von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Lutz, der Fünfjahresplan von Orior sieht eine Menge quantitative Ziele vor, darunter eine Zieleigenkapitalquote von mehr als 25 Prozent. Ist letzteres ambitioniert genug für ein Schweizer Unternehmen?
Daniel Lutz: Mit einer graduellen Steigerung der Eigenkapitalquote auf über 25% bis ins Jahr 2025 (und weitere Steigerungen darüber hinaus) fühlen wir uns sehr komfortabel. Bei der Beurteilung dieser Zielgrösse ist mir wichtig zu erwähnen, dass wir unter Swiss GAAP FER rapportieren und der Goodwill über das Eigenkapital verrechnet wird. Das ist für uns die sinnvollere und richtige Vorgehensweise, da die Erfolgsrechnung so nicht belastet wird. Entsprechend ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht wichtig, dass auch die Schattenrechnung mit der Goodwill-Verrechnung angeschaut wird, womit dann per Halbjahr 2020 eine Eigenkapitalquote – Goodwill ausgeschlossen – von über 36% resultiert.
Die zwei bis vier Prozente Wachstumsplanung beim organischen Wachstum pro Jahr sind solide. Welche Produkte werden da noch zusätzlich herausstechen?
Das grösste Wachstum erwarten wir aus dem Segment International, gefolgt von Convenience und dann Refinement. Innerhalb des Segments International gehen wir davon aus, dass sich die auf To-Go-Genussinseln in der Reisegastronomie spezialisierte Casualfood ab 2021 langsam, aber stetig wieder erholen wird. Casualfood wurde von den massiven Einbrüchen im Flugverkehr stark getroffen.
«Der Trend für gesunde Nahrungsmittel und Getränke sowie auch der Trend für Bio erhielt mit der Corona-Pandemie noch zusätzlichen Aufwind.»
Daniel Lutz, CEO Orior AG
Die Lage sollte sich aber doch bald entspannen?
Sobald der Reiseverkehr wieder zunimmt wird sich das positiv auf das organische Wachstum der Gruppe auswirken. Einen weiteren Treiber sehen wir bei Culinor, welche wichtige neue Kanäle und Kunden erschliessen konnte, was sich vor allem ab 2021 positiv bemerkbar machen wird. Letztlich ist auch Gesa mit ihren Bio-Säften für das B2B-Geschäft sehr gut unterwegs. Der Trend für gesunde Nahrungsmittel und Getränke sowie auch der Trend für Bio erhielt mit der Corona-Pandemie noch zusätzlichen Aufwind. Im Segment Convenience sehen wir das grösste Potenzial in den Trendkategorien wie Bio, Natural, Regionalität/Swissness, Vegetarische und vegane Spezialitäten sowie Fleischersatzprodukte. Ausserdem gewinnen alle Themen rund um Nachhaltigkeit an Bedeutung. Stichworte sind hier zum Beispiel klimaneutrale Produkte, nachhaltige Rohstoffe, kurze Lieferwege oder dann auch gute soziale Bedingungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeitenden.
Was verstehen Sie in einem Satz mit „ORIOR New Normal“?
Unser Weg in eine nachhaltige Wachstumsdynamik. Das würde wohl am ehesten alles beschreiben, was in dieser umfassenden Initiative steckt. Es ist tatsächlich ein Weg. Wir befinden uns heute in mehreren Phasen gleichzeitig, herunter gebrochen in jedes einzelne Kompetenzzentrum.
Wo liegen jetzt ganz grob die Ziele bei der Kapitaleffizienz?
Ziel ist die graduelle und nachhaltige Verbesserung der Kapitaleffizienz. Diese wird erreicht durch stringente Prüfung aller Investitionsvorhaben und ihrer Returns. Im Fokus stehen dabei Investitionen, welche eine nachhaltige Steigerung der Kosteneffizienz ermöglichen, zum Beispiel durch Zusammenführen von Sortimenten oder ganzen Werken.
Wird die zweite Lock-down-Welle auf Ihr Casualfood und Ihre Convenienceprodukte voll durchschlagen?
Bei der zweiten Lock-down-Welle erwarten wir weniger starke Effekte wie bei der ersten Welle. Im März 2020 haben wir rigoros und konsequent auf die Gesundheit und den Schutz unserer Mitarbeitenden gesetzt und dafür auch entsprechend Geld und Ressourcen investieren müssen. Das war aber definitiv richtig. Denn wir konnten unsere Mitarbeitenden bestmöglich schützen und wir konnten die Lieferbereitschaft immer vollumfänglich sicherstellen. Davon profitieren wir jetzt in der zweiten Welle; unsere Mitarbeitenden fühlen sich sehr sicher. Auch die Veränderungen im Produkt- und Kanalmix haben uns im März sehr abrupt getroffen.
«Wesentlich über 90 Prozent des Geschäfts der ORIOR-Gruppe ist sehr resilient.»
Casualfood wird aber wohl unter der zweiten Welle wieder zurückfallen, oder?
Ja, aber gleichzeitig ist der restliche Teil unseres Geschäfts, welches nota bene wesentlich über 90 Prozent der gesamten Gruppe ausmacht, sehr resilient. Die breite Aufstellung, die wir uns in den letzten Jahren geschaffen haben, hat diese Resilienz weiter gestärkt. Innerhalb dieses Anteils sehen wir ähnliche Treiber wie bei der ersten Welle. Schwacher Food Service (Gastronomie, Kantinen, Mittagstische, Event-Catering) bei gleichzeitig mehr Konsum zu Hause und damit ansteigenden Umsätzen im gesamten Retailbereich. In Summe dürfe sich dies tendenziell positiv für uns auswirken, da der Anteil an Retail doch bedeutend grösser ist.
Zeichnet sich bei den Fleischpreisen für einmal eine Entspannung ab? Früher war ja die „Minusteuerung“ normal.
Leider nein. Die Fleischpreise verharren auf sehr hohem Niveau. Der eigentliche Zyklus, welcher früher die Fleischpreise mit einer gewissen Zuverlässigkeit wieder ausnivellierte, hat sich in den letzten Jahren bereits abgeflacht. Im Moment ist der Preis auf einer konstant hohen, geraden Linie und bewegt sich kaum. Das dürfte wohl auch für die nächsten Monate so bleiben.
Im Bereich Food Service sehen Sie im nächsten Jahr keine Rückkehr aufs Vorjahresniveau. Worauf ist das zurückzuführen?
Der Food Service beinhaltet bei uns neben der Gastronomie auch Kantinen, Mittagstische, die Reisegastronomie und Event-Catering. Während sich die Gastronomie im 2021 etwas erholen dürfte, wird dieser Effekt bei den Kantinen – aufgrund sehr ausgeweiteter Homeoffice-Regelungen vieler Grossunternehmen – und auch bei den Events – bereits heute werden viele Grossevents für 2021 abgesagt – nur auf geringem Niveau erholen. Die Reisegastronomie, da müssen wir uns nichts vormachen, braucht sicher noch bedeutend länger als 2021, um sich wieder an das Vor-Corona-Niveau anzunähern.
Welche neuen Produkte kann der Verbraucher im 2021 von Orior erwarten?
Erweiterungen in unserem Vegi/Vegan Sortiment, Snack-Spezialitäten, Bio und regionale/nationale Neuheiten. Mit der Sehnsucht für die Ferne sehen wir auch gutes Potenzial für Ethno-Innovationen, sprich für Gerichte aus aller Welt. Gleichzeitig prüfen wir derzeit eine neue, nachhaltigere Folie und generell alternative Verpackungen. Auch das sind für uns sehr wichtige Neuerungen, die wir vorantreiben.
«Mit der Sehnsucht für die Ferne sehen wir auch gutes Potenzial für Ethno-Innovationen, sprich für Gerichte aus aller Welt.»
Zumindest in der Anfangsphase der fünfjährigen Strategieperiode soll es bei Orior nur kleinere Arrondierungskäufe geben. Wo könnten diese liegen?
Sowohl in der Schweiz als auch im europäischen Ausland. Eine Arrondierung muss aber zwingend ein bestehendes Kernsortiment ergänzen oder abrunden, und es muss ein funktionierendes Geschäft sein, welches mehrwertschaffend ist, das heisst eine entsprechend höhere EBITDA-Marge als die Gruppe aufweist. Restrukturierungen kommen für uns nicht in Frage.
Über 99% des von Orior verarbeiteten Sojas wird in der Schweiz produziert. Wo wird sich in den nächsten Jahren noch der Nachhaltigkeitsmix zugunsten der Schweiz verschieben?
Wir beziehen und verarbeiten schon heute sehr viele Rohstoffe aus der Schweiz. Wo immer wir Möglichkeiten sehen, diese Anteile weiter zu erhöhen, tun wir das in der Regel auch. Die grösste Herausforderung liegt bei der Verfügbarkeit hiesiger Rohstoffe. Bereits heute müssen wir bei gewissen Rohstoffen auf andere Ursprungsländer ausweichen oder zum Teil auch Produktionsvolumen limitieren. Zum Beispiel würden wir sehr gern mehr Bio-Fleisch aus der Schweiz verarbeiten. Wir suchen hier aber kontinuierlich nach Erweiterungspotenzialen. Gleichzeitig haben wir uns zum Ziel gesetzt auch Rohstoffe aus dem Ausland noch strengeren Kriterien zu unterziehen und den Anteil an nachhaltig gewonnen Rohstoffen jedes Jahr zu erhöhen. Produktverantwortung und darin enthalten auch nachhaltige Rohstoffe haben wir im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie als wesentliches Handlungsfelder definiert. Unsere Ziele, Fortschritte und Projekte in diesem Bereich können im Nachhaltigkeitsbericht im Detail nachgelesen werden.
Welche Bedeutung hat die Eröffnung des Flughafen Berlins BER für die Orior Gruppe?
Der Flughafen Berlin ist für uns enorm wichtig. Es ist deshalb natürlich sehr schade, dass wir im Moment erst auf Sparflamme funktionieren können. Wir sind bereit und können das Angebot flexibel und schnell hochfahren, sobald die Reisemöglichkeiten wieder zunehmen. Im Normalbetrieb werden wir dann der grösste Gastronomiebetreiber vor Ort sein, mit voraussichtlich über 20 Genussinseln und damit auch wesentlich stärker vertreten als vorher am alten Flughafen Berlin.