Interview von Anouk Arbenz und Christoph Hilber, Unternehmerzeitung, P-Connect
Bereits vor einem Jahr haben wir Sie für ein Interview angesprochen. Sie bräuchten noch etwas Anlaufzeit, sagten Sie damals. Können Sie heute ein Fazit ziehen nach einem Jahr als VR-Präsidentin bei der Berner Kantonalbank?
Antoinette Hunziker-Ebneter: Das ist richtig. Ich arbeite mich gerne erst ein, bevor ich Stellung beziehe. Jetzt fühle ich mich in Bern angekommen. Mein Fazit: Es war ein sehr gutes Jahr. Die BEKB ist die solideste Bank Europas. Wir haben uns in diesem ersten Jahr seit meinem Amtsantritt fitter getrimmt, sind effektiver geworden und haben eigene Fonds für Privatkunden aufgebaut.
«Die BEKB ist bereits eine nachhaltige Bank, sonst wäre ich nicht dort. Für mich müssen die Grundwerte stimmen.» Antoinette Hunziker-Ebneter, VR-Präsidentin bei der Berner Kantonalbank
Was sind die Parameter bei der Bewertung als «solideste Bank» Europas?
Rating-Agenturen bewerten Faktoren wie Risikopolitik, Eigenkapital, Refinanzierungsgrad, Cashflow etc.
Gibt es auch ethisch-moralische Faktoren?
Das wäre dann ein erweitertes Rating. Leider ist das heute noch nicht kombiniert. Aus meiner Sicht müsste das in einem Ranking zusammengefasst sein. Bei Forma Futura versuchen wir genau das: Wir machen sowohl eine Finanzanalyse als auch eine Nachhaltigkeitsanalyse. Die Unternehmen müssen beides bestehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich das auch lohnt. Die BEKB ist bereits eine nachhaltige Bank, sonst wäre ich nicht dort. Für mich müssen die Grundwerte stimmen.
Wie sehen diese aus?
Das sind für mich Integrität, Respekt und der verantwortungsvolle Umgang mit Menschen, Finanzen und anderen Ressourcen wie Wasser, Energie und Material. Ich habe mich vor über zehn Jahren entschieden, dass ich beruflich und privat nur noch von Menschen umgeben sein möchte, die meine Wertebasis teilen. Ich habe mein Leben umgestellt und stark danach ausgerichtet. Ich darf sagen: Das war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Meine Lebensqualität ist enorm gestiegen. Es macht jetzt viel mehr Sinn und damit viel mehr Freude.
Was waren die Konsequenzen dieses radikalen Umschwungs?
Die Folge war, dass ich nicht mehr überall mitmachte, selbst wenn es verlockende Angebote waren. Man muss den Mut haben, nein zu sagen. In der Konsequenz heisst das, dass man zeitweise bewusst auf Ertrag verzichtet. Wenn man sich in einem schwierigen Jahr befindet, in dem man seinen Kunden im Anlagebereich nicht wirklich etwas Gutes empfehlen kann, dann macht man das auch nicht. Qualitatives Wachstum ist wichtiger als quantitatives.
«Ich habe mich vor über zehn Jahren entschieden, dass ich beruflich und privat nur noch von Menschen umgeben sein möchte.»
Wie kam es zu diesem Wendepunkt in Ihrem Leben?
Ich konnte während 20 Jahren sehr vielseitige Aufgaben in der Banken- und Börsenwelt übernehmen und wertvolle Erfahrungen sammeln. Was ich nicht mehr ertrug, war die fehlende Moral in der Bankenwelt, wo einige Leute das Eine erzählen und etwas ganz anderes machen. Mit 45 erkannte ich als Börsenchefin zudem zwei Dinge. Erstens: Jede Regulierung kann umgangen werden. Zweitens: Mit Geld kann viel bewegt werden. Deshalb sagte ich mir: Ich möchte nur noch so arbeiten, dass man für den Geldfluss Verantwortung wahrnimmt – und zwar bevor man investiert. Daher müssen zusätzliche Kriterien in die Firmenbewertung fliessen. Die Weiterentwicklung eines Unternehmens und die Umsetzung von Regulierungen hängt letztlich davon ab, welche Werte die Führungskräfte vorleben. Ich zog einen Schlussstrich, gründete die Forma Futura Invest AG und gab mir drei Jahre Zeit.
Zehn Jahre später und ganz ohne Fremdkapital sind Sie mit Ihrem Unternehmen erfolgreich und beschäftigen 14 Mitarbeitende. Sind Sie stolz auf diese Leistung?
Ja. Vor allem, weil es auch für die Kunden stimmt. Mir war es ein Anliegen, zu beweisen, dass man mit nachhaltigen Anlagen mindestens gleich viel verdient wie mit konventionellen.
«Heute haben wir eine dermassen komplexe Regulierung, dass fast niemand mehr den Durchblick hat. Den Ruf nach Regulierungen verstehe ich, weil so viel schief gelaufen ist.»
Ist Ihr Traum eine Welt ohne Regulierungen?
Ich bin für eine einfache, effektive Regulierung und Sanktion. Heute haben wir eine dermassen komplexe Regulierung, dass fast niemand mehr den Durchblick hat. Den Ruf nach Regulierungen verstehe ich, weil so viel schief gelaufen ist. Aber man muss ja immer schauen: Wo ist es schief gelaufen? Nicht bei den vielen KMU, sondern bei ein paar wenigen Grossen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man sich fragt: Wer führt diese Firmen? Beispiel VW: Da wurden so überrissen ehrgeizige Ziele vorgegeben, dass man sie auf legalem Wege eigentlich gar nicht erreichen konnte. Werden solche Unternehmensziele mit Boni und Löhnen verknüpft, wird kriminelle Energie im Unternehmen gefördert. Ich habe zehn Jahre lang im Investment Banking gearbeitet und habe gesehen, wie Bonus-Systeme die Leute verändern.
Waren es solche irrationalen Ziele, welche die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 auslösten?
Ich meine ja. Die USA haben Hypotheken an Leute vergeben, die niemals ein Einfamilienhaus hätten kaufen können oder bereits gestorben waren – nur, damit sie ihre Volumenziele erreichen oder sogar übertreffen und mehr Bonus erhalten. Die Auswirkungen der Krise 2008 sind noch heute spürbar, das Vertrauen in die Finanzinstitutionen und das Finanzsystem haben wir noch nicht wiedererlangt. Das haben wir uns selber eingebrockt. Wir hatten ein gesundes Wachstum in dieser Zeit, aber gemischt mit Gier und Dummheit ergab sich diese Abwärtskurve.
Sie haben sich als Verwaltungsrätin den Lohn gekürzt. Hängt das damit zusammen?
Ja. Ich verdiene natürlich auch gerne gutes Geld, aber in der Bankenwelt geht die Marge retour. Die Kosten nehmen zu. Die Leute haben das Gefühl, es könne nur immer steiler nach oben gehen. Wie soll das möglich sein? Man kann nicht jedes Jahr mehr Lohn bekommen, während bei den Banken die Zinsspanne zurückgeht und langjährige Hypotheken auslaufen und zu einem tieferen Satz erneuert werden. Gleichzeitig liegen aufgrund der Digitalisierung noch grosse IT-Investitionen vor uns. Ich wollte damit zeigen, dass man auch mal einen Schritt zurück machen muss.
Wie stellen Sie sich ein gerechteres Wirtschafts- und Finanzsystem vor?
Ich bin Ökonomin und stehe für die Marktwirtschaft ein. Nicht aber für eine Marktwirtschaft, in welcher Gewinnmaximierung und eindimensionales Denken vorherrschen. Werden ökologische und soziale Aspekte vernachlässigt, muss am Schluss immer der Steuerzahler die Suppe auslöffeln. Die Basis einer öko-sozialen Marktwirtschaft ist ein nachhaltiges Finanzsystem. Das bedingt nachhaltige Anbieter von solchen Finanzsystemen. Ich glaube, wir werden uns erst in diese Richtung bewegen, wenn unsere Kunden das wollen. Wenn genug Bürger und Investoren verantwortungsbewusst einkaufen und anlegen, verändert sich die Nachfragemacht. Dann verändern sich auch die Unternehmen.
«Grosse Unternehmen wie ABB bekommen die besten Leute heute nur noch dann, wenn sie auf Fragen zur Nachhaltigkeit überzeugende Antworten liefern können.»
Bewegen wir uns in diese Richtung? Was ist Ihre Beobachtung?
Ja. Ich sehe, dass das stark am Wachsen ist. Ich sehe auch, dass jüngere Generationen anders «ticken» als unsere. Sie interessieren sich nicht mehr unbedingt für den Job, bei dem sie den höchsten Lohn erhalten, sondern für eine sinnvolle Aufgabe, die sie herausfordert. Sie haben andere Anforderungen, und wir als Arbeitgeber müssen diesen gerecht werden. Grosse Unternehmen wie ABB bekommen die besten Leute heute nur noch dann, wenn sie auf Fragen zur Nachhaltigkeit überzeugende Antworten liefern können.
Die Gesprächspartnerin:
Antoinette Hunziker-Ebneter ist seit 2006 Geschäftsführerin und Gründungspartnerin der Forma Futura Invest AG, einer unabhängigen Vermögensverwaltungsgesellschaft für private und institutionelle Kunden mit Fokus auf Anlagen, die finanziell solid sind und eine nachhaltige Lebensqualität fördern. Seit Mai 2015 ist sie zudem Präsidentin des Verwaltungsrates der Berner Kantonalbank AG (BEKB). Hunziker-Ebneter verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Finanz- und Risikomanagement: Bis 2005 leitete sie bei der Bank Julius Bär & Co. als Mitglied der Konzernleitung den Handel und Verkauf. Davor war sie Vorsitzende der Schweizer Börse. Mitte der 1990er-Jahre zeichnete sie für den Aufbau und die Inbetriebnahme der Elektronischen Börse Schweiz verantwortlich.
Sie besitzt ein Lizentiat in Betriebswirtschaft von der Universität St. Gallen (lic. oec. HSG) sowie ein Diplom der Swiss Banking School. Als Ergänzung zu ihrer beruflichen Tätigkeit engagiert sich Antoinette Hunziker-Ebneter als Mitgründerin bei der waterkiosk foundation, deren Projekte Zugang zu sauberem Trinkwasser in Schwellenländern ermöglichen.