Bruno T. Messmer, General Manager DXC Technology Switzerland, im Interview

Bruno Messmer

Bruno Messmer ist seit 2022 Geschäftsführer der DXC Technology Schweiz. (Foto: zvg)

von Sandra Willmeroth

Moneycab.com: Herr Messmer, eine neue Studie der Uni Zürich attestiert der Künstlichen Intelligenz eine sinkende Akzeptanz in der Schweizer Bevölkerung. Wie erklären Sie sich das?

Bruno Messmer: Künstliche Intelligenz und speziell die neuen Fähigkeiten von Generativer KI konfrontieren uns zum ersten Mal in unserer Geschichte mit einer Nicht-menschlichen Entität, die mit uns in normaler Sprache kommuniziert. Die Antworten einer solchen Maschine sind häufig faszinierend intelligent. Erste eigene Erfahrungen kann damit heutzutage jeder Mensch mit einem Smartphone machen. Die sachliche und weniger sachliche Berichterstattung rund um diese erstaunlichen KI-Fähigkeiten machen jedoch auch Ängste nachvollziehbar: Dazu zählen beispielsweise die Furcht, den eigenen Job zu verlieren oder apokalyptische Szenarien einer ausser Kontrolle geratenen Superintelligenz. Damit sinkt die Akzeptanz für KI.

Wie kann man den Menschen die Angst vor KI nehmen?

Wir sollten versuchen, die Angst in Sachlichkeit, Respekt und Neugier zu verwandeln: So wie man vor einem grossen Pferd Furcht empfinden kann, lässt sich Vertrauen schaffen, wenn man mit dem Tier interessiert und respektvoll umgeht. Dieser Ansatz lohnt sich. Denn KI-Systeme werden künftig in vielen Bereichen zu einer enormen Produktivitätssteigerung führen. Wenn es gelingt, den Menschen zu zeigen, wie sie die Systeme für sich selber nutzen können – da helfen beispielsweise eigene Erfahrungen aus dem Alltag beim Schreiben von Emails, der Ferienplanung, der Zusammenfassung von Nachrichten, der Erstellung von Bildern – dann wird die Angst in Neugier umschlagen und mit dem Interesse lassen sich neue Anwendungsgebiete entdecken. Solche Erfahrungen werden beim technologischen Rennen, in dem wir uns als Gesellschaft und Menschheit befinden, entscheidend sein.

Welche konkreten Erfahrungen haben Unternehmen in der Schweiz in den vergangenen zwölf Monaten mit Gen-AI-Projekten gemacht?

Wir stellen fest, dass viele Unternehmen seit dem «ChatGPT-Moment» im November 2022, vornehmlich an zwei Themenbereichen arbeiten: Erstens, an der Nutzung einer ChatBot-Lösung, die unter Einbezug der eigenen Dokumente und Daten einen neuartigen Zugang zum eigenen Wissen ermöglicht – Stichwort ‘Talking-to-our-Data’. Zweitens, aufbauend auf diesen Erfahrungen, an der systematischen Suche nach weiteren Anwendungsfällen in den verschiedenen Bereichen des Unternehmens. Das heisst, sobald man erkannt hat, wie nutzbringend die neuen ChatBot-Lösungen sind, weil sie jedem Mitarbeiter einen Zugang zum Wissen der Firma in Dialogform eröffnen und dabei auf den eigenen GenAI-Sprachmodellen basieren, beginnt man nach vielen weiteren Einsatzfeldern zu suchen. Wichtig ist hier in jedem Fall, auf Datensicherheit zu achten. So sollten beispielsweise keine Systeme eingesetzt werden, die die eigenen Eingaben und Prompts als Trainingsdaten nutzen und anschliessend allen Nutzern ungeschützt zur Verfügung stehen.

Was sollte besser vermieden werden?

Es sind drei Aspekte, die unbedingt bedacht werden sollten: Die Vorrausetzung für den erfolgreichen Einsatz Generativer KI ist immer die Verfügbarkeit möglichst vieler Daten in digitaler Form im Rahmen einer umfassende Datenstrategie. Die ist jedoch in den Unternehmen nicht immer vorhanden. Das gilt auch für die schon länger genutzten traditionelleren Machine-Learning-Syteme. Ausserdem stellen wir fest, dass zwar viele Unternehmen einen Schritt über die Experimentierphase hinaus schaffen, eine wirklich skalierbare Nutzung von KI aber eher selten erreicht wird. Und letztlich ist es sehr wichtig anzuerkennen, dass alle Systeme – ganz ähnlich wie Menschen eigentlich – Fehler machen können. Sie irren sich und sind sogar zur Lüge fähig.

Dieses Phänomen liegt in der technischen Natur der Sprachmodelle begründet, die dafür trainiert worden sind, Sprache zu generieren, auch wenn nicht immer alles mit Fakten belegt werden kann. Die Qualitätskontrolle von GenAI-Arbeitsprodukten wird in Zukunft eine der Schlüsselrollen sein, für die menschliche Denkleistung zum Einsatz kommen wird. Dieser «Human in the AI-Loop» wird künftig in vielen Fällen den entscheidenden Qualitätsunterschied ausmachen.

«Die Qualitätskontrolle von GenAI-Arbeitsprodukten wird in Zukunft eine der Schlüsselrollen sein, für die menschliche Denkleistung zum Einsatz kommen wird.»

Wo ist KI aktuell erfolgreich?

Am besten funktionieren derzeit geschlossene Systeme für Mitarbeiter, die ihre eigene Arbeitsproduktivität durch GenAI-Lösungen um ein Vielfaches beschleunigen können. Dazu zählen beispielsweise Programmierer, Sachbearbeiter, Analysten oder Marketing-Spezialisten. Diese Anwendungen basieren darauf, dass man zwar die Sprachmodelle wie GPT4, Claude, Gemini oder auch die Open-Source-Modelle von Meta zur Sprachgenerierung anwendet, sie aber mit eigenen Daten und Dokumenten steuert. So wird es möglich, Resultate zu erhalten, die auf den eigenen Inhalten basieren. Hier gilt es darauf zu achten, dass man sichere, dedizierte Dienste nutzt, die die Daten nicht teilen. Insgesamt ist so eine Strategie dann besonders wertvoll, wenn Sachbearbeiter komplexe Dokumente kennen und analysieren müssen – hier bieten GenAI-Systeme schon heute grosse Vorteile.

Und wie sieht die Zukunft aus?

Ich gehe davon aus, dass wir vor allem in der Verbindung von KI-Systemen, Sensorik und Robotik in den kommenden Jahren einen ChatGPT-Moment der Roboter erleben werden. Vieles deutet in den Experimenten von Google, Microsoft, Nvidia oder auch Tesla daraufhin, dass wenn man die grossen Sprachmodelle mit Sensoren und den Bewegungsfähigkeiten verbindet, völlig neue Fähigkeiten entstehen. Wir werden es also erleben, dass auch die physischen Automatisierungsfähigkeiten zu neuen Einsatzfeldern führen werden. Auch hier werden wir daran arbeiten müssen, dass Sachlichkeit und Neugier gegenüber der Angst gewinnt und diese Entwicklungen und Produkte positiv aufgenommen und eingesetzt werden.

«In der Verbindung von KI-Systemen, Sensorik und Robotik werden wir in den kommenden Jahren einen ChatGPT-Moment der Roboter erleben.»

Welche Rolle spielt eine vorausschauende Regulierung in Sachen KI? Gibt es Beispiele, wo und wie versucht wird, der KI ethische und andere Grenzen zu setzen?

Ich glaube, die hohe Kunst wird darin bestehen, nicht nur auf eine KI-Regulierung hinzuwirken, sondern vor allem von einer vernünftigen KI-Förderung zu sprechen. Ziel sollte sein, Daten in einer Art und Weise zur Verfügung zu stellen, die Rechte der Urheber wahrt aber das volle Potenzial der neuen Technologie dennoch nutzbar macht. Regelungen sollten vor allem so strukturiert sein, dass die Menschen, Nutzer, Kunden und Mitarbeiter Vertrauen in die Systeme haben können. Dafür ist Transparenz wichtig – beispielsweise in dem Sinne: Wenn ich einen Dialog beginne soll immer klar sein, ob es sich um einen Menschen oder eine Maschine handelt.

In welchen Bereichen verspricht KI den grössten positiven Impact auf Wirtschaft und Gesellschaft? Die grössten Hoffnungen liegen wohl im Bereich der Medizin, richtig?

In der Medizin und der Gesundheitsversorgung sind grosse Durchbrüche bei den personalisierten medizinischen Diensten zu erwarten. Der Grund: Kein Arzt wird einen derart umfassenden Zugriff auf medizinisches Wissen haben und dieses mit den jeweiligen Symptomen eines Patienten so wirkungsvoll zusammenbringen können, wie ein fortgeschrittenes KI-Modell.

Aber auch in der Forschung nach neuen Medikamenten sind grosse positive Entwicklungen zu erwarten. Voraussetzung dafür wird aber eine durchgehende Digitalisierung des Gesundheitswesens sein. Denn nur wenn die Daten digital vernetzt verfügbar sind, lassen sich diese auch entsprechen nutzen. Neben der Medizin sind auch in der Landwirtschaft grosse Fortschritte zu erwarten. Basis dafür sind umfassende Analysen und der pflanzengenaue Einsatz von Wasser, Schutz- oder Düngermitteln. Die Liste mit Fallbeispielen lässt sich über alle Industrien hinweg weiter verlängern.

Welche Bedeutung haben Gen-AI-Projekte für das Geschäft von DXC Technology, als internationalem IT-Service Provider?

Bereits vor dem ChatGPT-Moment im Jahr 2022 waren Technologielösungen für KI-Aufgabenstellungen ein wichtiges Dienstleistungselement von DXC – beispielsweise rund um maschinelles Lernen für Predictive Maintenance oder Datenanalysen. Wir sind darauf spezialisiert, unseren Kunden dabei zu helfen, die Daten und Modelle, die für die jeweiligen Anwendungen trainiert werden müssen, professionell und in grossem Umfang zu betreiben. Dabei setzen wir auf MLOps-Managed-Services und MLOps-Accelerators. Diese MLOps-Fähigkeiten in Kombination mit Beratungsleistungen für den Einsatz der neuen generativen KI-Modelle und unsere Partnerschaften mit den grossen Herstellern dieser Modelle werden immer stärker nachgefragt.

Sehr wichtig ist bei der Umsetzung von Gen-AI und KI-Projekten, dass diese Lösungen in eine Landschaft von Systemen eingebettet werden müssen. Erst damit entsteht ein wirklich umfassender Nutzen. Wir glauben deshalb, dass unsere Kompetenzen beim Betrieb von Enterprise-Platform-Lösungen wie ServiceNow, Salesforce, WorkDay oder auch Datenplattformen wie Snowflake und Databricks idealerweise in GenAI-Projekte eingebracht werden können. Wir freuen uns sehr, unsere bestehenden aber auch neue Kunden auf der Reise hin zu einer systematischen Nutzung von KI-Systemen zu begleiten.

DXC ist international tätig, welche Länder haben die Nase vorn, wenn es um die Anwendung und den Nutzen von KI geht?

Die Herkunftsländer der aktuellen grossen Sprachmodelle sind hier natürlich nach wie vor an der Spitze. Das ist auch auf die grossen Investionen zurückzuführen, die damit verbunden sind. Dazu gehören natürlich die USA und China. Allerdings liegt auch Europa gut im Rennen, die Schweiz nimmt dabei eine spezielle Position ein. Zu nennen sind dann natürlich Grossbritannien, Frankreich und Deutschland mit vielen Einsatzfeldern in der Automobil-Industrie. Dazu kommen noch einige osteuropäische Länder – Estland ist beispielsweise sehr weit fortgeschritten. Allerdings werden einige europäische Länder auf ihren digitalen Infrastruktur-Ausbau achten müssen und auch darauf, dass die Dynamik nicht durch eine zu strenge Regulierung gebremst wird.

«Wir befinden uns mit grosser Wahrscheinlichkeit am Anfang eines neuen Zeitalters und das sage ich nicht nur, weil ich vor 30 Jahren im Studium KI als Schwerpunktthema hatte.»

Wird das zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor?

Wir befinden uns mit grosser Wahrscheinlichkeit am Anfang eines neuen Zeitalters und das sage ich nicht nur, weil ich vor 30 Jahren in meinen Studium KI als Schwerpunktthema hatte. Seit damals dachte ich immer wieder darüber nach, wann der Moment kommen wird an dem wir – wie es Ray Kurzweil genannt hat – die Singularität erreichen werden. Das meint den Zeitpunkt, an dem maschinelle Intelligenz der menschlichen ebenbürtig und wohl auch überlegen sein wird. Dieser Zeitpunkt ist mit den grossen Sprachmodellen sehr schnell viel nähergekommen, vermutlich erleben wir dies punktuell sogar in dieser Dekade.

Das wird Auswirkung auf alle Schritte der Wertschöpfungskette und der Leistungserbringung haben. Dabei handelt es sich um eine Art ‚Superkraft‘: Menschen und Organisationen, die diese einzusetzen wissen, werden einen unschätzbaren Wettbewerbsvorteil haben. Allerdings wird es ein Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Kräften brauchen, denn vieles wird von unseren digitalen Kollegen besser gemacht werden können als von uns. Es wird also neue Tätigkeitsfelder geben müssen und einen Ausgleich zwischen denjenigen, die viel Produktivität und Wohlstand gewinnen und jenen, denen die Transformation weniger gut gelingt.

Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich? Wie können wir aufholen?

Die Schweiz hat beste Voraussetzungen, um sowohl in der Entwicklung wie auch in der Anwendung von KI-Lösungen an der Spitze mitzuwirken. Unsere Hochschulen und ETH’s stellen das Personal für Forschung und für Start-ups; die Anwesenheit vieler führender globalen Unternehmen in der Nahrungsmittel-Industrie und in den Sektoren Pharma, Handel, Finanzwesen und Versicherungswesen liefern das wirtschaftliche Umfeld und damit auch potentiell den Zugang zu umfassenden Daten-Welten. So lassen sich neue Lösungen trainieren, adaptieren und anwenden; Die digitale Vernetzung und Infrastruktur in der Schweiz sind europaweit führend. Ganz wichtig: Die Bevölkerung hat – trotz der erwähnten Hinweise auf Ängste – doch eine natürliche Neigung zu einem vernünftigen Pragmatismus bei der Nutzung von neuen Technologien. All diese Vorrausetzungen sollten wir unbedingt weiterhin schätzen und pflegen und auch dafür Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen entsprechend gesetzt werden.

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