von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Zwahlen, nur wenige Branchen sind von der Covid-Pandemie so stark betroffen wie Messebetreiber und Event-Veranstalter wie die MCH Group. Wie blicken Sie auf die letzten zwölf Monate zurück?
Beat Zwahlen: Die grosse Herausforderung, welche bis heute anhält, ist der Umgang mit der steten Unsicherheit. Bei den Entscheiden zur Absage unserer Veranstaltungen musste die Covid-Lage zum Durchführungszeitpunkt sowie die Bereitschaft der Kunden und der Besucher, unter den gegebenen Umständen teilzunehmen, antizipiert werden. Gleichzeitig mit der Umsetzung rigoroser Sparmassnahmen haben wir die Entwicklung digitaler und neuer Formate beschleunigt. Dass uns trotz Covid die Kapitalerhöhung zusammen mit dem neuen Ankerinvestor nach einem sehr anspruchsvollen Transaktionsprozess gelang, werten wir als besonderen Erfolg. Mit dieser strategischen Stärkung der Aktionärsbasis haben wir eine wichtige Basis zur erfolgreichen Weiterentwicklung der MCH Group gelegt.
Die MCH Group büsste 2020 fast 60% Umsatz ein und es resultierte ein Jahresverlust von 72 Millionen Franken. Wie stark linderten staatliche Covid-Darlehen und Kurzarbeitsentschädigungen oder Versicherungsleistungen die negativen Zahlen?
Das Instrument der Kurzarbeit bringt tatsächlich eine grosse Erleichterung. Aufgrund der Vorbereitungsarbeiten unserer Mitarbeiter bis zum jeweiligen Absagezeitpunkt haben die Ausfallentschädigungen im Geschäftsjahr 2020 allerdings nur einen tiefen zweistelligen Prozentsatz der gesamten Personalkosten ausgemacht. Dank des Cash-Zuflusses aus der Kapitalerhöhung sind wir glücklicherweise zur Cash-Sicherung letztlich nicht mehr auf die Covid-Kredite angewiesen gewesen. Versicherungsleistungen können wir für den Ausfall unserer grossen Kunstmessen in Anspruch nehmen, für die übrigen Events haben wir das Risiko selbst getragen.
Was erwarten Sie sich von dem vom Parlament beschlossenen Schutzschirm für die Eventbranche, mit der zumindest eine vernünftige Planung von Veranstaltungen wieder möglich werden soll?
Der Schutzschirm ist für uns in der fortwährenden Unsicherheit ein sehr wertvolles Instrument und kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Dank dieser Absicherung können wir das Risiko auf uns nehmen, die Vorbereitungen für die zwischen Juni 2021 und April 2022 geplanten Events nun konsequent voranzutreiben. Wir hoffen natürlich, dass wir unsere Veranstaltungen plangemäss durchführen können und damit auch für die Zulieferer und unsere Hallenstandorte wieder einen volkswirtschaftlichen Zusatznutzen stiften können.
«Der Schutzschirm ist für uns in der fortwährenden Unsicherheit ein sehr wertvolles Instrument und kommt genau zum richtigen Zeitpunkt.»
Beat Zwahlen, CEO MCH Group
Wie schwierig ist die rollende Planung der von Ihnen geplanten Messen und Events?
Das ist tatsächlich sehr anspruchsvoll. Es gilt bei allen bevorstehenden Veranstaltungen den richtigen Zeitpunkt zu finden, über eine Durchführung, Verschiebung oder Absage zu entscheiden. Grundsätzlich müssen diese Entscheide so spät wie möglich, aber bevor die grossen Kosten anfallen, gefällt werden. Damit einher geht auch der Balance-Akt, wo, wann, wieviel Arbeitszeit investiert werden soll.
Eine verlässliche Prognose über die weitere Entwicklung der Pandemie und wann es wieder möglich sein wird, Events mit Publikum durchzuführen, ist fast unmöglich. Dennoch – wie schätzen Sie die Entwicklung im Jahr 2021 ein?
Entscheidend wird die rasche Umsetzung einer grossflächigen Impfung und deren Wirkung bei Mutanten sein. Für die Schweiz und Europa hoffen wir, dass sich die Wirkung allmählich so entfaltet, dass ab September wieder ohne grössere Einschränkungen Indoor-Events stattfinden können. Für Outdoor-Events sollte dies mit entsprechenden Schutzmassnahmen bereits etwas früher möglich sein. England und die USA sind diesbezüglich früher dran, was grössere Events ab Mitte Jahr ermöglichen sollte. Die bisherigen Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass die Entwicklung oft unberechenbar ist und darauf stellen wir uns mit unserer rollierenden Contingency-Planung auch ein.
«Für die Schweiz und Europa hoffen wir, dass sich die Wirkung allmählich so entfaltet, dass ab September wieder ohne grössere Einschränkungen Indoor-Events stattfinden können.»
Das Aktionariat der MCH Group hat sich 2020 verändert. Der Kanton Basel-Stadt sowie Stadt und Kanton Zürich halten zusammen noch rund ein Drittel der Anteile. Gleichzeitig hat die Gruppe mit Lupa Systems von James Murdoch einen neuen Ankeraktionär. Was bedeutet die Neustrukturierung des Aktionariats konkret – über die Kapitalerhöhung von knapp 90 Millionen Franken hinaus?
Im Kern haben alle drei Aktionärsgruppen dasselbe Interesse, nämlich die MCH Group wieder auf einen profitablen Wachstumskurs zu bringen und Wert zu generieren. Die öffentliche Hand hat die privatwirtschaftliche und internationale Ausrichtung der MCH Group stets unterstützt und nun durch die Reduktion ihres Anteils die Voraussetzungen für den Einbezug des strategischen Aktionärs Lupa geschaffen. Die ausgewogene Aktionärsstruktur mit einer Beteiligung von rund einem Drittel der öffentlichen Hand, von Lupa Systems und von privaten Aktionären begünstigt die Umsetzung unserer internationalen Strategie und stellt auch sicher, dass die Standortinteressen von Basel und Zürich gewahrt bleiben.
Mit welchen Vorstellungen und Projekten hat sich Lupa Systems in die MCH Group eingebracht? Welche Rolle spielt der neue Grossaktionär bei der Transformation des Unternehmens?
Die weitere Transformation des Unternehmens wird durch die Strategie, welche wir derzeit gemeinsam weiterentwickeln, definiert. Lupa Systems ist durch ihre Verwaltungsratssitze an diesem Prozess massgebend beteiligt und wird hierbei ihr Know how in den Bereichen Digitalisierung und Technologie sowie Content Creation und Medien einbringen. Damit werden wir neue Themenfelder und Communities mit innovativen Formaten und neuen Technologien erschliessen. Die Transformation wird selbstverständlich durch den gesamten Verwaltungsrat zusammen mit dem Management vorangetrieben. Es ist schon jetzt spürbar, dass die Kombination aus bisherigen mit dem Unternehmen vertrauten Verwaltungsräten und den Neuzugängen aus verschiedenen Industrien zu einer neuen Dynamik führen.
Die Krise hat die Möglichkeiten der Digitalisierung auch in Ihrer Branche aufgezeigt. Welche Projekte haben Sie bereits entsprechend umgesetzt?
Wir konnten im vergangenen Jahr mehrere digitale Plattformen lancieren, allen voran fünf Ausgaben der «Art Basel Online Viewing Rooms» und das «Swissbau Innovation Lab», die neue Community Plattform für die Schweizer Bau- und Immobilienwirtschaft. Wir konnten zudem im Bereich der «Live Marketing Solutions» zahlreiche digitale Events umsetzen und dabei wertvolle Erfahrungen mit hybriden und digitalen Strategien und Lösungen sammeln. Diese Erkenntnisse fliessen laufend in die Weiterentwicklung ein.
Gerade der speziell die Sinne ansprechende Kunstbereich ist digital schwierig zu vermitteln. Welche Ansätze verfolgen Sie hier?
Wir sehen hier die Zukunft primär hybrid. Konventionelle physische Art-Messen können mit digitalen Formaten ergänzt werden. So kann zum Beispiel während einer Messe eine digitale Plattform Kunstwerke anbieten, die nicht an der Messe ausgestellt sind. Eine digitale Plattform für die Kunst-Community kann über das ganze Jahr themenspezifische Inhalte vermitteln und komplementär zu den physischen Transaktionen an den Messen den Galerien auch digitale Transaktionen ermöglichen. Auch alternative Formate wie Art-Summits können sowohl physisch wie auch digital oder hybrid durchgeführt werden.
«Wahrscheinlich wäre es in Zukunft richtiger von Experience Marketing anstatt von Live Marketing zu sprechen.»
Gerade mal vier von 24 Eigenmessen konnte die Gruppe 2020 durchführen. Sind Sie überzeugt, dass Messen, speziell auch mit viel internationalem Publikum – in Anbetracht eines Virus, das uns wohl noch lange begleiten wird, überhaupt noch eine Zukunft haben?
Unser Ziel ist es Plattformen zur Verfügung zu stellen, auf denen wir Menschen für einen spezifischen Austausch zusammenbringen, also sogenanntes Match-Making ermöglichen. Traditionell waren das Messen für Anbieter und Käufer. Das physische Match-Making steht dann im Vordergrund, wenn ein grosses Bedürfnis nach persönlichem Austausch besteht, wenn die Menschen etwas erleben wollen. Erlebnisse können auf Inszenierung basieren aber auch durch die Ansprache der Sinne wie spüren, riechen oder die Wahrnehmung der echten Farben. Physische Events mit Experience haben mit Sicherheit eine Zukunft, wobei sich die physischen und digitalen Elemente vermischen und ergänzen werden. Letztlich geht es darum, für möglichst viele Akteure einer Community Mehrwert zu schaffen. Wahrscheinlich wäre es in Zukunft richtiger von Experience Marketing anstatt von Live Marketing zu sprechen.
Welche Rolle werden Schnelltests oder allenfalls ein Impfpass beim Zugang zu Live-Events haben?
Die Voraussetzung eines Test- oder Impfnachweises für die Teilnahme an einer Veranstaltung könnte sicher entscheidend zur Lockerung beziehungsweise Aufhebung des generellen Veranstaltungs- und des Reiseverbots beitragen. Die Vorbehalte in Politik und Bevölkerung gegen diesen indirekten Impfzwang sind nachvollziehbar. Das freiwillige Impfen könnte aber auch als Akt der Solidarität gegenüber allen Menschen gesehen werden, welche ihr Auskommen in den direkt betroffenen Branchen haben.
Letzte Frage: Welche Lehren ziehen Sie sich nach über einem Jahr aus der Pandemie? Einerseits für Ihr Unternehmen, andererseits für Sie persönlich?
Jeden Tag kann etwas zuvor völlig Undenkbares eintreffen. Darauf kann man nur durch grösstmögliche Flexibilität und Agilität vorbereitet sein. Das Unternehmen muss als Learning Organisation geführt werden, das sich laufend neu erfindet. Um das zu erreichen braucht es eine entsprechende Unternehmenskultur, die durch das Management vorgelebt wird. Eine Krise ist auch heilsam, indem sie zum Aufbrechen alter Denkmuster zwingt und Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten plötzlich bereit sind neue Wege zu gehen. Daraus ergeben sich Chancen, welche wir packen wollen. Diese Learnings für das Unternehmen gelten gleichermassen auch für mich selbst.