Barbara Radtke, CEO Spitex zur Mühle AG. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab: Frau Radtke, die Spitex zur Mühle AG ist mit dem Swiss Economic Award 2013 in der Kategorie Dienstleistung ausgezeichnet worden. Was bedeutet der Preis für das Unternehmen und für Sie persönlich?
Barbara Radtke: Für das Unternehmen bedeutet der Preis die Möglichkeit, den nächsten Wachstumsschritt schneller machen zu können: Wir investieren einen grossen Teil des Preisgeldes in das Projekt «Haus zur Mühle». Wir bieten ein Spitex-Haus für Menschen in der Übergangspflege an. Es wird quasi ein Fitness-Center für jene, die nach einem Spitalaufenthalt gerne nach Hause möchten, deren Gesundheitszustand aber noch fragil ist. Persönlich bedeutet die Auszeichnung für mich Anerkennung für die Leistung, in einem stark regulierten Markt erfolgreich ein Unternehmen aufgebaut zu haben.
Sie haben die Spitex zur Mühle AG vor vier Jahren gegründet. Was waren die Gründe, die Sie zu diesem Schritt veranlassten?
In meiner Familie gab es jemanden, der sehr oft und sehr lange ins Spital musste. Jedes Mal, wenn wir aus dem Spital zurück nach Hause kamen, stand die Frage im Raum, wie wir das mit der Betreuung nun machen. Es war mehr Kapazität nötig, als mit der öffentlichen Spitex möglich war. Den Businessplan entwickelte ich nachts am Bett dieser kranken Person.
Mittlerweile ist das Unternehmen stark gewachsen. Heute beschäftigen Sie rund 50 Mitarbeitende. Wo sehen Sie die optimale Grösse?
Wir wollen weiterhin Spitex- und Serviceleistungen für Menschen anbieten, die hohe Anforderungen an die Qualität haben. Neben dem «Haus zur Mühle» haben wir weitere Ideen für Menschen, die unsere Werte in der Betreuung und Pflege teilen. Die optimale Grösse ergibt sich dann.
Sie bieten pflegebedürftigen Menschen ganzheitliche Unterstützung in Form von Betreuung, Pflege und Hauswirtschaft. Das tun Hunderte andere private und öffentlich-rechtliche Spitex-Organisationen auch. Was machen Sie anders – oder besser, worauf legen Sie besonderen Wert?
Es gibt einige Unterschiede: Wer bei der Spitex zur Mühle arbeitet, hat einen Qualitäts-Check zu bestehen. Jährlich werden fachliches und praktisches Wissen überprüft. Alle Mitarbeitenden arbeiten und leben dauerhaft in der Schweiz und müssen drei Weiterbildungen im Jahr absolvieren. Unsere Einsätze dauern mindestens zwei Stunden. Gerade ältere Menschen schätzen, wenn man nicht hetzen muss. Bei uns betreut immer die gleiche Person. In diesem Punkt haben öffentliche Spitex-Unternehmen oft eine andere Philosophie. Mit unserer Spitex-Hündin „Kira“ besuchen wir kranke und einsame Menschen. Seit Frühling gibt es in 85 Apotheken in der ganzen Schweiz die erste Spitex-Geschenkkarte. Schliesslich: Wir haben eine webbasierte Spitex-Pflegedokumentation.
«Alle Mitarbeitenden arbeiten und leben dauerhaft in der Schweiz und müssen drei Weiterbildungen im Jahr absolvieren.»
Barbara Radtke, CEO Spitex zur Mühle AG
Von der Jury des Swiss Economic Award wurde Ihre webbasierte Pflegedokumentation gelobt. Nach welchem Prinzip funktioniert sie und wer hat sie entwickelt?
Sie funktioniert ähnlich wie Onlinebanking. Die Patienten haben über ein Login Zugang zu den Daten wie den Behandlungsverlauf, Vitalzeichen, die Pflegeplanung usw. Sofern der Patient das will, gibt er den Zugang an Angehörige oder den Arzt weiter. Einem Arzt ist so beispielsweise möglich, online Medikamente zu verordnen. Die Daten sind verschlüsselt und sicher. Die Idee ist von uns gekommen, umgesetzt haben sie die Octave 2 GmbH und Verve Webdesign und Grafik GmbH.
Wie individuell können Sie Ihre Angebote auf die jeweiligen Senioren oder hilfsbedürftigen Menschen ausrichten?
Zwischen Menschen muss die Chemie stimmen. Wir legen grossen Wert auf den ersten persönlichen Kontakt und machen uns immer vor Ort ein Bild. Es gibt Leute, die haben es gern gesellig, andere wollen vor allem ihre Ruhe. Entsprechend passt eine Mitarbeiterin zum Kunden. Oder eben auch nicht. Beide Seiten – also Kunde und Mitarbeiterin – haben die Möglichkeit, nein zu einem Engagement zu sagen. Dann schicken wir eine andere Person.
Ein grosses Thema sind Alzheimer- und andere Demenz-Erkrankungen. Werden Ihre Mitarbeitenden in diesem Bereich besonders geschult?
Demenzerkrankungen entwickeln sich schleichend und werden vom Umfeld oft über lange Zeit wenig wahrgenommen oder negiert. Eine demenzkranke Person zu betreuen, bringt für alle Betroffenen viele Herausforderungen. Die Betreuung braucht Fingerspitzengefühl. So individuell Menschen sind, so individuell zeigt sich ihr Charakter in der Demenz. So haben unsere Mitarbeitenden neben unseren Grundschulungen immer die Möglichkeiten für fachliche, individuelle Unterstützung. Es coachen unsere erfahrenen Bereichsleiterinnen oder eine externe Supervision.
Verschiedene Pflege-Organisationen setzen auf Personal aus Osteuropa. Einerseits wohl aus wirtschaftlichen Gründen, andererseits machen sie geltend, hierzulande nicht genügend Fachpersonal zu finden. Welche Personalpolitik verfolgt die Spitex zur Mühle AG?
Wir haben die Philosophie, dass alle unsere Mitarbeiterinnen dauerhaft in der Schweiz leben und arbeiten. Unsere Kunden schätzen es, wenn jemand die gleiche Sprache spricht und die Kultur kennt. Um geeignete Personen zu finden, machen wir interessante Angebote und zahlen gute Löhne.
Die Menschen werden immer älter, und sie wollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden leben. Ist da ein Pflegenotstand nicht absehbar?
Aufgrund der demografischen Entwicklung wird der Betreuungs- und Pflegebedarf in den nächsten Jahren steigen. Neue Wohnformen wie Wohnen mit Service werden zunehmen. Unsere und die folgenden Generationen werden im Alter anders leben wollen als Menschen, die heute alt sind. Das verlangt neue Lösungen. Es braucht ein Umdenken. Für die Betreuung sollten wir vermehrt auf Menschen setzen, die im privaten Umfeld bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt haben. Diese Menschen müssen wir gezielt weiterbilden. So betrachtet, haben wir in der Schweiz noch nicht alle personellen Kapazitäten ausgeschöpft.
«Für die Betreuung sollten wir vermehrt auf Menschen setzen, die im privaten Umfeld bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt haben.»
Wie alle anderen Spitex-Organisationen müssen Sie in der Pflege nach Krankenkassentarifen arbeiten, während man bei den hauswirtschaftlichen Dienstleistungen in der Preisgestaltung etwas flexibler ist. Wie lässt sich im Pflegebereich Geld verdienen?
Wir arbeiten mit den gleichen Tarifen wie öffentliche Spitex-Unternehmen auch. Stunden, die ein Arzt verordnet, zahlt die Krankenkassen. Es gilt für uns, was für andere erfolgreiche Unternehmen auch gilt: Die Qualität muss stimmen und sichtbar sein, es braucht hohe Flexibilität und Erreichbarkeit, mehr Zusatznutzen als der Kunde erwartet und eine gute Reputation für Weiterempfehlungen. Eine schlanke Struktur hilft zudem, dass die Ausgaben tiefer sind als die Einnahmen.
Im Verwaltungsrat Ihres Unternehmens sitzt auch Heliane Canepa, die ehemalige CEO von Nobel Biocare. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Ich habe Heliane Canepa vor zwei Jahren kennen und schätzen gelernt. Da sich unser Unternehmen zu diesem Zeitpunkt stark zu vergrössern begann, suchte ich eine Mentorin die mir zeigte, wie man als Unternehmen gesund wachsen kann. Sie begleitete mich unentgeltlich als Mentorin. Ich habe weder von ihren Beziehungen, noch von ihrem Geld profitiert, sondern von ihren kritischen Fragen und ihrer motivierenden Art. Ihr und auch dem Verwaltungsratspräsidenten der Solis AG, Willy A. Nauer, bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Willy Nauer bringt viel unternehmerisches Wissen in unseren Verwaltungsrat ein.
Sie sind selber Pflegefachfrau, nun aber vor allem als Unternehmerin tätig. Vermissen Sie manchmal die Arbeit mit den pflegebedürftigen Menschen?
Ich besuche regelmässig Kunden, um mir ein Bild zu machen über die Arbeit an der Basis. Bei Sterbebegleitungen oder sozial schwierigen Situationen bin ich an Ort und Stelle. Da ich wie die Bereichsleiterinnen regelmässig Hintergrund-Telefonpikett habe, weiss ich was meine Mitarbeiterinnen beschäftigt. Ich sehe meine Rolle heute eher als Unterstützung der Mitarbeiterinnen, damit sie vor Ort die Voraussetzungen haben, ihre Aufgabe optimal zu erfüllen. Auch das ist sehr erfüllend. Denn ich sehe wie Menschen sich unter guten Voraussetzungen entwickeln können. Und dann sind ja auch noch die Besuche mit unserer Spitex-Hündin Kira. Regelmässig besuche ich mit Kira kostenlos Menschen, die selber mal einen Hund hatten, deren Umstände das aber nicht mehr erlauben.
Frau Radtke, herzlichen Dank für das Interview.
Barbara Radtke – Werder
Geburtstag: 21. April 1973
Familie: verheiratet, 3 Kinder (1999, 2002, 2005)
Berufserfahrung
Seit 2009 Inhaberin / Geschäftsführerin, Spitex zur Mühle (100%)
2007 – 2009 Leiterin ambulante Dienste, TERTIANUM Gruppe (80%)
2003 – 2006 Regionalleitung, Joel-Stiftung Schweiz (50%) in Kombination mit Projektleitung Berufsvorbereitungsjahr, BKE Zürich (30%)
1999 – 2002 Leitung Aus- und Weiterbildung, Zürcher Höhenklinik Wald (60%)
1997 – 1999 Pflegefachfrau / Stv. Abteilungsleitung, Balgrist (100%)
Aus- und Weiterbildung
2013 Führung und Aufsicht als VR (St. Gallen)
2009 Unternehmerin / Gründung Spitex zur Mühle
2008 Management & Controlling (St. Gallen)
2003 – 2005 Mediation & Konfliktberatung (Bern)
2002 CPR- und Nothilfeinstruktorin (Lostdorf)
1999 – 2000 Erwachsenenbildnerin (Zürich)
1994 – 1997 Pflegefachfrau HF (Zürich)