Caspar Eberhard, Geschäftsführer Appenzeller Gurt, im Interview

Caspar Eberhard, Geschäftsführer Appenzeller Gurt, im Interview
Caspar Eberhard, Geschäftsführer Appenzeller Gurt. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Eberhard, Sie führen eine Digitalagentur in Zürich und sind gleichzeitig Gründer oder Mitgründer von verschiedenen Unternehmen, darunter 2012 Appenzeller Gurt, ein Onlineshop für personalisierte Appenzeller Gurte. Wie kam es zu diesem Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne?

Caspar Eberhard: Als frühe Generation Y hat das Internet früh eine grosse Rolle gespielt, ich kann mich noch gut erinnern, als wir unseren Macintosh LC an das grosse WWW angeschlossen haben. Viel wichtiger ist aber, dass ich das Internet als grosse Chance sehe, etwas auszuprobieren, ohne sich gleich in riesige Investments zu stürzen. Zusätzlich ist man bei Onlinediensten nicht lokal oder zeitlich gebunden, sondern kann diese von überall und jederzeit ausführen.

Zu «Appenzeller Gurt» bin ich mehr aus Zufall gekommen, 2011 auf einer Reise um die Welt. Unzählige Kommentare zum meinem Appenzeller Gurt haben mich auf die Idee gebracht, den Appenzeller Gurt über die Schweiz heraus zu vermarkten: Sozusagen als digitales «Büdeli», in dem sich jeder seinen Gurt nach Wunsch zusammenstellen kann.

Neun Jahre danach hat Appenzeller Gurt beim Digital Commerce Award die Kategorie «Small Business» gewonnen und gesamthaft unter 170 Onlineshops Rang 3 erreicht, geschlagen nur von Coop und Digitec Galaxus. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Für mich bedeutet das natürlich einerseits eine grosse Genugtuung für all die investierten Tage und Nerven in den Onlineshop. Andererseits ist es für meine Digitalagentur «Werkstatt für Digitales» ein schönes Zeichen, dass man auch mit einem kleinen Budget mit den grossen der Branche mithalten kann.

Was stand beim Aufbau von appenzeller-gurt.com im Fokus?

Apenzeller-gurt.com sollte von Anfang an das «Büdeli» im Netz werden, für alle die es nicht nach Appenzell schaffen und sich da einen Gurt nach Wunsch zusammenstellen können. Wichtig war für mich aber auch, dass der Appenzeller Gurt aus dem Ethno-Kontext z.B. eines Michel Jordi herausgenommen wird, und als eigenständiges Accessoire steht, das zu allem kombiniert werden kann. Darum spielen bei appenzeller-gurt.com auch Kooperationen eine grosse Rolle: Passend müssen sie sein, aber auf den ersten Blick auch unerwartet, so z.B. die Kooperation mit Double Goose, einem HipHop-Brand, das in der Bronx der 90er Jahre gross geworden ist. Oder mit dem High-Fashionlabel Bode, das die Ornamente des Gurtes auf Kleider und Schuhe an die Paris Fashion Week gebracht hat.

«Wichtig war für mich aber auch, dass der Appenzeller Gurt aus dem Ethno-Kontext z.B. eines Michel Jordi herausgenommen wird, und als eigenständiges Accessoire steht, das zu allem kombiniert werden kann.»
Caspar Eberhard, Geschäftsführer Appenzeller Gurt

Wo liegen die Vor- resp. Nachteile eines kleinen Onlineshops?

Kleine Onlineshops müssen sich grundsätzlich um alles selbst kümmern: Logistik, Kommunikation, Entwicklung, Prozess, Buchhaltung und Materialbeschaffung. Wichtig ist da, Prioritäten zu setzen, auch mal auszulagern, wenn Geld fehlt. Ein gutes Netzwerk ist unabdingbar, doch die Basis ist eine grosse Leidenschaft fürs Produkt. Kleine Onlineshops haben natürlich auch Vorteile gegenüber den Grossen, sie sind schnell in der Umsetzung, haben völlig Freiheit in der Umsetzung, der Kommunikation zu den Medien aber auch auf Social Media und sind keinen Zwängen von Shareholdern unterworfen.

Die beiden Erstplatzierten des 2020-Awards spielen ja in einer ganz anderen Liga. Gibt es trotzdem auch Gemeinsamkeiten?

Je grösser ein Shop ist und je mehr Produkte er hat, desto mehr muss der Fokus auf der Usability liegen. Ich kann es mir leisten, auch mal eine Startseite zu fahren, die nicht super konvertiert. Nicht alles ist dem Umsatz untergeordnet. Ich denke aber, was Bezahlmethoden, Checkoutprozesse und Warenkorbabbrüche betrifft, so wollen wir das alle besser machen, um den Kunden einen möglichst einfachen Einkaufsprozess zu ermöglichen.

«Der Appenzeller Gurt wird durch alle Schichten getragen, vom Hipster bis zum Bergbauern, von Muotatal bis nach Zürich.»

Die Ornamente von Daniel Fuchs sind von seinem Vater und Onkel gezeichnet worden und werden seit mehr als 60 Jahren so gestanzt. (Foto: zvg)

Kommen wir zum Produkt, dem Appenzeller Gurt. Was macht den «Chüeligurt» speziell?

Der Appenzeller Gurt ist ziemlich einzigartig. In den USA gibt es vielleicht noch grosse Gürtelschnallen, Punks haben Nietengurte. Ornamente in dieser Art hat nur der Appenzeller Gurt – und natürlich die Appenzeller Sennentracht. In der Schweiz kennt denn auch jeder den Appenzeller oder eben Chüeligurt. Und jeder hat eine Meinung dazu, entweder gefällt er oder nicht. Auch wird er durch alle Schichten getragen, vom Hipster bis zum Bergbauern, von Muotatal bis nach Zürich. Letztlich gibt es auch nur noch zwei Familien und ein paar Einzelpersonen, welche diese Gürtel noch herstellen.

Gibt es Vorgaben hinsichtlich der Materialien oder Motive?

Die Ornamente sind die eigentliche Handschrift der Sennensattler. Die Ornamente von Daniel Fuchs sind von seinem Vater und Onkel gezeichnet worden und werden seit mehr als 60 Jahren so gestanzt. Klassisch sind die Ornamente aus Messing, es gibt sie aber auch in Neusilber, oder in einzelnen Fällen auch aus Silber. Die Gürtel mit Silberbeschlag sind immer handziselisiert, Ebenso wenn sie Initialen enthalten.

Appenzeller Gurt aus Hirschleder. (Foto: zvg)

Auf Ihrer Website kann aus 120 Varianten ein persönlicher Gurt oder ein Hundehalsband zusammengestellt werden. Accessoires, selbst ein Appenzeller Gartenstuhl ergänzen das Angebot. Die Gurte werden alle in Handarbeit von einem der wenigen Sennensattler im Appenzellerland gefertigt. Das limitiert natürlich die Produktion. Welche Stückzahlen lassen sich erreichen?

Der Appenzeller Gurt wird nie Massenware sein, Authenzität ist hier viel wichtiger als Quantität. Wir setzen mehr auf besseres und ökologisches Leder und neue Anwendungsfelder als auf möglichst hohe Produktionen mit hohen Margen. Wir sind am Einführen von «Treacable Leather», welches von Bio-Milchkühen aus Süddeutschland stammt, welches in einem Traditionsbetrieb ohne Chrom und auf pflanzlicher Basis gegerbt wird. Oder unser Appenzeller Gurt aus doppelt genähtem Hirschleder, hergestellt aus Rohhäuten von Hirschen aus der Regulationsjagd, die bis vor wenigen Jahren verbrannt wurden.

«Der Appenzeller Gurt wird nie Massenware sein, Authenzität ist hier viel wichtiger als Quantität.»

Kamen Sie nie in Versuchung, die Produktion auszubauen?

Nein, wie gesagt, Authenzität ist das wichtigste Gut. Ein Appenzeller Gurt hergestellt in Massenproduktion ausserhalb von Appenzell wäre für mich ein seelenloses Produkt. Auch kann eine Verknappung des Angebots auch positive Effekte haben, das Produkt wird mehr wertgeschätzt und – gerade in der heutigen Zeit – nicht als Saisonales Modeaccessoires abgetan.

Sie haben die Zusammenarbeit mit «Double Goose» und Bode erwähnt. Wie kommt es zu solchen Zusammenarbeiten?

Die Zusammenarbeiten sind nicht orchestriert, sondern wachsen organisch aus bestehenden Kontakten oder auch aus Zufällen. Die Zusammenarbeit mit Bode beispielsweise ist entstanden, weil Bode die AW20 Kollektion dem New Yorker Künstler Benjamin Bloomstein gewidmet hat. Dieser hat auf seinen Wanderjahren durch die Welt auch in Appenzell halt gemacht und von dort einen Appenzeller Gurt mitgebracht. Dieser ist der Designer Emily Bode aufgefallen, die sich sehr mit «Keepsakes», Erinnerungsstücken beschäftigt. Fasziniert von den Appenzeller Ornamenten hat sie mich angefragt, ob sie diese Ornamente in ihre Kollektion integrieren darf. Wichtig ist für mich, dass die Appenzeller Sennkultur nicht einfach verramscht wird, sondern dass eine grosse Achtung für das Handwerk und das Produkt besteht. Daneben haben wir auch kleinere Kooperation wie der obengenannte Hirschledergurt mit «Cervo Volante», welche Schuhe und Accessoires aus Hirschleder erstellen oder Remo Kast, der die Gartenstühle in den Farben der Appenzeller Häuser entwickelt hat.

Sind Ihnen letztlich solche Kollaborationen wichtiger als eine Steigerung der Absatzzahlen?

Ja, definitiv, die wenigsten Kollaborationen sind finanziell interessant, meist wird viel mehr investiert, als dabei herauskommt, vor allem an zeitlichem Aufwand. Solche Kollaboration sind für mich persönlich sehr bereichernd, sie sind aber auch wichtig wie Appenzeller Gurt als Brand wahrgenommen wird. Zusätzlich machen wir neuen Zielgruppen mit dem Appenzeller Gurt und der Appenzeller Sennenkultur bekannt, die bisher wenig bis keinen Kontakt hatten. Zuletzt sind für uns Kollaborationen auch immer ein wichtiger Newswert, da wir ja keine eigentlichen Kollektionen haben, sondern immer «nur» die gleichen Produkte.

Haben Sie bereits weitere Projekte in Planung?

Die nächste Kooperation wird im November gelauncht werden und rückt für einmal die weibliche Kundschaft in den Mittelpunkt. Mit dabei sind Accessoires wie Handtaschen, Sonnenbrillen und Schmuck – man darf also gespannt sein.

Herr Eberhard, besten Dank für das Interview.

Bode hat die Ornamente des Appenzeller Gurtes auf Kleider und Schuhe gebracht. (Foto: zvg)

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