Eugen Weinberg, CFA, Head of Commodity Research der Commerzbank, über den aktuellen WTI-Brent-Spread, die Situation der OPEC-Staaten und die Zukunft des Ölpreises.
Von Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
payoff: Herr Weinberg, können Sie sich noch an den Ölpreis erinnern, als Sie Ihre berufliche Laufbahn starteten?
Eugen Weinberg: Ja, sicher! Eine erste Analyse zum Ölmarkt haben wir – damals war ich noch bei der BW-Bank in Stuttgart – im Jahr 2001 gemacht. Da hatte sich der Ölpreis gerade nach einer Achterbahnfahrt von USD 10 auf USD 30 verdreifacht, um danach wieder auf rund USD 20 je Barrel zu fallen. Unser Team hat damals die kühne These aufgestellt, dass die Ölpreise langfristig über USD 35 steigen werden. Wir wurden damals als hoffnungslose Optimisten belächelt.
Inzwischen sind wir ja dreistellig, und seit Monaten hält sich beharrlich eine sehr grosse Differenz zwischen der US-Sorte WTI und der europäischen Sorte Brent. Was steckt dahinter?
In den vergangenen 20 Jahren war WTI stets rund einen US-Dollar teurer als Brent. Als Grund wurde häufig die Tatsache genannt, dass WTI etwas leichter und somit hochwertiger als Brent ist, weil man daraus mehr Benzin herstellen konnte. Allerdings hat sich das Bild vor etwa einem Jahr dramatisch geändert. Die Preis-Differenz liegt inzwischen bei über USD 20 zugunsten von Brentöl. Es gibt viele Erklärungen für dieses Phänomen: Einerseits führen die steigende Ölproduktion in Nordamerika und eine relativ schwache Nachfrage zu hohen Lagerbeständen in Cushing, dem Handelsort für WTI. Andererseits steigt die Nachfrage nach Brentöl immer weiter an. Denn diese Ölsorte kann über Seewege transportiert werden und wird nicht nur in Europa, sondern auch in Asien stark nachgefragt. Gleichzeitig sinkt aber die Verfügbarkeit.
«Die OPEC benötigt künftig noch höhere Ölpreise, um ihre Finanzen und den Aussenhandel im Griff zu haben.»
Wird diese Preisdifferenz längere Zeit anhalten?
Nein, da es für die gegenwärtige massive Ausweitung des Spreads keinerlei fundamentale Begründung gibt. Wir glauben, dass der Spread nicht nachhaltig ist und in den kommenden Monaten massiv zurückgehen wird.
Gibt es demnach eine Spread-Trading-Chance?
Das kann man spätestens dann erwarten, wenn es zwischen den beiden Ölsorten physische Arbitrage-Möglichkeiten gibt. Noch sind diese sehr stark eingeschränkt, weil Cushing vom Land umkreist ist. Das heisst, man kann Rohöl von dort nicht wegbringen. Aber zum einen steigt dadurch die Nachfrage der lokalen Raffinerien massiv an, weil sie von günstigen Ölpreisen profitieren wollen. Zum anderen versucht man, Rohöl von Cushing mit Lkws, Bahn und Schiffen wieder zur US-Golfküste zu bringen, wo WTI genauso viel kostet wie Brentöl. Die Transportkosten schätzen wir auf ca. USD 10-12 je Barrel. Deshalb sollten die Rohöllagerbestände in Cushing weiter fallen und die Differenz sich bald wieder einengen.
Wie könnte sich ein Trader strategisch positionieren?
Möglich ist es natürlich. Mir schwebt eine vereinfachte Strategie vor, in der der Anleger die WTI-Futures mit der Fälligkeit in zwei Jahren, also August 2013, zu rund USD 102 je Barrel kauft und gleichzeitig die Brentöl-Futures mit der gleichen Fälligkeit zu über USD 113 verkauft.
Man hört, dass der Ölpreis de facto gar nicht mehr sinken kann, da die OPEC-Länder sonst ernsthafte Probleme mit ihren Staatshaushalten bekämen.
Dies ist auch für uns ein wichtiger Grund, zu glauben, dass die Ölpreise langfristig trotz einer möglichen Nachfrageschwäche hoch bleiben werden. Denn die OPEC-Länder haben sich in den vergangenen Jahren an die hohen und weiter steigenden Ölpreise gewöhnt. Sie haben deshalb die Staatsausgaben massiv erhöht und können diese kaum kürzen, wenn es nicht mehr so gut wie jetzt läuft. Denn in diesem Jahr kamen auch noch die Ängste vor möglichen sozialen und politischen Unruhen hinzu. Paradebeispiele sind Ägypten, Tunesien und Libyen. Deshalb haben sich die Regierungen in den meisten arabischen OPEC-Ländern entschieden, mehr Geld an die Bevölkerung zu verteilen, um die Gemüter zu besänftigen.
Also steigt der Ölpreis noch weiter?
Richtig, die OPEC benötigt künftig noch höhere Ölpreise, um ihre Finanzen und den Aussenhandel im Griff zu haben. Dass sie sehr wohl in der Lage sind, für höhere Ölpreise zu sorgen, hat ihre gut koordinierte Aktion Ende 2008 / Anfang 2009 gezeigt. Sie haben damals ihre Produktion um 15% reduziert und der Ölpreis hat sich daraufhin verdoppelt. Die Ölnachfrage ist de facto wenig preiselastisch. Deshalb wird es der OPEC auch künftig gelingen, durch geschickte Ausweitung und Reduzierung der Produktionsmengen den Preis zu kontrollieren.
Könnte die erwartete Wachstumsabkühlung in China den Ölpreis mittelfristig dämpfen?
Für die Preisentwicklungen ist immer das Tempo der Nachfrageveränderung entscheidend. Das heisst, bei einem durchschnittlichen Wachstum steigen die Preise und ziehen an, wenn die Nachfrage stärker als erwartet ausfällt. Es ist schwer zu glauben, aber den Anstieg der Ölpreise von USD 20 im Jahr 2001 auf USD 120 im Jahr 2011 hat vor allem die Beschleunigung der weltweiten Ölnachfrage von ca.1,2% in den 80er- und 90er-Jahren auf ca.1,5% verursacht. China kommt dabei eine besonders grosse Bedeutung zu. Das Land ist zwar heute für lediglich 11% der Weltnachfrage verantwortlich, hat aber in den vergangenen Jahren über zwei Drittel des Nachfragewachstums ausgemacht. Soll sich das Wachstum Chinas wider Erwarten verlangsamen und auf lediglich 6% fallen, würde das auch die Rohstoffe und dabei insbesondere Öl und Industriemetalle hart treffen.
«Sollte sich das Wachstum Chinas verlangsamen, würde das auch die Rohstoffe hart treffen.»
Wie sehen Sie die Peak-Oil-Diskussion, also das Szenario, dass die Ölförderungskapazität bereits überschritten wurde?
Vor knapp zehn Jahren gehörte ich noch zu den grössten Verfechtern dieser Theorie, bevor ich mich damit intensiv auseinandergesetzt habe und alle Zahlen und Thesen unabhängig überprüft habe. Ich kam zum Schluss, dass sich zwar die berühmte «Glockenkurve», wonach die Ölproduktion nach einer gewissen Zeit rapide sinkt, als nützlich erweist, wenn es um die einzelnen Ölfelder geht. Allerdings für grössere komplizierte Ölstrukturen und vor allem für die einzelnen Länder lässt sich diese Theorie nicht bestätigen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Venezuela ist ein gutes Beispiel dafür. Das Land gehört seit rund 100 Jahren zu den grössten Ölproduzenten der Welt. In den 70er- / 80er-Jahren hat sich die dortige Ölproduktion halbiert, was die Skeptiker auf den Plan rief. In den 90er-Jahren hat sie sich aber wieder verdoppelt und jetzt besitzt Venezuela offiziell die weltgrössten Ölreseven. Ausserdem ist die Höhe der Ölreserven immer nur eine Momentaufnahme, weil sie vom gegenwärtigen Preis und den jetzigen Fördermethoden abhängt. Steigt der Preis und verbessern sich die Bohrtechniken, steigt automatisch die Verfügbarkeit von Öl. Man soll also keine Angst davor haben, dass uns das Öl bald ausgeht. Allerdings ist es nur die halbe Wahrheit, denn die Förderung von konventionellem Öl, das heisst von leichtem und leicht förderbarem Öl, dürfte das Maximum bald überschreiten oder sogar bereits überschritten haben. Das bedeutet, dass wir zwar langfristig genug Öl haben werden – aber zu immer höheren Preisen.
«Wir haben zwar langfristig genug Öl – aber zu immer höheren Preisen.»
Ist es aus Ihrer Sicht interessanter, auf Öl selbst zu setzen oder in Öl verabeitende Unternehmen zu investieren?
Beides hat Vor- und Nachteile. Investments in den Rohstoff Öl sind zwar aus Sicht der Risikostreuung sehr empfehlenswert, mit den einfachen Roll-Zertifikaten war jedoch in den letzten Jahren kein Geld zu verdienen. Deswegen lohnt sich die Ausschau nach smarten Produkten, die das Problem des ständigen Rollierens der Futures minimieren. Die Investoren in Ölunternehmen erfreuen sich zwar häufig an einer hohen Dividendenrendite. Allerdings waren die Ölaktien in den vergangenen Jahren auch nicht sonderlich gut gelaufen. Die Gründe dafür sind zahlreich – falsche Management-Entscheidungen, höhere Kosten, höhere Steuern.
Der Gesprächspartner
Eugen Weinberg ist seit März 2007 Leiter des Rohstoff-Research-Teams der Commerzbank. Der Diplom-Wirtschaftsmathematiker ist in Russland geboren und hat dort die Moskauer Staatsuniversität abgeschlossen. Nach seinem MBA-Studium war er als Fondsmanager und Rohstoffanalyst bei der BW-Bank in Stuttgart beschäftigt. Im Anschluss daran hat er bei der DZ Bank in Frankfurt gearbeitet und dort das Rohstoff-Research aufgebaut. Bei der Commerzbank ist er mit seinem Team massgeblich für die Erstellung der Prognosen und der Strategien im Rohstoffsektor verantwortlich.