschen und zu verblüffen. Wir bieten zum Beispiel im Sommer mit den Science Lap-Wochen ein attraktives Zusatzangebot an. Während dieser Zeit können die Kinder und Jugendlichen Experimente unter Anleitung von Uni-Professoren machen oder in der Natur das Funktionieren eines Waldameisenvolkes beobachten. Wir werden auch dieses Jahr wieder unser Multimedia-Festival in Zusammenarbeit mit der HTW Chur durchführen. Gleichzeitig gilt es die Kosten zu optimieren ohne an Qualität einzubüssen. Und letztendlich ist es an uns Gastgebern und Mitarbeitern, unsere Gäste täglich mit unseren Leistungen davon zu überzeugen, dass sie am richtigen Ort ihre Ferien verbringen.
Wenn immer von Krise die Rede ist, heisst es, diese könne auch eine Chance sein. Sehen Sie das auch in der aktuellen Situation so?
Ja, eine Krise muss als Chance gesehen werden. Der Zeitpunkt ist reif für die Politiker, um endlich grundlegend bessere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für unsere Branche zu schaffen. Und wir als Unternehmer stehen in der Pflicht, das Kostenoptimierungspotenzial auszuschöpfen und weiterhin in die Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Ich wünsche mir, dass wir als Branche gestärkt aus der Krise hervorgehen werden.
Herr Züllig, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Andreas Züllig ist seit Januar 2015 Präsident von hotelleriesuisse. Nach diversen Stationen in der Stadthotellerie übernahm der gelernte Koch und Absolvent der Ecole hôtelière de Lausanne (EHL) 1991 das Hotel Schweizerhof Lenzerheide, das er heute als Eigentümer und Gastgeber führt.