von Bob Buchheit
Moneycab: Herr Keijzer, nicht überraschend in der weltweit schwierigen Chemiekonjunktur waren die letzten Quartalszahlen von Clariant mit einem Umsatzminus von acht Prozent durchwachsen ausgefallen…
Conrad Keijzer: Die jüngsten Quartalszahlen von Clariant spiegeln die aktuell schwierige Situation in der Chemiebranche wider. Während die meisten Geschäftsbereiche wie Care Chemicals und Adsorbents&Additives Wachstum verzeichneten, ging das Katalysatorengeschäft deutlich zurück. Trotz der Herausforderungen konnte Clariant die Profitabilität mit einer EBITDA-Marge vor Sondereffekten von 15,6% nahezu auf Vorjahresniveau halten.
Kann das jetzt besser werden?
Eine weitere Verbesserung hängt von mehreren Faktoren ab, wie der allgemeinen Wirtschaftserholung, stabilen Rohstoffpreisen und der Nachfrageentwicklung in unseren Kernmärkten. Ein positives Signal sehen wir in der anziehenden Konsumentennachfrage, insbesondere bei Unterhaltungselektronik und der Herstellung von Möbeln, sowie im Agrarbereich. Derzeit liegt das globale Industriewachstum leicht unter der globalen BIP-Prognose und zwar 2,6 % gegenüber 2,7 %, gemäss Oxford Economics für 2024. Es wird erwartet, dass sich dieses Muster 2025 mit einem Industriewachstum von 3,1 % im Vergleich zu einem globalen BIP-Wachstum von 2,8 % verschieben wird.
«Wir haben unsere einzelnen Segmente nach klaren Kriterien wie Marktattraktivität, Finanzkennzahlen und Wettbewerbsstärke analysiert und eine differenzierte Wachstumsstrategie implementiert.»
Conrad Keijzer, CEO Clariant
Seit einem halben Jahrzehnt hat Clariant bewusst auf rund ein Drittel seines Umsatzvolumens verzichtet, um sich auf die drei jetzt bestehenden Kernbereiche zu konzentrieren. Gibt es da Feinjustierungen?
Clariant hat sich auf drei Kernbereiche in der Spezialchemie mit einem grösseren Fokus auf den Konsumentenmarkt konzentriert, aber in der Tat gibt es Feinjustierungen, um unser Portfolio fortlaufend zu optimieren. Das Unternehmen verfolgt eine Purpose-geleitete Wachstumsstrategie mit dem Motto «Greater chemistry – between people and planet». Dieser Purpose umfasst vier strategische Dimensionen: Kundenorientierung, Innovation, Nachhaltigkeit und Menschen. Auch bei potenziellen Akquisen ist unser Vorgehen von diesem Zweck geleitet. Wir suchen stets nach ergänzenden «bolt-on» Akquisitionen, die die Kerngeschäfte stärken, hohe Innovationskraft sowie Margen bieten und unser Nachhaltigkeitsprofil verbessern. Kürzliche Beispiele sind der Kauf von Lucas Meyer Cosmetics, der Verkauf unseres nordamerikanischen Landölgeschäfts und der sunliquid Bioethanol-Anlage in Rumänien.
Das margenträchtige Geschäft mit Care Chemicals macht rund die Hälfte Ihres Umsatzes aus und soll es insgesamt richten. Das mittelfristige EBITDA-Margenziel liegt weiterhin bei 19-21% nach 2025. Wie sieht jetzt der Fahrplan aus?
Wir wollen globale Megatrends, die sowohl uns alle als auch unsere Kunden beeinflussen, noch intensiver für uns nutzen. Dabei gilt es auch, regionale Veränderungen zu berücksichtigen. Die Grösse des globalen Spezialchemiemarktes soll bis 2025 950 Milliarden US-Dollar erreichen. Davon werden 400 Milliarden US-Dollar aus Asien-Pazifik kommen, was zeigt, dass das Wachstum in der Region das in Europa bei Weitem übertreffen wird.
«Die Grösse des globalen Spezialchemiemarktes soll bis 2025 950 Milliarden US-Dollar erreichen.»
Gesundheit und Wellness werden für die Gesellschaft immer wichtiger. Nachhaltige Produkte wachsen in diesem Bereich typischerweise doppelt so schnell wie andere. Der demografische Wandel beeinflusst ebenfalls die Nachfragedynamik, wobei bis 2030 ein Anstieg der über 65-jährigen Bevölkerung um 66% erwartet wird. Um von diesem Megatrend zu profitieren, spielt unsere Business Unit Care Chemicals eine Schlüsselrolle. Zum Beispiel haben wir kürzlich acht neue leistungsstarke Hilfsstoffe zur sichereren Herstellung von Pharmaprodukten auf den Markt gebracht. Ein weiteres Beispiel, ist unser Portfolio an biobasierten und vereinfachten Inhaltsstoffen für Beautyprodukte.
Erfolgte die kürzliche Akquisition von Lucas Meyer Cosmetics auch vor diesem Hintergrund, und welche weiteren Treiber wird es geben?
Mit unsrer Fokussierung kommen wir den steigenden Erwartungen von Konsumenten nach einfacheren, effektiveren und zugleich natürlicheren Produkten nach. Für das gesamte Unternehmen ist auch die Digitalisierung ein weiterer, enorm wichtiger, Trend, der uns spannende Möglichkeiten für Innovation und Effizienzsteigerungen mit prognostizierten generativen KI-Produktivitätsgewinnen von 80 bis 140 Milliarden US-Dollar in der Branche bietet. Und nicht zuletzt ist die Dekarbonisierung ein Schlüsselthema für Regulierungsbehörden und Kunden, wobei die Chemieindustrie rund 7% der globalen Kohlenstoffemissionen verursacht.
Clariants profitables Wachstum wird von diesen Megatrends angetrieben werden. Jedes Geschäft hat einen eigenen strategischen Auftrag zur Optimierung der Wertschöpfung. Zudem sehen wir Innovation als einen weiteren Schlüssel zum Erfolg. Wir investieren durchschnittlich bereits mehr in Forschung und Entwicklung als unsere Mitbewerber. Clariant will künftig mit 4-6%, also über dem Marktwachstum von 2-4%, wachsen, was nur durch Innovation möglich ist. Dafür hat Clariant einen fokussierten Innovationsansatz mit spezifischen «Innovation Arenas» als Wachstumsfelder definiert; «Health and sustainability conscious consumers and brands», «Energy Transition» und «Circularity». In den nächsten drei Jahren sollen 70% des Wachstums aus diesen Arenas kommen und die Innovationsrate, definiert als Umsatz von Produkten, die in den letzen fünf Jahren eingeführt wurden, soll von 17% auf 20% steigen.
Lucas Meyer Cosmetics wuchs am besten, wie man an Ihren neusten Zahlen ablesen kann. Was sind dort die mittelfristigen Ziele?
Lucas Meyer Cosmetics ist ein gutes Beispiel für unsere «bolt-on»-Akquisitionsstrategie. Die Integration verläuft planmässig und trägt bereits zum Wachstum der Gruppe bei: In Q3 2024 waren dies schon zwei Prozent. Wir erwarten, dass das Geschäft für das Jahr 2024 (drei Quartale Konsolidierung) rund 75 Millionen Schweizer Franken zum Umsatz mit einem hoch attraktiven Margenprofil beiträgt.
Erfreulich ist das gute Volumenwachstum bei den Additiven. Da deren Aktivität als eher frühzyklisch gilt, ein gutes Zeichen?
Im Allgemeinen hat sich die Verbraucherstimmung verbessert. Allerdings fehlt nach wie vor das Vertrauen für grössere Anschaffungen. Die Menschen bevorzugen weiterhin Restaurantbesuche und Reisen. Trotzdem sehen wir bereits wieder einen Anstieg bei der Produktion bei einigen langlebigen Konsumgütern wie Unterhaltungselektronik und Möbeln, wofür unsere Additive eingesetzt werden.
China ist auch bei Clariant das grosse Fragezeichen. Hat das Riesenreich bei den Bestellungen eine «China first»-Politik?
Trotz des aktuellen Rückgangs von 13% verfolgen wir in China eine langfristige Strategie. Der Markt macht 45% des globalen Chemiemarktes aus und ist grösser als USA und Europa zusammen. Im November 2021 wurden 35% unserer Verkäufe in China lokal produziert. Heute erreichen wir bereits 55% lokale Produktion vor Ort. Mit den neuen Care Chemicals-Anlagen und der zweiten Produktionslinie für Flammschutzmittel werden wir dieses Jahr etwa 70% unserer Verkäufe in China lokal herstellen. Dies entspricht unserer «in China for China»-Strategie mit lokaler Produktion, Beschaffung und Produktentwicklung.
«Chinas Markt macht 45% des globalen Chemiemarktes aus und ist grösser als USA und Europa zusammen.»
Die Mehrzahl der Analysten sieht Clariant positiv. Was macht den Unterschied der zwischen der Schweizer Clariant und der arg in Bedrängnis geratenen deutschen Chemiebranche?
Wir sind ein global tätiges Unternehmen und bemühen uns, immer dort zu sein, wo unsere Kunden sind und wo die Märkte am schnellsten wachsen. Das war mitunter ein Hauptgrund für die Einführung unserer neuen Organisationsstruktur im Januar 2023, mit der wir die Anzahl der Geschäftseinheiten (Business Units) von fünf auf drei reduziert haben. Die Leiter der Geschäftseinheiten (BU Presidents) wurden dabei auch Leiter der Regionen mit dem für sie jeweils grössten Kundenstamm und dem grössten Wachstumspotenzial. Zudem haben wir die Zahl der Hierarchiestufen und die Komplexität in allen Unternehmensfunktionen deutlich reduziert. Dies ist äusserst wichtig, um auch künftig agil und proaktiv auf Veränderungen und Polykrisen reagieren zu können.
Nicht nur die im bisherigen Jahresverlauf abgesetzten Volumen, sondern auch die durchschnittlichen Verkaufspreise gingen leicht zurück. Fehlt es Ihnen im Moment an Pricing Power?
Im Gegenteil – wir sind stolz darauf, unsere Preise trotz des schwierigen Marktumfelds verteidigt zu haben. Die stabile Preisgestaltung trotz deflationärem Umfeld demonstriert die Stärke unseres Spezialchemieportfolios. Während die Rohstoffkosten in den ersten neun Monaten 2024 um 7.5% gesunken sind, blieben unsere Preise im Jahresvergleich stabil.
«Während die Rohstoffkosten in den ersten neun Monaten 2024 um 7.5% gesunken sind, blieben unsere Preise im Jahresvergleich stabil.»
Die Clariant Foundation feierte 10-jähriges Bestehen. Was war für sie das grösste Highlight?
Die Clariant Foundation wurde 2014 ins Leben gerufen – eine unabhängige, rein philanthropische Non-Profit-Organisation. Besonders erfreulich ist, dass die Stiftung allein im letzten Jahr 39 bemerkenswerte Projekte von Organisationen, Institutionen und Einrichtungen unterstützen konnte, die sich der Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher widmen. Diese Projekte entstanden in Zusammenarbeit mit Förderpartnern in 12 Ländern. Ein kürzliches Highlight ist zum Beispiel die Unterstützung für die Fundação da Gide in Brasilien mit 100’000 Franken für die Jahre 2024 und 2025. Diese wegweisende Initiative konzentriert sich auf die Verbesserung der Bildung von Kindern und Jugendlichen in ländlichen Bergbauregionen. In vielen ländlichen Gebieten Brasiliens fehlt bisher der Zugang zu qualitativ hochwertigen Schulen, was die Zukunftschancen junger Menschen erheblich einschränkt. Durch unsere Partnerschaft mit der Fundação da Gide leistet die Clariant Foundation einen wichtigen Beitrag zur Veränderung dieser Situation und eröffnet der nächsten Generation neue, vielversprechende Perspektiven.
Chemie wird gerne kritisch beäugt, insbesondere von Umweltschützern, wobei doch viele Produkte ausgerechnet dem Umweltschutz dienen. Wo besteht Ihrer Meinung nach Verbesserungsbedarf?
Die Chemiebranche ist ein wichtiger Hebel für die Nachhaltigkeit, da sie in der Herstellung von circa 95% aller Industrieprodukte involviert ist, aber sie kann nicht alles allein stemmen. Es bedarf der engen Zusammenarbeit von Gesellschaft, Politik und Industrie, um die Nachhaltigkeitsagenda entschlossen voranzutreiben. Als Spezialchemieunternehmen stellen wir innovative Produkte zur CO2-Reduzierung, für nachhaltige Kraftstoffe und Lösungen für die Gesundheit her. Zudem müssen wir Kundenerwartungen nach Nachhaltigkeit erfüllen und regulatorische Vorgaben einhalten. Der Schlüssel liegt in der kontinuierlichen Optimierung unseres Portfolios und unserer Betriebsabläufe bei maximaler Transparenz. So können wir Gewinne erzielen und gleichzeitig einen Beitrag für eine nachhaltigere Zukunft leisten. Keine der gegenwärtigen grossen Herausforderungen der Menschheit, wie der Kampf gegen den Klimawandel, die Energieversorgung der Zukunft oder die Welternährung werden ohne die chemische Industrie gelöst werden können. Das müssen wir entsprechend kommunizieren, um auch Umweltschützern klarzumachen, dass wir mit ihnen am gleichen Strang ziehen.