Christoph Juen, CEO hotelleriesuisse
Christoph Juen, CEO hotelleriesuisse.
Von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Juen, im 1. Halbjahr 2011 haben die Logiernächte in Schweizer Hotels und Kurbetrieben im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 % auf 17,4 Mio. abgenommen. In Anbetracht der Frankenstärke hätte es schlimmer kommen können. Wie bewerten Sie das Resultat?
Christoph Juen: Vor dem Hintergrund des starken Frankens fällt die Bilanz zweischneidig aus. Einerseits konnte die Stadthotellerie, die stark vom Geschäftstourismus abhängt, im letzten Halbjahr von der positiven Konjunktur profitieren und weiter wachsen. Andererseits hinterliess der starke Franken im Alpenraum, der mehr als die Hälfte aller Logiernächte in der Schweiz erbringt, deutliche Spuren. Zwar verlief der Start in die Sommersaison im Juni noch mehrheitlich zufriedenstellend. Dieses Zwischenhoch ist aber im Wesentlichen auf die Verschiebung von Auffahrt und Pfingsten zurückzuführen, die 2010 im Mai und 2011 in den Juni fielen. Der negative Jahrestrend dürfte sich angesichts der prekären Lage an der Währungsfront in den kommenden Monaten noch verstärkt fortsetzen.
Die Inland-Nachfrage stieg um 0,8 %, der Geschäftstourismus bescherte den Stadtbetrieben ein Wachstum von 3,3 %. Schlechter lief es für den Alpenraum. Wie stark hat die Tourismusregionen der starke Franken getroffen?
In der preissensiblen Ferienhotellerie stehen die Zeichen leider tatsächlich nicht gut. Hier führte der starke Franken im ersten Halbjahr 2011 zu einem regelrechten Wegbrechen der Nachfrage aus traditionellen Auslandmärkten wie Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden, Belgien und Italien. So verzeichnete Graubünden einen Rückgang der Nachfrage um 6 Prozent, was einem Verlust von 186‘000 Logiernächten entspricht. Auch das Wallis, das Berner Oberland und das Tessin mussten Einbussen in Kauf nehmen. Dazu kommt, dass die Hoteliers vermehrt zu Preiszugeständnisse gezwungen waren und damit eine einbrechende Marge zu verzeichnen hatten.
«In der preissensiblen Ferienhotellerie stehen die Zeichen leider tatsächlich nicht gut. Hier führte der starke Franken im ersten Halbjahr 2011 zu einem regelrechten Wegbrechen der Nachfrage aus traditionellen Auslandmärkten». Christoph Juen, CEO hotelleriesuisse.
Gab es Unterschiede in den einzelnen Hotellerie-Segmenten?
Die Betriebe der weiteren Basiskategorien wie beispielsweise Berggasthäuser oder Backpacker-Lodges konnten im ersten Halbjahr 2011 ein Wachstum von 5,5 Prozent erzielen. Die 4-Sterne-Betriebe legten in diesem Zeitraum um 0,5 Prozent zu. Die anderen Sternekategoreinen erlitten dagegen Verluste. Am stärksten getroffen hat es die 1-Stern-Betriebe (-4,7%) sowie die 5-Sterne-Hotels (-2%). Die 2- und 3-Sterne-Betriebe verloren im Vergleich zum Vorjahr 1,7 beziehungsweise 1,2 Prozent.
Aus welchen Ländern kamen mehr Touristen, aus welchen weniger?
Die Nachfrage aus der Schweiz wirkte sich einmal mehr stabilisierend aus und brachte mit 0,8 Prozent Zuwachs ein zufriedenstellendes Ergebnis. Erwartungsgemäss gespalten fiel die Bilanz bei den Auslandmärkten aus. Einerseits verlor die Schweizer Hotellerie 5,9 Prozent Logiernächte aus den Euro-Märkten – allen voran aus Deutschland, wo die Logiernächte um 7,6 Prozent eingebrochen sind. Auch die Nachfrage aus Grossbritannien litt unter dem starken Franken und verzeichnete einen Rückgang um 6,5 Prozent. Andererseits boomten Märkte wie China, Indien und die Golfstaaten, die Wachstumsraten im zweistelligen Bereich verzeichneten.
Wie haben die Hoteliers auf die vorauszusehenden, rückläufigen Zahlen reagiert, einerseits im Geschäft mit Einzelgästen, andererseits mit grösseren Veranstaltern?
Dass der Währungszerfall so rasant und vor allem so deutlich erfolgte, war kaum vorauszusehen. Zudem ist der Handlungsspielraum für den einzelnen Hotelier in dieser Situation sehr beschränkt, vor allem auch im Hinblick auf das hohe Kostenniveau in der Schweiz. Auch wenn die Ausgangslage alles andere als leicht ist – jammern will man nicht. Die Hoteliers stellen sich der Herausforderung und setzen auch weiterhin auf Qualitätsarbeit, ein konsequentes Stammkundenmarketing und attraktive Zusatzleistungen.
«Die Hoteliers stellen sich der Herausforderung und setzen auch weiterhin auf Qualitätsarbeit, ein konsequentes Stammkundenmarketing und attraktive Zusatzleistungen.»
Wie viele Hoteliers in den Tourismusregionen tragen das Währungsrisiko mit und offerieren ihre Angebote in Euro?
Entsprechende Zahlen liegen uns nicht vor. Kurzfristige Angebote mit Währungsgarantie, die zeitlich beschränkt sind, können durchaus Sinn machen. Ist die Garantie jedoch längerfristig ausgelegt und auf deutlich besseren Konditionen basierend, als dies der Tageskurs vorgibt, kommt dies einem Rabatt gleich, der in Anbetracht unserer Margen auf die Dauer substanzverzehrend ist. Insgesamt sind dauerhafte Preissenkungen kein probates Mittel gegen die Währungseffekte, da sich der Schweizer Tourismus nicht unter seinem Wert verkaufen kann und soll.
Das SECO rechnet aufgrund der Währungskrise mit steigenden Arbeitslosenzahlen. Wie stark wird die Hotellerie davon betroffen sein?
Die Hotellerie ist als Dienstleistungsbranche sehr personalintensiv. Kein Bereich der Wertschöpfungskette lässt sich automatisieren, ohne dass sich dies unmittelbar negativ auf die Qualität äussern würde. Es ist deshalb davon auszugehen, dass bei einem Wegbrechen der ausländischen Nachfrage oder gar bei einer Wachstumsabschwächung im betrieblichen Kostenmanagement auch die Arbeitskosten unter die Lupe genommen werden. Wenn Gäste fehlen, kann das Personal diese auch nicht bedienen.
Ein verstärktes touristisches Standortmarketing ist Teil der Strategie, die Binnennachfrage zu stimulieren. Was unternimmt der Verband, um zusätzliche Gäste aus aufstrebenden Nationen wie Russland, China und Indien in die Schweiz zu locken?
Die Marketingkompetenz liegt bei Schweiz Tourismus. Kurzfristig wird Schweiz Tourismus mit gezieltem Marketing die Auswüchse der Währungskrise abzufedern versuchen. hotelleriesuisse unterstützt dies ausdrücklich, und zwar mit einem substantiellen Finanzbeitrag. Mittelfristig gilt es die Wachstumsmärkte anzugehen. Ein Blick auf die Logiernächteentwicklung genügt, um zu erkennen, wo unsere zukünftigen Honigtöpfe sind. Derzeit erleben wir eine starke Zunahme bei Gästen aus Asien, den Golfstaaten und Brasilien. Um diese Märkte anzugehen, ist ein professionelles Standortmarketing zwingend notwendig, ebenso dessen solide Finanzierung. Wir setzen uns derzeit im Parlament stark dafür ein, dass es eine Aufstockung des Kreditrahmens von Schweiz Tourismus um 10 Prozent auf 210 Millionen Franken für die nächsten vier Jahre gewährt.
«Mittelfristig gilt es die Wachstumsmärkte anzugehen. Ein Blick auf die Logiernächteentwicklung genügt, um zu erkennen, wo unsere zukünftigen Honigtöpfe sind.»
Sie verlangen, dass die Nationalbank den geldpolitischen Spielraum voll ausschöpft, um den Franken zu schwächen. Wie beurteilen Sie das bisherige Vorgehen der SNB?
Die Nationalbank signalisiert, dass sie die negativen Folgen der Währungskrise auf die Export- und Tourismuswirtschaft erkannt hat. Ich kann die bisherige Zurückhaltung durchaus nachvollziehen. Unüberlegtes geldpolitisches Handeln würde gerade die investitionslastige Hotelbranche über eine höhere Inflationsgefahr und hohe Zinsen verhältnismässig stark treffen. Angesichts der derzeitigen ausserordentlichen Situation ist es unseres Erachtens aber zwingend nötig, über ausserordentliche Massnahmen nachzudenken. Die Nationalbank muss ihren geld- und währungspolitischen Spielraum ausschöpfen oder gar vergrössern. Letztlich wird sie nicht um ein Wechselkursziel im Sinne einer Untergrenze herumkommen, um die Ernsthaftigkeit ihres Kurswechsels auch den Märkten glaubhaft zu machen.
Und die Reaktionen der Politik?
Die Politik muss endlich die Folgen der Hochkosteninsel bekämpfen. Unsere Branche buhlt um internationale Gäste zu Weltmarktpreisen, die Kosten sind aber schweizerisch hoch. Es wird heute stets von der „Exportwirtschaft“ gesprochen, aber in den politischen Diskussionen wird regelmässig vergessen, dass der Tourismus die drittgrösste Exportbranche ist. Ich erwarte von Bundesrat und Parlament, dass bald griffige Massnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verabschiedet werden.
«Letztlich wird die SNB nicht um ein Wechselkursziel im Sinne einer Untergrenze herumkommen, um die Ernsthaftigkeit ihres Kurswechsels auch den Märkten glaubhaft zu machen.»
Die Löhne sind der grösste Kostensockel für die Schweizerische Hotellerie. Der neue GAV des Gastgewerbes tritt Anfang nächsten Jahres in Kraft. In Anbetracht der Auswirkungen der Währungskrise verlangen Sie nun flankierende Massnahmen. Was haben Sie da für Vorstellungen?
Für uns gilt auch in der Sozialpartnerschaft der Grundsatz, dass wir eingegangene Verträge einhalten. Alle beteiligten Sozialpartner haben den Gesamtarbeitsvertrag des Gastgewerbes unterzeichnet, der bereits seit 2010 in Kraft ist. Die ausserordentliche Währungssituation wird sich früher oder später auf den Arbeitsmarkt auswirken. Wir werden mit den Sozialpartnern das Gespräch suchen. Über den Inhalt dieser Gespräche lässt sich derzeit noch nichts sagen.
Sie beanstanden den generell hohen Kostensockel der Hotellerie in der Schweiz. Glauben Sie, dass Forderungen nach einer Öffnung der Agrarmärkte, Mehrwertsteuerreform und einer allgemeinen Senkung des Kostenniveaus in Anbetracht der Folgen der Währungskrise bessere Chancen haben?
Das will ich doch hoffen! Die Währungskrise manifestiert mit aller Deutlichkeit, was das Hochpreisinseldasein für uns bedeutet. Nämlich eine gesunkene preisliche Wettbewerbsfähigkeit, Margenschwund, geringere Kaufkraft und tiefere Realeinkommen. Und wir Hoteliers löffeln die Suppe aus, weil wir nicht im Ausland produzieren können. Dies muss die Politik erkennen und endlich handeln.
So wie Schweizerinnen und Schweizer in Massen über die Grenzen zum Einkauf fahren, ist auch zu erwarten, dass sie statt im Inland verstärkt im Euro-Raum-Urlaub machen werden. Wie beurteilen Sie die Aussichten bis zum Jahresende?
Derzeit liegen uns keine gesicherten Daten vor, inwiefern der schwache Euro inländische Gäste ins Ausland lockt. Im ersten Halbjahr nahmen die Gäste aus dem Inland zwar um 0,8 Prozent gegenüber Vorjahr zu. Doch die Verlockungen sind da. Im Sommer konkurrenzieren wir weniger mit den umliegenden Destinationen in den Alpen, als vielmehr mit dem Mittelmeerraum.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein?
Wir verfügen in der Schweiz über eine der besten Ausbildungsstandards weltweit, was Tourismus und Hotellerie angeht. Die hiesigen Führungs- und Fachkräfte profitieren direkt von dem hohen Bildungsniveau.
Wie wichtig ist Diversity für hotelleriesuisse und welche Massnahmen sind zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
hotelleriesuisse beabsichtigt, am Lohngleichheitsdialog teilzunehmen. Der Verband lebt die Chancengleichheit und fördert Frauen wie Männer gleichermassen. Weiter verfügen wir über ein Reglement über den Schutz vor sexueller Belästigung und Mobbing und stellen unseren Mitarbeitenden bei Bedarf eine externe Beratung zur Verfügung.
Herr Juen, herzlichen Dank für das Interview.
Zur Person:
Christoph Juen (*1953), Dr. oec HSG, ist CEO des Branchenverbandes hotelleriesuisse. Studium der Volkswirtschaft in Lausanne und St. Gallen, sowie SEP Stanford Business School. Während sechs Jahren Forschungstätigkeit in den Bereichen Konjunktur- und Strukturanalyse sowie demografische Studien am St. Galler Zentrum für Zukunftsforschung SGZZ. Über Stationen beim Bundesamt für Aussenwirtschaft (heute seco), wo er als Experte für Wirtschafts-, Währungs- und Finanzfragen tätig war, und dem Schweizerischen Handels- und Industrieverein Vorort (heute economiesuisse) wurde er Ende 1999 an die Spitze von hotelleriesuisse berufen.