Dominique Rey, CEO Numarics, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Rey, nach 15 Jahren als Wirtschaftsprüfer, wovon 10 Jahre bei PwC, haben Sie 2019 das Startup Numarics mitgegründet. Was war Ihre Motivation, ein sicheres Umfeld zugunsten eines völligen Neuanfangs aufzugeben, was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse als Gründer?
Dominique Rey: Die sichere Corporate Welt zu verlassen ist nicht einfach. Ich hatte schon länger die Idee, ein Startup zu gründen und zusammen mit einem Team etwas Neues auf die Beine zu stellen. Dieser Wunsch hat sich während der Zeit bei PwC und danach immer mehr konkretisiert. Inspiriert wurde ich von anderen Unternehmern, die bereits ihren Weg gingen. Ich wollte etwas Sinnvolles, Neues erschaffen, das von Dauer ist und einen Nutzen bringt. Mit meinem Finanzhintergrund war es für mich naheliegend, die Treuhandbranche neu mitzudefinieren.
«Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass es sinnvoller ist, ein Ecosystem zu bauen, anstatt sich ausschliesslich auf Technologie zu konzentrieren.» Dominique Rey, CEO Numarics
Meine wichtigsten Erkenntnisse als Gründer sind ein sich ergänzendes Team, das am selben Strick zieht, Durchhaltevermögen, viel Zeit und Fleiss sowie einen klaren Finanzplan.
Numarics verwendet neueste Technologien, setzt aber ebenso auf ein Netzwerk von Treuhändern. Weshalb haben Sie die Disruption nicht konsequent zu Ende geführt und ganz auf die Treuhänder verzichtet?
Eine Disruption in der Treuhandbranche involviert beide Teile: Technologie im FinTech-Teil sowie Expertenwissen mit effizienteren Prozessen. Beides ist notwendig und in Kombination unschlagbar und hocheffizient. Wir haben im Laufe der Zeit festgestellt, dass es sinnvoller ist, ein Ecosystem zu bauen, anstatt sich ausschliesslich auf Technologie zu konzentrieren.
Die Disruption der Treuhandbranche involviert die Experten und sie bleiben wichtig und zentrales Element in der Kundenbeziehung. In Zukunft werden Treuhand-, Steuer-, Payrollexperten und Revisoren über viel mehr Datenpunkte und Informationen verfügen, um ihre Aufgaben effizienter, zielgerichteter und in höherer Quantität und Qualität zu erbringen. Die eigentliche Disruption ist die Standardisierung und Automatisierung der Treuhandbranche. Damit einhergehend verändert sich auch das Berufsbild zum Positiven.
Während sich Software fast beliebig skalieren und auch internationalisieren lässt, ist man für Treuhänder und Buchhalter auf Spezialisten und Spezialistinnen vor Ort angewiesen. Was bedeutet das für mögliche Wachstumspläne in anderen Ländern, welche Strategie verfolgen Sie da?
Es ist natürlich so, dass sich Software fast beliebig skalieren lässt. Das trifft in unserem Fall auf die Numarics-Module DocuBox mit dem Dokument-Management und der Archivierungslösung oder auch auf das Versenden von Debitorenrechnungen zu, welche kostenfrei mit unserer App genutzt werden können. Allerdings sind im Finanz-, Treuhand- und Steuerbereich lokale Bestimmungen von Land zu Land verschieden. Das betrifft insbesondere die Themen Steuern, Mehrwertsteuer, Darstellung der Finanzzahlen sowie Löhne und Sozialabgaben mit all ihren Komplexitäten.
«Die Schweiz ist für uns ein absoluter Schwerpunkt und äusserst interessant, da es sich um einen sehr grossen Markt mit über 600’000 KMU handelt.»
Andere Länder sind durchaus im Blick unseres Wachstumsplans. Insbesondere diejenigen Länder, welche eine grosse Anzahl an KMUs haben und die Bereitschaft zeigen, einen angemessenen Preis für eine All-In-Lösung zu bezahlen. Durch weitere Akquisitionen fassen wir dort schnell Fuss und können rein schon durch Prozessoptimierung und Nearshoring die EBITDA Margen steigern. Die Schweiz ist für uns ein absoluter Schwerpunkt und äusserst interessant, da es sich um einen sehr grossen Markt mit über 600’000 KMU handelt. Aktuell werden über 2 Milliarden CHF jährlich für Treuhanddienstleistungen ausgegeben.
Während Sie sich auf der Technologie-Seite gegen etablierte Buchhaltungssoftware-Unternehmen behaupten müssen, sind es auf der Treuhand-Seite klassische Treuhandunternehmen. Wo sehen Sie die Chancen für Numarics, was gelingt Ihnen besser als den Mitbewerbern?
Aktuell ist der Markt zweigeteilt. Entweder gibt es Firmen, die Buchhaltungssysteme anbieten oder sie sind klassische Treuhandunternehmen, welche die Technologie von diesen Drittfirmen einkaufen und verwenden. Es gibt bis auf wenige Anbieter keine wirkliche Durchmischung der beiden Anbieter, die für die Automatisierung und die Weiterentwicklung derart entscheidend ist. Auf dem Markt existieren aktuell nützliche Tools, die Treuhänder stark bei der Automatisierung unterstützen, allerdings sind es keine integrierten Ecosysteme, bei denen alle entscheidenden Funktionen Hand in Hand miteinander verknüpft sind. Durch diese Schnittstellen gibt es Kompatibilitäts- und Datenverluste (Friction) was dann nicht zur vollständigen Effizienz führt und schlussendlich wieder eine Abhängigkeit von Drittfirmen mit sich bringt.
Wir lösen das indem wir unser eigenes Ecosystem bauen und die bestehenden Prozesse zusammen mit unseren Experten aus den Bereichen Treuhand, Steuern, Löhne und Wirtschaftsprüfung in Zusammenarbeit mit unserem eigenen Development Team neu definieren, optimieren und automatisieren. Das bringt einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil, sowohl für uns als FinTech-Unternehmen aber auch und vor allem für unsere KMU Kunden, die wir weitestgehend von der Administration befreien.
Künstliche Intelligenz, lernende Maschinen und auf riesigen Datenmengen basierende Sprachmodelle wie ChatGPT, kommen immer breiter zum Einsatz. Wie verwenden Sie bei Numarics solche Mittel, wo sehen Sie die Grenzen der Künstlichen Intelligenz?
Wir verwenden diese Technologie insbesondere als Unterstützung von repetitiven Arbeiten in der Buchführung sowie Marketing, PR, Sales und Research. Je mehr Datenpunkte wir haben, desto wichtiger wird die Datenanalyse und dort sehen wir den Einsatz dieser Technologie auf jeden Fall.
Die Grenzen von KI sehen wir insbesondere in der Belastbarkeit der Resultate im Finanzbereich, wenn es um komplexere Sachverhalte geht. Zum Beispiel bei der Beratung in Steuerfragen oder Löhne und Sozialabgaben, für welche eine ganze Reihe von Datenpunkten und auch nicht digitalisierten Informationen zur Verfügung stehen müssen, damit eine schlüssige, sinnvolle und auch rechtlich durchsetzbare Lösung herbeigeführt werden kann, die dem Kunden dient.
«Die Grenzen von KI sehen wir insbesondere in der Belastbarkeit der Resultate im Finanzbereich, wenn es um komplexere Sachverhalte geht. Zum Beispiel bei der Beratung in Steuerfragen oder Löhne und Sozialabgaben.»
Da ist die heutige Technologie noch in den Kinderschuhen, lernt aber rasant dazu und wird uns in absehbarer Zeit zumindest in der Datenauswertung derart gute Resultate liefern, dass die Interpretation dieser Daten und die Erarbeitung einer guten Lösung für den Kunden viel zielgerichteter und schneller erfolgen kann. Einer der grössten Grenzen von KI ist Datenschutz und Wahrung von Vertraulichkeit. Das ist aktuell noch zu wenig thematisiert und muss gelöst werden. In unserem Geschäft haben wir mit sehr sensitiven Daten zu tun, die schützenswert sind.
Sie haben schon einen guten Teil der Buchhaltung automatisiert. Welche Abläufe lassen sich weiter verbessern, wo liegt zusätzliches grosses Potential zur Automatisierung?
Es gibt hier diverse Anknüpfungspunkte. Bei der projektbasierten Zeiterfassung, Debitoren, Kreditoren und Datenabgleich mit Finanzinformation besteht weiteres Potential in den Bereichen Steuern, Audit sowie in der Perfektionierung des Machine Learning Algorithmus.
Im April 2022 haben Sie in einer Finanzierungsrunde 2.1 Mio. CHF eingenommen und im Oktober 2022 eine weitere Runde angekündigt. Wie stehen Sie aktuell in der Finanzierung, wann ist eine nächste Runde geplant, welche Investoren oder Partner suchen Sie?
Wir sind gerade dabei, die nächste Finanzierungsrunde abzuschliessen. Bei Investoren sind wir insbesondere interessiert an Erfahrung mit unserem Vertical SaaS Roll-Up Modell sowie Kenntnissen im KMU-Segment, Finanzbereich und Upscaling. Finanzstarke Investoren sind ein wichtiger Grundpfeiler für eine erfolgreiche Zukunft.
Im Januar 2023 haben Sie mit a&o Kreston eines der grössten unabhängigen Treuhandunternehmen für KMU übernommen. 65 neue Kollegen und Kolleginnen stiessen zu den über 60 Numarics-Mitarbeitenden. Wie stellen Sie sicher, dass die beiden unterschiedlichen Kulturen gut zusammenwachsen?
Eine gemeinsame Vision und Mission, klare Kommunikation und gegenseitig abgestimmte Erwartungshaltung bezüglich der Meilensteine und Termine sind die wichtigsten Elemente.
Welches sind die wichtigsten Projekte, die Sie 2023 beschäftigen?
Im 2023 fokussieren wir uns auf die Kundenzufriedenheit, die Weiterentwicklung der Features unserer Apps und des Ecosystems, die Finanzierungsrunde sowie die Integration von Treuhandunternehmen.
Zum Schluss des Interview haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass wir mit Numarics unsere ambitionierten Ziele erreichen. Zweitens, Sicherheit für alle durch mehr Stabilität im weltweiten politischen und finanziellen Ecosystem.