Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Müller, China ist mittlerweile auch die wichtigste Produzentin von Medikamenten. Was heisst das für kommende Wellen von Virusinfektionen und welchen Anteil hat China an der Produktion von Generika?
Axel Müller: Die jetzige Corona-Virusinfektion zeigt deutlich unsere Abhängigkeit von China auf. China hat enorme Produktionskapazitäten aufgebaut und kann Wirkstoffe zu günstigsten Preisen auf dem Weltmarkt absetzen. Das Land hat sich bei einigen Wirkstoffen quasi eine Monopolposition erarbeitet. Wir in der Schweiz sind abhängig geworden und hängen am Tropf der „Apotheke der Welt in der Arzneimittelgrundversorgung“.
«Wir in der Schweiz sind abhängig geworden von China und hängen am Tropf der „Apotheke der Welt in der Arzneimittelgrundversorgung“.»
Axel Müller, Geschäftsführer Intergenerika
Kommende Virusinfektionen würden das gleiche Bild produzieren: Wir geraten in Lieferengpässe, wenn wir nicht versuchen, das Ruder rumzureissen und Wirkstoffe wieder in Europa zu produzieren. Übrigens stellt China auch Zwischenprodukte für die Produktion in Indien her, so dass China und Indien zusammen schätzungsweise 80 Prozent der Generikaindustrie weltweit beliefern.
Aktuell gibt es gemäss von drugshortage.ch für rund 530 Produkte und knapp 700 Packungen Lieferschwierigkeiten. Was würde sich daran ändern, wenn die Produktion wieder vermehrt in Europa oder der Schweiz stattfinden würde?
Die Produktion in der Schweiz oder Europa würde die Monopolsituation der Chinesen entschärfen, das heisst, das Angebot an lebensnotwendigen Wirkstoffen in der Arzneimittelgrundversorgung wäre sicherer.
Die Medikamentenhersteller optimieren, wie andere Unternehmen auch, ihre Kosten und Margen. Weshalb sollen diese die Produktion wieder in die Schweiz oder nach Europa verlagern, da Engpässe ja auch steigende Preise und höhere Margen bedeuten und wie dürfte sich eine solche Rückführung auf die eh schon überdurchschnittlich steigenden Gesundheitskosten auswirken?
Auch wenn Engpässe bestehen, bleiben die Preise bei dem vom Bundesamt für Gesundheit festgesetzten Preis und könnten nicht situativ erhöht werden. Das Problem ist eher anders herum: Wenn die Kosten steigen, die Preise jedoch gleich bleiben und der Unternehmer seine Kosten nicht mehr decken kann, dann wird dieser das Produkt nicht mehr anbieten und es kommt zu einer weiteren Verknappung an Medikamenten. Die Arzneimittelkosten würden sicherlich steigen.
«Auch wenn Engpässe bestehen, bleiben die Preise bei dem vom Bundesamt für Gesundheit festgesetzten Preis und könnten nicht situativ erhöht werden.»
Dabei gilt es festzuhalten, dass – wenn wir in der Grundversorgung keine Medikamente mehr haben – die Gesundheitskosten auch in anderen Bereichen steigen werden, beispielsweise durch zunehmende Hospitalisierungen oder die Umstellung auf andere, teurere Präparate oder Therapien.
Der wohl hauptsächlichste Grund der Auslagerung von Medikamenten- und Wirkstoffherstellung auch bei Generika dürften die Kosten gewesen sein. Weshalb kommt davon so wenig bei den Schweizer Bezügern an, die verglichen mit den Preisen unserer Nachbarstaaten einen teilweise heftigen Aufschlag bezahlen?
Medikamente werden eignes für die Schweiz hergestellt und müssen vor der Markteinführung von der Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic zugelassen werden. Bis sie schliesslich in die Hände des Patienten gelangen, gehen sie durch viele Hände, die Schweizer Löhne beziehen, welche bekanntermassen höher sind als die in der EU. Dies ist der Grund, weshalb die Medikamentenkosten in der Schweiz höher sind als im Ausland, wie das auch bei anderen Gütern der Fall ist.
Wenn Medikamentengrundstoffe teilweise schon knapp sind, wie viel Sinn macht es dann noch, möglichst viele unterschiedliche Verabreichungsformen und Verpackungsgrössen herzustellen, wie Sie das für die Schweizer Generika fordern, anstatt sich auf wenige Standards zu einigen, die dann zu tieferen Preisen führen könnten?
Wir sind per Verordnung angehalten, genau die Packungsgrössen und Darreichungsformen wie das entsprechende Original in den Markt einzuführen, wohlwissend, dass gewisse Packungsgrössen gar nicht mehr nachgefragt werden. Im europäischen Ausland genügt es hingegen, dass die zwei am meisten nachgefragten Packungsgrössen angeboten werden. Hier gibt es sicherlich noch Gesprächsbedarf auf politischer Ebene
Nach wie vor ist die Schweiz bezüglich des Einsatzes von Generika das Schlusslicht in Europa. Während in Deutschland vier von fünf Medikamenten Generika sind, ist es in der Schweiz eines von fünf und meist zu Kosten und Margen, die einem Vielfachen desselben Produktes in Deutschland entsprechen (zum Beispiel Amlodipin 10mg Blutdrucksenker): Schweiz 65 CHF, Deutschland 14 CHF). Wie soll sich so der Anteil der Generika in der Schweiz je erhöhen?
Diese Preisvergleiche sind unseriös, da der Preis in der Schweiz mit dem günstigsten Generikum in Deutschland verglichen wird. Hierbei handelt es sich um Generika aus einem Rabattvertrag, bei dem Hersteller ihre Produkte zum Teil unter Herstellkosten anbieten, nur um ihren Marktanteil zu halten. Dies ist ja die Ursache, weshalb es zu Versorgungsengpässen in Deutschland kommt.
«Es ist ein Unding, wenn Arzt und Apotheker mehr verdienen, wenn sie ein teureres Original abgeben als bei einem Generikum. Da gibt es einen Handlungsbedarf.»
Die Generikapreise in der Schweiz werden vom Bundesamt für Gesundheit festgesetzt und weisen einen definierten Preisabstand zum Original auf. Der Anteil der Generika in der Schweiz lässt sich nur erhöhen, wenn Fehlanreize im System, wie wir sie schon mehrfach benannt haben, korrigiert werden. So ist es ein Unding, wenn Arzt und Apotheker mehr verdienen, wenn sie ein teureres Original abgeben als bei einem Generikum. Da gibt es einen Handlungsbedarf.
Betreffend einer Einführung eines Referenzpreissystems hat der Bundesrat ja eine Regulierungsfolgenabschätzung in Auftrag gegeben. Was ist deren Quintessenz und welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen?
Es waren Unstimmigkeiten bei der zeitlichen Abstimmung zu beobachten: Während die Vernehmlassung zum Kostendämpfungspaket 1 des Bundesrats am 14. Dezember 2018 endete, lagen die Ergebnisse der Regulierungsfolgenabschätzung zur Einführung eines Referenzpreissystems jedoch erst am 21. Dezember 2018 vor, d.h. dort vorgebrachte Risiken und interessante Alternativen zu einem Referenzpreissystem konnten in den Vernehmlassungsunterlagen gar nicht gewürdigt werden. Eine Empfehlung für oder gegen ein Referenzpreissystem konnten die Autoren der Studie nicht abgeben. Sie sprachen letztlich davon, dass dies eine politische Entscheidung wäre.
Gleichwohl empfahlen sie mit einem Entscheid über das Referenzpreissystem so lange zu warten, bis zentrale Stellschrauben im komplizierten Arzneimittelmarkt, wie beispielsweise Vertriebsmargen, die zu Fehlanreizen führen können, neu definiert sind. Darüber hinaus empfahlen sie, das bisherige Preisfestsetzungssystem noch einmal zu prüfen. Eine Anpassung der bereits bestehenden Preisabschläge wird in der Studie als interessante Alternative zu einem Referenzpreissystem benannt.
Santésuisse befürwortet den vom Bundesrat vorgeschlagenen Wechsel zum Referenzpreissystem, während ihn Ihr Verband der Generikahersteller, die Intergenerika, vehement bekämpft. Was stört Sie am meisten am Referenzpreissystem, das Kosteneinsparungen von jährlich 400 Millionen Franken ohne Qualitätseinbussen verspricht und wie wollen Sie die Kosten bei den Medikamentenpreisen eindämmen?
Es ist falsch zu glauben, dass ein Referenzpreissystem ohne Qualitätseinbussen einhergehen würde. Wenn ein Referenzpreissystem langfristig zu Einsparungen führen soll, wird dies zwangsläufig dazu führen, dass chronisch Kranke Ihre Medikamente häufig wechseln müssen, wenn sie keine Zuzahlung in der Apotheke leisten wollen oder können. Studien aus dem Ausland zeigen, dass erzwungene Medikamentenwechsel zu einer grossen Verunsicherung der Patienten, verbunden mit einer geringeren Therapietreue (sog. Compliance), führen. Ebenso nimmt die Anzahl an Verwechslungen zu, die zu unerwünschten Nebenwirkungen führen wird. Hierdurch entstehen zusätzliche Arzt- bzw. Hospitalbesuche, verbunden mit weiteren Medikamentenabgaben, um aufgetretene Nebenwirkungen zu behandeln. All dies generiert zusätzliche Kosten und beeinträchtigt die Lebensqualität und Patientensicherheit.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei Biosimilars? Wie kann man dort schnelleres Wachstum bewirken?
Biosimilars haben in den nächsten Jahren ein Einsparpotenzial von 100 Millionen Franken für Patienten. Dieses kann ausgeschöpft werden, indem Fachärzte sowohl bei der Umstellung der Patienten wie auch bei der Erstbehandlung vermehrt Biosimilars einsetzen, welche circa 25% günstiger sind als das biologische Originalpräparat.
«Biosimilars haben in den nächsten Jahren ein Einsparpotenzial von 100 Millionen Franken für Patienten.»
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass die China-Situation als Weckruf und Aufbruch für uns in der Schweiz dienen kann, die Produktion wieder in die Schweiz und nach Europa zurückzuholen, um so unsere Unabhängigkeit wiederzuerlangen.
Zweitens wünsche ich mir, dass der Bundesrat weise Entscheidungen trifft, welche die Patienten- und Versorgungssicherheit unserer Schweizer Patienten nicht negativ beeinflussen.