von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Klapper, der Rückgang von Auftragseingang und Umsatz im ersten Halbjahr kam nicht überraschend. Auch nicht im nun ausgewiesenen Ausmass?
Norbert Klapper: Das Umsatzniveau des ersten Halbjahres 2019 konnte man Anfang des Jahres grob abschätzen, denn es wurde wesentlich bestimmt vom Auftragsbestand zum Jahresende 2018.
Der Auftragseingang lag im ersten Halbjahr 2019 mit durchschnittlich 190 Mio. CHF pro Quartal über den 120 Mio. CHF, die wir im vierten Quartal 2018 erreichen konnten. Das war insofern ein positives Signal. Es fehlt allerdings noch einiges, um auf das Niveau von 250 Mio. CHF pro Quartal zu kommen, das wir über die letzten Jahre hatten.
Die Nachfrage nach neuen Maschinen ist um über ein Drittel eingebrochen, der Bestellungseingang insgesamt ging um 26% auf 378,3 Mio. Franken zurück. Welchen Einfluss hatte dies auf die Marktanteile von Rieter?
Der Grund für den Rückgang des Bestellungseingangs ist ein entsprechend niedrigeres Marktvolumen, es wird deutlich weniger in Spinnereien investiert. Wir gehen davon aus, dass sich der Marktanteil von Rieter im ersten Halbjahr 2019 nicht signifikant verändert hat.
Wie verlief das Geschäft in den Bereichen Komponenten und Wartung?
Das Geschäft mit Ersatz- und Verschleissteilen für Spinnereien lief auf gutem Niveau.
Welches sind die Gründe für die Investitionszurückhaltung Ihrer potenziellen Kunden?
Die wichtigsten Gründe für die Investitionszurückhaltung am Markt sind: die Überkapazität in der Spinnereiindustrie, der Handelskonflikt zwischen den USA und China sowie die politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten in Märkten, die für Rieter wichtig sind, z.B. die Türkei.
«Die textilen Wertschöpfungsketten sind heute weitgehend auf Basis des globalen Freihandels aufgebaut. Sollte sich diese Basis nachhaltig verändern, so werden sich die textilen Wertschöpfungsketten neu ausrichten.»
Norbert Klapper, CEO Rieter
Die Textilbranche ist eine sich um den ganzen Globus bewegende Industrie. Wie stark beschäftigt Sie der zunehmende Aufbau von Handelsschranken, der fortschreitende Protektionismus?
Dieses Thema beschäftigt uns. Die textilen Wertschöpfungsketten sind heute weitgehend auf Basis des globalen Freihandels aufgebaut. Sollte sich diese Basis nachhaltig verändern, so werden sich die textilen Wertschöpfungsketten neu ausrichten. Eine solche Entwicklung könnte nach einer Phase der Unsicherheit Investitionen nach sich ziehen, auch in Spinnereien – und damit eine Chance für Rieter sein.
Rieter hat an der Branchenmesse ITMA in Barcelona verschiedene Innovationen präsentiert. Wie wurden die Neuerungen aufgenommen?
Die Reaktion unserer Kunden war ausserordentlich positiv.
Worauf zielen die Innovationen aktuell?
Unsere Kunden wollen entweder ein bestimmtes Garn günstiger produzieren oder ein spezielles Garn anbieten, mit dem sie sich von ihren Wettbewerbern differenzieren.
Unsere Innovationen zielen in beide Richtungen: einerseits geht es um Kostensenkungen in der Garnproduktion, etwa beim Rohmaterial, beim Energieverbrauch, bei der Produktivität oder bei den Arbeitskosten. Die neue Rotorspinnmaschine R70, die den Einsatz von günstigem Material erlaubt, oder der Anspinnroboter ROBOspin sind Beispiele. Mit ROBOspin wird eine aufwändige manuelle Tätigkeit in der Spinnerei automatisiert, für die in einigen Märkten nicht ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Andererseits geht es um die Herstellung eines besonderen Garns wie beispielweise das Air-Jet-Garn, das aus Baumwolle auf Rieter-Systemen hergestellt wird. Es bietet Eigenschaften, die sowohl in der Weiterverarbeitung als auch für den Konsumenten sehr attraktiv sind.
Auch die Erhöhung der Flexibilität der Spinnereien ist ein Kundenbedürfnis, dem wir beispielweise mit unseren Compact Devices Rechnung tragen – mit ihnen kann man eine Ringspinnmaschine sehr schnell und einfach in eine Kompaktspinnmaschine umbauen und umgekehrt.
Im Juni konnte sich Rieter einen Grossauftrag über 180 Mio. Franken aus Ägypten sichern. Welche weiteren Faktoren lassen Sie für Ihr Geschäft optimistisch bleiben?
Wir rechnen für das zweite Halbjahr 2019 nicht mit einer signifikanten Verbesserung des Marktumfeldes. Deshalb fokussieren wir uns auf die Umsetzung des Kostensenkungsprogramms und die erfolgreiche Markteinführung der Innovationen, die wir an der Messe in Barcelona gezeigt haben. Rieter ist seit über 220 Jahren im Geschäft, und wir wissen: der Markt wird zurückkommen.
«Rieter ist seit über 220 Jahren im Geschäft, und wir wissen: der Markt wird zurückkommen.»
In den meisten Regionen war das Geschäft rückläufig, nicht so in Indien. Wie modern ist der Spinnereisektor dort, wie gross das Potenzial?
Die indische Spinnereiindustrie ist sehr leistungsfähig. Wir hören aber verstärkt von nicht ausgelasteten Betrieben, meist in Zusammenhang mit dem Rückgang der Garnexporte nach China. Dies wirkt sich nicht positiv auf die Investitionsneigung aus.
Aufgrund des deutlichen Umsatzrückgangs ergab sich auch ein operativer Verlust von 1,2 Mio. Franken. Wie stark zeigte das im März angekündigte Sparprogramm mit einem Abbau von rund 5% des Personalbestands bereits Wirkung?
Aus dem Vergleich der ersten Halbjahre 2018 und 2019 wird deutlich, dass es uns gelungen ist, die Marge trotz des Umsatzrückgangs auf dem Niveau von 27% zu halten und gleichzeitig die Strukturkosten um 12.1 Mio. CHF zu senken.
Stellt die aktuelle Entwicklung die mögliche Realisierung des Rieter-Campus in Winterthur in Frage?
Wir wollen mit dem Rieter-Campus den Kernthemen Kundenorientierung, Technologie und Innovation eine Heimat in Winterthur geben. Dies ist ein wichtiger Eckpfeiler der Umsetzung unserer Strategie, und wir arbeiten konsequent an dessen Umsetzung.
Herr Klapper, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Norbert Klapper, aus Deutschland, geb. 1963, liess sich zum Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Darmstadt ausbilden und promovierte zum Dr. oec. an der Technischen Universität München. Seit 2014 ist er CEO von Rieter. Davor war er Geschäftsführer (2011 – 2013) von Voith Turbo in Heidenheim. Bei Voith Industrial Services Holding GmbH, Heidenheim, war er von 2005 -2010 Geschäftsführer. Davor seit dem Jahr 2000 bei Dürr, Stuttgart, Mitglied des Vorstands. Von 1993 – 2000 war er bei Arthur D. Little, München, tätig und von 1989 – 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter an Universität Passau und TU München. Dr. Norbert Klapper ist Vorstandsmitglied der Swissmem.