Daniel Brunner, Kleinaktionär, Philantrop und streitbarer Verleger, im Interview
von Robert Jakob
Daniel Brunner ist als Landis&Gyr-Erbe ein Urgestein im wohlhabenden Kanton Zug. Vater Andreas Brunner-Gyr war als Industrieller und FDP-Nationalrat (1967-1975) eine einflussreiche Persönlichkeit. Sohn Daniel (heute 62) machte seit den frühen 1980er Jahren linke Politik, von 1986 bis 1998 im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug, setzte sich für preisgünstigen Wohnungsbau und Biolandbau ein, war 1996 schliesslich Mitgründer und 2000-2006 Verleger der Zuger Presse. Aus der Politik hat er sich schon lange zurückgezogen, nicht jedoch aus seinem Engagement für die Sache. Brunner erreichte 2016 vor Bundesgericht, dass Tempo 30 auch auf Hauptstrassen als Lärmschutzmassnahme in Betracht gezogen werden muss, und gegenwärtig setzt er sich für die Aufstockung von (freiwilligen) vermieterseitigen Erlassen von Geschäftsmietzinsen durch die öffentliche Hand ein. Mittlerweile ist er in Zugs Mitte angekommen: Der Zuger Stadtrat ehrte ihn 2016 offiziell mit einem Lebkuchen des Klosters Frauenthal; dieser geht jedes Jahr an Personen, die für die Bevölkerung der Stadt Zug „Aussergewöhnliches geleistet“ haben.
Mitte Mai kritisierte Brunner die Dividendenausschüttung der RMH Regionalmedien AG an die AG für die Neue Zürcher Zeitung in einem offenen Brief als Inserat in verschiedenen Zeitungen. Die NZZ wies die Kritik zurück und schrieb auf Twitter, die Aussagen von Brunner seinen falsch und orientierten sich an einer überholten Struktur.
Moneycab.com: Herr Brunner, was hat Sie denn die Breitseite gegen die Verwaltungsräte der NZZ und RMH in Form rund eines Dutzend DINA4-grosser Anzeigen gekostet?
Daniel Brunner: Ist es zuerst nicht interessanter zu wissen, wo die Anzeigen überall erschienen sind? Nämlich in den meisten abonnierten Zentralschweizer Regionalzeitungen, beginnend mit dem Urner Wochenblatt vom 9. Mai, dann noch vor der GV der RMH Regionalmedien AG in Willisauer Bote, Entlebucher Anzeiger, Freier Schweizer, Einsiedler Anzeiger, Höfner Volksblatt / March Anzeiger, Bote der Urschweiz und Rigi Post. Sodann im Blick, in Weltwoche, WoZ und in den Gratisanzeigern der Swiss Regiomedia von Christoph Blocher sowie auf den Online-Portalen zentralplus.ch, kleinreport.ch und jungfrau-zeitung.ch. Die Kosten: Inklusive Mehrwertsteuer 130’000 Franken.
Aber warum haben Sie die Form des offenen Briefs in den Medien gewählt?
Weil keiner der von mir über mehrere Wochen kontaktierten Journalisten oder keiner ihrer Arbeitgeber über den aktuellen Dividendenjahrgang 2020 und auch nicht über 20 Jahre „Dividenden-Abzügeln nach Zürich“ berichten wollte, habe ich mich genau eine Woche vor der RMH-GV für einen Offenen Brief in Form eines ganzseitigen Inserats entschieden, der in erster Linie in der NZZ und den Blättern der CH Media erscheinen sollte. Die Motivation: Eine seriöse regionale Berichterstattung, gerade auch wenn sie sich in Richtung von Monopolstellungen entwickelt, verlangt genug eigene Mittel. Die (früheren) Profite sollten nicht in die kleine Metropole Zürich „abgezügelt“ werden.
Der Hintergrund scheint mir bei dem was Sie sich das Ganze kosten liessen, aber noch tiefer zu gehen und sich lange aufgestaut zu haben?
Schon seit zwanzig Jahren zehrt die selber nur schwach rentable und manchmal sogar defizitäre NZZ-Gruppe die Substanz ihrer regionalen Töchter St.Galler Tagblatt Medien und LZ Medien, die vor zwei Jahren in der RMH Regionalmedien AG aufgingen, aus. Anfang April beantragte der RMH-Verwaltungsrat zugunsten der Mehrheitsaktionärin NZZ neuerlich eine Sonderdividende. Das hat mich empört. Schon vor einem Jahr hatte ich der RMH-GV vorgeschlagen, wenigstens auf die Sonderdividende zu verzichten – und nun sollte ich wegen COVID-19 nicht einmal die Chance erhalten, diesen Antrag vor allen Aktionären zu wiederholen. Mit 13.4 Millionen Franken Dividende bei einem Gewinn von nur 1.9 Millionen wollte der RMH-Verwaltungsrat ausgerechnet jetzt eine geradezu unanständige Ausschüttungsquote von 714 Prozent.
«Eine seriöse regionale Berichterstattung, gerade auch wenn sie sich in Richtung von Monopolstellungen entwickelt, verlangt genug eigene Mittel.»
Daniel Brunner, Kleinaktionär, Philantrop und streitbarer Verleger
Hat sich denn wirklich niemand, noch nicht einmal die Journalisten selbst, für Ihr Anliegen interessiert?
Thomas Bornhauser, der langjährige Chefredaktor der Luzerner Zeitung (1996-2016) stellte mir im April flächendeckendes Desinteresse der Medienwelt in Aussicht. Er hatte bezüglich der NZZ-Gruppe das zweifelhafte Privileg, mit ansehen zu müssen, wie die in seiner Zeit „ziemlich erfolgreichste Tageszeitung der Zentralschweiz in die Hände eines Unternehmens mit erstklassigem Ruf und null publizistischem Interesse an Regionaljournalismus“ geriet. Als ich dann das ganzseitige Inserat entworfen hatte, kamen mehrere positive Echos aus Zentralschweizer Verlegerkreisen. Einer schrieb mir: „Ich gratuliere dir zu deinem Mut. Der NZZ ist höchstens zu Gute zu halten, dass sie im Gegensatz zum Tagi relativ viel in Journalismus investiert. Aber es ist m.E. auch sehr diskutabel, wie die Grossverlage mit hohen Printabo-Preisen dem Print-Abo den Garaus machen, wie sie Kasse gemacht haben bei der sda/Keystone und wie sie mit den Zeitungsverträgern umgehen, zusammen mit der Post.“ Auch Journalisten haben zumindest privat positiv reagiert. Aber öffentlich berichtet haben vor der RMH-GV einzig persoenlich.com und kleinreport.ch, nach der GV meines Wissens einzig das Ostschweizer Portal saiten.ch und der kleine Zuger-Bieter aus Baar.
Auf Ihren Offenen Brief hat die Leiterin Unternehmenskommunikation der NZZ, Seta Thakur, doch reagiert. Sind Sie zufrieden?
Frau Thekur gibt Auskunft über das traurige Material, das die beiden Verwaltungsräte produzieren. Bis 2019 liessen die NZZ und die früheren Tochterzeitungen der RMH, die Luzerner Zeitung und das St. Galler Tagblatt, jeweils einen Journalisten aus dem eigenen Haus über die GV berichten. Der Autor des letztjährigen Berichts und Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion Peter A. Fischer hatte dieses Jahr aber schon Ende März zu „Augenmass und Zurückhaltung“ bezüglich Dividendenausschüttungen aufgerufen. Also veröffentlichte die NZZ nach ihrer GV einzig eine Medienmitteilung, wonach die beantragten 8 Millionen Franken Dividende bewilligt worden seien. Die RMH schaffte einen Monat später nach dem GV-Beschluss für 13.4 Millionen Dividende und Sonderdividende nicht einmal das.
Aber Sie haben doch nicht allen Ernstes geglaubt, dass die profitierenden Mehrheitsaktionäre die hohen Dividendenanträge ablehnen?
Doch, ein bisschen hatte ich gehofft. Eine Ausschüttungsquote von 714 Prozent, auch wenn sie im Aktionärsbericht beschönigend mit 117,5 Prozent angegeben wird, ist bei seit Jahren sinkenden und aktuell geradezu eingebrochenen Inserateerträgen und bei gleichzeitig branchenweit verfügter Kurzarbeit zweifellos imageschädigend. Nun ist klar: Ein Einknicken vor dem öffentlich auftretenden Kleinaktionär Brunner erschien den Managern der NZZ als die noch schlechtere Option.
Ausgerechnet an jenem Tag, an dem die NZZ-Aktionäre mit grosser Mehrheit die Dividendenausschüttung beschlossen, schrieb Chefredaktor Eric Gujer im Leitartikel auf Seite eins: „Die Corona-Krise besiegen wir nur mit Selbstverantwortung, nicht mit Seuchen-Sozialismus.“ und plädiert dann noch für „weniger Dividenden und Boni für das Geschäftsjahr 2020“. Wittern Sie jetzt eine Aushöhlung der Töchter?
Beide in der RMH fusionierten Gesellschaften haben hohe Reserven mitgebracht. Die St. Galler Tagblatt Medien Holding hatte gemäss Fusionsbilanz 2016 einen Aktivenüberschuss von mehr als 70 Millionen Franken. Die praktisch gleich bewertete LZ Medien Holding hatte demnach eine Nettosubstanz in ähnlicher Grössenordnung. Diese „freien Reserven“ könnten für die Publizistik in den Regionen der früheren Töchter, bei Beteiligung der AZ-Gruppe jetzt im ganzen Verbreitungsgebiet der lokal meist dominierenden CH Media-Blätter, eingesetzt werden. Aber die NZZ-Gruppe, welche sich finanziell nicht zuletzt wegen jährlich wiederkehrendem Abschreibungsbedarf auf (zu) teuer eingekauften Beteiligungen seit Jahren schwer tut, benützt das reichgefüllte Kässeli, um nach aussen gut dazustehen und weiterhin regelmässig eine eigentlich nicht verdiente Dividende auszuschütten.
Interessant in diesem Zusammenhang: Nach einem schlechten Geschäftsjahr forderte der damalige NZZ-Kleinaktionär und einstige SBG-Generaldirektor Ulrich Grete 2004, es solle auf die Dividende „zugunsten der Redaktion“ ganz verzichtet werden – und siehe da, was hat die Aktionärsversammlung beschlossen: Sie hat gegen den Verwaltungsrat gestimmt. Das hätte auch dieses Jahr so laufen können. Denn wie bei der RMH sind die Aktionäre grundsätzlich interessierter am publizistischen Ertrag ihrer Aktie als an der Dividende – ganz im Gegensatz zu Verwaltungsrat und oberstem Management, deren Entschädigung sich mehr oder weniger stark am ausgewiesenen Gewinn, ob tatsächlich verdient oder nicht, orientiert.
«Wenn nun diese Zwischenholding eine Substanzdividende ausschüttet – aus Reserven, die sie in früheren Jahren gebildet hat –, so geht diese Dividende nicht CH Media verloren, sondern sie fliesst ausschliesslich der NZZ Mediengruppe sowie den Minderheitsaktionären der RMH zu. Es geht hierbei also um eine primär konzerninterne Verschiebung.»
Seta Thakur, Leiterin Unternehmenskommunikation der NZZ-Gruppe zu persoenlich.com
Genutzt hat es aber nichts. Ihr Aufruf an die NZZ- und RMH-Verwaltungsräte, den Dividendenantrag nicht durchzuwinken, ist verhallt. Was hat es mit der Replik der NZZ auf sich, das Geld bleibe gleichwohl bei der CH Media, da diese ja ein nachrangiges Darlehen im Gegenzug bekomme?
Nach allen Regeln des Geschäftslebens ist die CH Media-Dividende nun Vermögen der Aktionäre, der AZ-Gruppe und der RMH. Auch wenn der Betrag auf einem Konto der CH Media liegt, gehört er ihr seit dem GV-Beschluss nicht mehr. Weil die meisten Angestellten der CH Media auf Kurzarbeit sind, weil sich Inserate und TV-Werbung weiterhin auf Sparflamme verkaufen, ist das Verhalten der „Kette“ CH Media-Aktionär RMH und NZZ-Gruppe als RMH-Dividenmelkerin meiner Meinung nach nicht nur nur ein Affront für die Mitarbeitenden der RMH Regionalmedien. Er gefährdet auch die Unterstützung der Öffentlichkeit für eine grosszügige Subvention der Zeitungszustellung durch den Bund.
Gemäss NZZ würden CH Media aber keine Mittel entzogen. „Diese werden vollumfänglich verwendet, um das journalistische Angebot in Corona-Zeiten aufrechtzuerhalten und um die Liquidität abzusichern“, so das Originalzitat.
Die Realität ist eine andere. Die regionale Berichterstattung der CH Media wird ausgedünnt. In der Ostschweiz, zugegeben nicht der wachstumsstärkste Teil der Schweiz, wurden kürzlich ganze Aussenstandorte des St. Galler Tagblatts geschlossen, in der Zentralschweiz und im Mittelland werden Abgänge schon seit Beginn des Sparprogramms „Kolumbus“ nicht mehr ersetzt. Und leider kommt das aus der Provinz abgezügelte Geld auch nicht den Angestellten der RMH-Mehrheitsaktionärin, zum Beispiel der NZZ-Redaktion, zu Gute.
Zur RMH:
Im Mai 2018 ist aus der LZ Medien Holding AG mit der „Fusion durch Übernahme“ der (St. Galler) Tagblatt Medien Holding AG die RMH Regionalmedien AG (kurz: RMH) mit Sitz in Luzern hervorgegangen, mittlerweile eine reine Holding-AG ohne Angestellte. Zusammen mit der AZ-Gruppe der Familie Wanner besitzt die RMH je hälftig die CH Media Holding, welche ihrerseits über Tochtergesellschaften alle Regionalzeitungen sowie die Radio- und TV-Stationen der CH-Media-Gruppe betreibt. Die AG für die Neue Zürcher Zeitung hält seit Frühjahr 2019 direkt 97 Prozent der RMH-Aktien, bis dahin via die mittlerweile liquidierte Freie Presse Holding AG.