Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika, im Interview

Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Müller, Sie wehren sich im Namen von Intergenerika vehement gegen ein Referenzpreissystem, unter anderem mit dem Argument, dass tiefere Preise sogar zu einer Mengenausweitung führen könnten. Glauben Sie wirklich, dass Medikamente denselben Gesetzmässigkeiten wie Nahrungsmittel folgen?

Axel Müller: Nein, Medikamente und Nahrungsmittel lassen sich diesbezüglich nicht vergleichen. Erfahrungen aus dem europäischen Ausland zeigen jedoch, dass es im Zuge einer Einführung eines Referenzpreissystems bei Medikamenten in gewissen Fällen zu einer Mengenausweitung kam. So wurden wieder mehr teurere patentierte Originalprodukte verschrieben, für die es keine Referenzpreise gibt, um den Patienten die Zuzahlung in der Apotheke zu ersparen.

«Wir wollen die Einführung eines Referenzpreissystems mit allen Mitteln verhindern... Sollte sich der Bundesrat dem Rat der zahlreichen Gesundheitsexperten verschliessen und das Referenzpreissystem durchsetzen wollen, werden wir auch ein Referendum nicht ausschliessen.«

Dr. Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika

Ebenso hat man festgestellt, dass in vielen Fällen bei einer Schmerzmittel-Verordnung noch ein – da jetzt neu sehr tiefpreisig – ein Omeprazol-haltiges Medikament verschrieben wurde, um einer möglichen Magenschleimhautreizung vorzubeugen, obwohl diese möglicherweise gar nicht aufgetreten wäre. In der Konsequenz steigen der Medikamentenverbrauch und schliesslich die -kosten wieder.

Mit Ärzten, Apothekern und Spitälern haben Sie zusätzliche Verbündete gegen die vom Bund geplanten Höchstpreise pro Wirkstoff. Wie schätzen Sie Ihre Erfolgschancen, welche Massnahmen werden Sie gegen die Referenzpreise noch ergreifen?

Wir wollen die Einführung eines Referenzpreissystems mit allen Mitteln verhindern und werden unsere Argumente im Rahmen der Allianz „Nein zu Referenzpreisen bei Medikamenten“ weiterhin gegenüber den politischen Entscheidungsträgern kommunizieren. Sollte sich der Bundesrat dem Rat dieser zahlreichen Gesundheitsexperten verschliessen und das Referenzpreissystem durchsetzen wollen, werden wir auch ein Referendum nicht ausschliessen.

«Die Schweizer Bevölkerung lehnt Referenzpreise genauso wie eine Billigstmedizin ab.»

Wir gehen davon aus, dass dieses die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung erhalten wird. Der grosse Erfolg der Pharmasuisse-Petition „Auch morgen medizinisch gut umsorgt“ mit über 340’000 Unterschriften per dato ist eine klare Botschaft: Die Schweizer Bevölkerung lehnt Referenzpreise genauso wie eine Billigstmedizin ab, was auch schon frühere Marktbefragungen ergeben haben.

Sie befürchten, dass sich bei einem Referenzpreissystem Anbieter aus dem Schweizer Markt zurückziehen würden. Weshalb sollte das eintreffen, da es sich auch im internationalen Vergleich immer noch um einen hochpreisigen Markt mit entsprechenden Margen handelt?

Die Situation in der kleinen Schweiz lässt sich nicht mit dem europäischen Ausland vergleichen. Fakt ist, dass schon heute einige Hersteller teilweise nicht kostendeckend operieren. Bei einem weiter verschärften Preisdruck werden sich mehr und mehr Hersteller aus diesen nicht rentablen Geschäften zurückziehen und sich profitableren Segmenten zuwenden, was zu einer Marktverengung und einer Verschärfung der heute schon akuten Lieferengpässe führen wird.

«Das Verschwinden von kleineren Generika-Anbietern und die Bildung eines Oligopols ist ein sehr realistisches Szenario.»

Das Verschwinden von kleineren Generika-Anbietern und die Bildung eines Oligopols ist ein sehr realistisches Szenario. Dann kann es bei der Medikamentenversorgung und der internationalen Zuteilung von teilweise lebensnotwendigen Medikamenten sehr eng werden. Gerade weil wir noch faire Preise haben, haben wir noch gute Chancen, bei Lieferengpässen einen Zuschlag zu erhalten. Diese Stellung würden wir bei einem Referenzpreissystem verlieren.

Der Generika-Markt ist in der Schweiz auch im 2018 überdurchschnittlich gewachsen, auf über eine Milliarde Franken. Wie wirkt sich der wachsende Generika-Markt auf die Sparbemühungen im Gesundheitswesen aus?

Das dynamische Wachstum bei Generika ist in der Tat sehr erfreulich. Im Jahr 2018 sind in der Schweiz für 1’050 Millionen Franken kassenzulässige Generika verkauft worden. 3.5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Im gleichen Jahr ist der Verbrauch auf 1’475 Millionen Tagesdosen angestiegen, was einer Zunahme von 6.3 Prozent entspricht.

Somit hat sich der Markt für kassenzulässige Generika zum wiederholten Mal dynamischer entwickelt als der gesamte Erstattungsmarkt. Mit 448 Millionen Franken alleine in 2018 konnten Generika einen wesentlichen Sparbeitrag leisten, von dem die Prämienzahler in der Schweiz profitieren. Doch es gibt noch genügend Luft nach oben: Durch eine stärkere Nutzung von Generika könnten weitere brachliegende Sparpotenziale in Höhe von 196 Millionen Franken ausgeschöpft werden.

Mit der Revision des Heilmittelgesetzes sollte seit Beginn des Jahres die Zulassung für Generika vereinfacht sein. Sieht man hier schon erste Auswirkungen?

Es ist noch zu früh, die Auswirkungen dieser Massnahme zu beurteilen. Auf jeden Fall ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Grundsätzlich müssen die Rahmenbedingungen für Generika signifikant verbessert werden, damit mehr Generika verordnet werden. Trotz des dynamischen Wachstums sind Generika in der Schweiz deshalb im Vergleich zum europäischen Ausland noch stark unterrepräsentiert. Darüber hinaus gibt es schlichtweg nicht die gleiche Anzahl Generika-Präparate wie beispielsweise in Deutschland.

«Grundsätzlich müssen die Rahmenbedingungen für Generika signifikant verbessert werden, damit mehr Generika verordnet werden.»

Hierzulande fehlen fast 200 Wirkstoffe als Generikum. Der Schweizer Markt ist für Nischenprodukte zudem zu klein. Wir können also nicht für alle Wirkstoffe ein Generikum entwickeln, weil es sich ökonomisch nicht lohnt, es sei denn, die Politik würde hierfür im Sinne der Versorgungssicherheit Anreize schaffen.

Mit etwas über 20 Prozent ist der Anteil der Generika in der Schweiz im europäischen Vergleich sehr tief (Deutschland 81 Prozent). Ein Grund gemäss Santésuisse ist der vergleichsweise hohe Preis der Generika. Wo orten Sie die Gründe und welche Massnahmen sehen Sie zur Steigerung der Generika-Anteile?

Das ist ein Trugschluss. Die patentabgelaufenen Qualitätsarzneimittel sind nicht zu teuer, sondern werden systematisch benachteiligt, was der zentrale Grund für den tiefen Marktanteil und die geringe Marktdurchdringung ist.

Zukünftig dürfen selbstdispensierende Ärzte und Apotheker wegen der Abgabe nicht mehr ökonomisch bestraft werden. Heute ist die Vertriebsmarge für selbstdispensierende Ärzte und Apotheker in der Schweiz so ausgestaltet, dass sie umso höher ausfällt, je teurer ein Medikament ist.

Sie leiten Intergenerika nun seit drei Jahren. Welche Ihrer Ideen und Projekte konnten Sie umsetzen, wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Ich freue mich sehr über die bis anhin erzielten Erfolge. Wir konnten den Marktanteil von Generika dynamisch ausbauen und leisten somit jährlich einen wesentlichen Sparbeitrag, von dem die Beitragszahler direkt profitieren. Wir konnten neue Mitglieder für den Verband gewinnen. Laut der offiziellen Verbandsstatistik 2019 ist Intergenerika mittlerweile der zweitgrösste Verband, wenn es um die Anzahl der abgegebenen beziehungsweise verschriebenen Medikamente geht.

Im Kampf gegen Referenzpreise konnten wir eine starke Allianz bilden, unser Anliegen breit abstützen und so die Glaubwürdigkeit verstärken. Doch es bleibt noch viel zu tun. Wir wollen, dass der Stellenwert von Generika und Biosimilars als kostengünstige Qualitätsarzneimittel massiv wächst. Oberste Priorität hat aber die Verhinderung eines unsozialen Referenzpreissystems für Medikamente, bei dem es nur Verlierer gäbe.

Wenn Sie sich von Bundesrat Alain Berset zwei Dinge wünschen könnten, welche wären das?

Ich wünsche mir von den politischen Entscheidungsträgern die Einsicht, dass Referenzpreise ein Irrweg für die Schweiz wären. So warnt der international respektierte Ökonom Professor Peter Zweifel vor „ungeplanten Konsequenzen“ eines Systemwechsels in der Schweiz.

Zweitens wünsche ich mir, dass eine sinnvolle Margenordnung für Generika und Arzneimittel gefunden wird, damit Generika nicht mehr länger benachteiligt werden.

Der Gesprächspartner
Seit dem 1. Mai 2016 hat Dr. Axel Müller die Führung des Verbandes Intergenerika inne. Müller ist promovierter Apotheker und verfügt über rund 30 Jahre Erfahrung in der Pharmaindustrie. Dabei war er in zahlreichen unterschiedlichen Funktionen zwischen Entwicklung, Zulassung und Markt tätig und bekleidete Führungspositionen in kleinen und grossen Unternehmen mit nationaler und internationaler Ausrichtung, meist mit Spezialisierung auf Generika.

Intergenerika
ist die Vereinigung der führenden Generikafirmen in der Schweiz, die ihrerseits über 90% des Generika-Volumens in der Schweiz repräsentieren. Intergenerika fördert die Akzeptanz von Generika durch Aufklärung von Medizinalpersonen, Fachverbänden, Krankenkassen und Patienten und fördert deren Verbreitung als qualitativ mindestens gleichwertige, jedoch preiswertere Arzneimittel. Im Weiteren plant und koordiniert der Verband die Kontakte zu Medien, Behörden und Vereinigungen im Bereiche von Medizinalpersonen und des Gesundheitswesens. Mit allen Massnahmen verfolgt Intergenerika das Ziel einer angemessenen Vertretung von Generika im schweizerischen Arzneimittelmarkt bzw. im schweizerischen Gesundheitswesen. Intergenerika

Exit mobile version