Dorothea Strauss, Leiterin Corporate Social Responsibility, Schweizerische Mobiliar (Bild: Mobiliar)
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Frau Strauss, nach einer langen Karriere im Kunstbereich, zuletzt als Direktorin und Kuratorin des Museums Haus Konstruktiv in Zürich, leiten Sie seit 2013 den Bereich Corporate Social Responsibility bei der Mobiliar. Wie kam es zu dieser doch ungewöhnlichen Karriere-Entwicklung?
Dorothea Strauss: Gesellschaftsfragen haben mich immer interessiert. Und meine Arbeit im Museum war schon stark motiviert von der Frage der Wechselwirkung zwischen künstlerischem und gesellschaftlichem Handeln. Insofern ist meine neue Position in einem genossenschaftlich organisierten Unternehmen ein Wechsel auf die andere Seite der gleichen Medaille. Dieser Perspektivenwechsel fasziniert mich.
«Wir integrieren Kulturschaffende als eine treibende Kompetenz in unsere Projekte zu Themen wie z.B. Innovation, Verantwortung, Change-Management – aber auch zu konkreteren Fragestellungen wie etwa dem Hochwasserschutz oder der Gestaltung von Arbeitsräumen.» Dorothea Strauss, Leiterin Corporate Social Responsibility, Schweizerische Mobiliar
Sponsoring von Kunstanlässen und Künstlern ist eine im Finanzsektor etablierte Form des Engagements. Was aber haben Kunst und das Verständnis von Nachhaltigkeit eines Unternehmens wie der Mobiliar gemeinsam?
Unsere Vorstellung von Kunst als gesellschaftlichem Impulsgeber geht weit über das herkömmliche Sponsoring von Ausstellungen hinaus. Wir setzen uns mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen, wir hören ihnen zu, wir tauschen uns aus, wir lernen von ihnen. So integrieren wir Kulturschaffende als eine treibende Kompetenz in unsere Projekte zu Themen wie z.B. Innovation, Verantwortung, Change-Management – aber auch zu konkreteren Fragestellungen wie etwa dem Hochwasserschutz oder der Gestaltung von Arbeitsräumen.
Wie definiert die Geschäftsleitung der Mobiliar Soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit und welches sind daraus abgeleitet Ihre wichtigsten Aufgaben?
Nachhaltigkeit verlangt den Fokus auf das Wesentliche, bedeutet auch Reduktion, da sind wir uns alle einig. Doch Nachhaltigkeit braucht auch Überfluss – nämlich ein Mehr an neuen Ideen, an neuen Lebensentwürfen, neuen Perspektiven. Uns interessiert, wie wir eine Haltung unterstützen und fördern können, die sich mehrschichtig dem Thema Nachhaltigkeit nähert.
«Wir beschäftigen uns mit der Thematik, wie wir das Bewusstsein für komplexe Zusammenhänge und Themen schärfen können.»
Wir verfolgen daher einerseits eine klassische Strategie, mit der wir bereits bestehende soziale, ökologische oder kulturelle Projekte unterstützen, und zwar schweizweit, auch in Zusammenarbeit mit unseren Generalagenturen. Andererseits initiieren wir einen aktiven Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft. Da spielen Forschungsprojekte genauso eine Rolle wie z.B. neue Plattformen für Innovationsentwicklung für Schweizer KMU. Wir beschäftigen uns mit der Thematik, wie wir das Bewusstsein für komplexe Zusammenhänge und Themen schärfen können.
Während zu Zeiten von Frisch und Dürrenmatt Künstler zu politischen und wirtschaftlichen Themen spürbar Einfluss nahmen auf den Verlauf öffentlicher Debatten und vor allem auch bezüglich Nachhaltigkeit eine zusätzliche Dimension einbrachten, ist die Stimme von Künstlern zu aktuellen Themen kaum zu vernehmen. Woran liegt es und wie kann Ihr Engagement hier etwas verändern?
Ich sehe das nicht so negativ. Durch die letzten zwanzig Jahre hat sich ein ganz besonderer Prozess der Verzahnung zwischen künstlerischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Debatten entwickelt. Und der Ruf nach kreativem Querdenken wird immer lauter. Weltweit passieren da sehr reizvolle Projekte. In der Schweiz haben wir zahlreiche spannende Beispiele wie der Berner George Steinmann, der als Künstler auf die UN-Klimakonferenz in Paris letzten November eingeladen wurde und sich explizit mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt. Mit der Integration von Kulturschaffenden in unsere Nachhaltigkeitsprojekte versuchen wir diesen Faden weiter zu spinnen.
Die digitale Transformation verändert aktuell die Gesellschaft und zum Beispiel den Wert der Arbeit in zuvor nie da gekannter Art. Auch Berufe von hoch qualifizierten Personen sind diesmal gefährdet. Welchen Beitrag kann die Kunst in dieser Neuorientierung leisten?
Es geht nicht mehr ausschliesslich darum, „Einfluss zu nehmen“, sondern vielmehr mehrdimensionale Dialoge zu führen. Denn für unsere zukünftige positive Entwicklung ist es wesentlich, gemeinsame Lösungen zu finden. Neue Technologien schaffen nicht nur Probleme, sondern bieten vor allem auch neue Chancen. Der Beitrag der Kunst schafft ein optimales Trainingsfeld für diese Mehrdimensionalität.
Um die Zukunft der Schweiz wird aktuell heftig gerungen. Wie in anderen Ländern auch haben es vor allem rechte Parteien geschafft, Krisen zu thematisieren und eine “zurück zu den guten, alten Zeiten”-Mentalität zu bedienen, mit der Tendenz zu mehr Nationalismus und der stärkeren Betonung der Eigenständigkeit. An welchem Zukunftsbild der Schweiz orientiert sich die Mobiliar?
Die Raison d’Être der Mobiliar heisst „Das Leben leben. Wir sind da.“ Mit anderen Worten: Wir sind an einer gemeinsamen und positiven Zukunftsgestaltung interessiert. Und da wir genossenschaftlich verankert sind, und dies seit nun bereits 190 Jahren, leben wir das Thema Verantwortung auf ganz unterschiedlichen Ebenen, unternehmerisch wie auch gesellschaftlich. Da braucht es ein Verständnis der Tradition genau wie eine Neugierde für das, was wir heute noch nicht richtig einordnen können.
«Ich persönlich finde das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens interessant und diskutierbar. Schon alleine die Debatte darüber bringt uns weiter.»
Die Schweizer StimmbürgerInnen haben am 5. Juni die Gelegenheit über ein bedingungsloses Grundeinkommen abzustimmen. Der innovative Ansatz, Einkommen und Arbeit neu zu definieren findet auch international eine hohe Beachtung und viel Zustimmung auch aus der Wirtschaft. Eine aus Ihrer Sicht unterstützenswerte Idee zur Neugestaltung der Gesellschaft?
Sie haben es bereits angesprochen: Die u.a. zunehmende Digitalisierung wird unsere ganze Gesellschaft und unsere Wirtschaft auf den Kopf stellen, sie wird das Individuum mit grossen Herausforderungen konfrontieren. Auch in der Schweiz wird auf uns zukommen, dass wir umverteilen müssen. Und die Bedeutung der Verantwortung jedes einzelnen wird auf den Prüfstand geraten.
Ich persönlich finde das Modell eines bedingungslosen Grundeinkommens interessant und diskutierbar. Schon alleine die Debatte darüber bringt uns weiter. Die Strukturen des Sozialstaates allerdings müssen finanzierbar bleiben, das ist bei dem vorgeschlagenen Modell noch nicht zu Ende gedacht.
Welche Entwicklungen und Innovationen mit dem Potential, die Schweiz nachhaltig positiv zu beeinflussen, leuchten am hellsten auf Ihrem Radar?
Mich fasziniert die Herausforderung, wie wir unsere starken und traditionellen Gesellschaftswerte mit einem klaren Interesse an Zukunft, an Technologie in Einklang bringen. Deswegen ist z.B. auch so wichtig, dass die spannenden jungen Start-ups hier bleiben und nicht wegen schlechter Rahmenbedingungen ins Ausland abwandern. Dafür muss sich die Schweiz einsetzen. Wir haben sehr viel Potenzial, sowohl aus unserer föderalistischen Tradition der gegenseitigen Verantwortung als auch aus wirtschaftlicher Perspektive.
«Es ist wichtig, dass die spannenden jungen Start-ups hier bleiben und nicht wegen schlechter Rahmenbedingungen ins Ausland abwandern.»
Hinzu kommt das duale Ausbildungsmodell, das uns stark und einzigartig macht. Bei uns wachsen starke Forscherinnen und Forscher heran, und hochqualifizierte Berufsleute – die dürfen wir nicht verlieren.
Robo-Advising, Augmented Reality, Industrie 4.0 und in der Ausbildung unserer Schüler diskutieren wir über Schönschreiben, Häkeln für alle und die Legitimität von religiösen Symbolen in den Schulzimmern. Wie gut sind die kommenden Generationen ausbildungsmässig für die Herausforderungen der digitalen Transformation gerüstet?
Natürlich ist es wichtig, wissensmässig à jour zu sein. Aber die wesentliche Frage ist, wie wir Brücken bauen können, wie es uns gelingt, die alte und die neue Welt produktiv zu verbinden. Dafür ist es matchentscheidend, dass junge Menschen schon früh an eine produktive Verbindung zwischen technologischem Fortschritt, Kreativität und Verantwortung, zwischen Intellekt und Emotionen herangeführt werden. Der Filmemacher und Philosoph Alexander Kluge sagte einmal, dass die Zeit des Balancierens angebrochen sei. Und von wem können wir uns das besser abschauen als von Kulturschaffenden.
Zum Schluss des Interviews haben Sie noch zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass wir alle gemeinsam realisieren, dass wir nur eine Welt haben. Heute und in Zukunft.
Die Gesprächspartnerin:
Dorothea Strauss leitet seit 2013 die Abteilung Corporate Social Responsibility bei der Mobiliar. Zuvor war die interdisziplinär arbeitende Expertin und international renommierte Ausstellungsmacherin Direktorin des Museums Haus Konstruktiv in Zürich, ausserdem Gründungsvorsitzende der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum der Stadt Zürich. Bei der Mobiliar entwickelt sie mit ihrem neunköpfigen Team einen innovativen Umgang mit Zukunftsfragen zur Nachhaltigkeit.
Das Unternehmen:
Die Mobiliar wurde 1826 in Bern gegründet und ist bis heute genossenschaftlich verankert. Der Allbranchenversicherer weist ein Prämienvolumen von 3,5 Milliarden Franken auf. Direktionsstandorte befinden sich in Bern, Nyon und Zürich. 79 Unternehmer-Generalagenturen mit eigenem Schadendienst betreuen an rund 160 Standorten knapp 1,7 Millionen Kunden. Die Mobiliar beschäftigt in den Heimmärkten Schweiz und Liechtenstein gut 4400 Mitarbeitende und bietet 325 Ausbildungsplätze an. www.mobiliar.ch