Von Artur K. Vogel
«Silvaplana geht es blendend», war im Juni in einer Zeitung zu lesen. «Der Cashflow der Gemeinde betrug im letzten Jahr 7,7 Millionen Franken. Der Nettogewinn lag bei 2,65 Millionen.» Wie macht man das?
Daniel Bosshard: Silvaplana ist eine gut aufgestellte Gemeinde, die frühzeitig ihre Hausaufgaben gemacht hat. Wir planen Investitionen und Infrastrukturbedarf langfristig und sorgfältig.
«In Bezug auf die Logiernächte spielt die Hotellerie in Silvaplana momentan eine untergeordnete Rolle. Wir haben fast 75% Zweitwohnungs- und 20% Ferienwohnungsbetten, welche vermietet werden.»
Daniel Bosshard, Gemeindepräsident Silvaplana & Hotelier Albana
Die Gemeinde sprach auch von einem «angemessenen Kostenmanagement». Was kann man sich darunter vorstellen?
Ich war vierzig Jahre im Tourismus- und Hotelbusiness tätig, komme also von der Unternehmerseite her. Gemeindepräsident mit einem Pensum von 75 bis 100% bin ich seit drei Jahren, aber zuvor war ich schon zwölf Jahre Vizepräsident im Gemeindevorstand und zehn Jahre als Kurvereinspräsident tätig. Wir optimieren das Management der Gemeinde mit Instrumenten aus der Privatwirtschaft. So haben wir ein Geschäftsleitungsmodell eingeführt. In der GL sind wir vier Personen – Finanz-, Bau-, Kanzleidepartement und ich als Vorsitzender. Wöchentlich treffen wir uns zur Sitzung. Der Gemeindevorstand, dem sieben Personen plus die Gemeindeschreiberin angehören, kommt alle zwei Wochen zusammen.
Silvaplana hat eine sehr gute Wintersaison 2018/19 hinter sich. Verglichen mit Pontresina oder gar St. Moritz nehmen sich die 45‘000 Logiernächte im vergangenen Winter aber bescheiden aus.
Das Bild ist verzerrt, denn die Zahlen reflektieren nur die Hotel-Logiernächte. Nachdem in den letzten 20 Jahren viele Hotels dem Zweitwohnungsboom zum Opfer gefallen sind ist Silvaplana nun an der Neu- und Weiterentwicklung von innovativen Hotelprojekten. Wir haben fast 75% Zweitwohnungs- und 20% Ferienwohnungsbetten, welche vermietet werden. Leider machen die Hotelbetten nur zirka 8% aus, sind aber neben den bewirtschafteten Ferienwohnungen der wichtigste Tourismusfaktor in Silvaplana. Die Übernachtungen in den Zweit- und Ferienwohnungen sind in der Statistik nicht enthalten.
«Unser Hausberg ist der Corvatsch. Die Gemeinde besitzt rund 20% der Aktien der Bergbahnen, womit wir uns ganz klar auch zu den Bergbahnen bekennen. Was wir anstreben, ist ein Ganzjahrestourismus.»
Was ist denn Silvaplanas Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Oberengadiner Orten?
Unser Slogan sagt alles: Ova. Vent. Muntagnas – Wasser. Wind. Berge. Der Silvaplanasee ist ideal für das Windsurfen, das ich selber mit grossem Enthusiasmus betreibe, für Kitesurfen und Segeln. Und die Berge bieten sich für Wandern, Bergsteigen und Biken sowie natürlich für den Wintersport an. Unser Hausberg ist der Corvatsch. Die Gemeinde besitzt rund 20% der Aktien der Bergbahnen, womit wir uns ganz klar auch zu den Bergbahnen bekennen. Was wir anstreben, ist ein Ganzjahrestourismus.
Sie wurden mit der Aussage zitiert: «Das Ziel ist klar, dass wir in den nächsten fünf Jahren wieder an der Marke von 90‹000 bis 100‹000 Logiernächten kratzen, die wir 1993 erreicht hatten.» Da stellen sich zwei Fragen. Erstens: Wieso hat Silvaplana so viele Touristen verloren?
Als ich vor dreissig Jahren erstmals nach Silvaplana kam, gab es hier 14 Hotels. Jetzt sind es noch 8. Die übrigen wurden vielfach zu Zweitwohnungen umgebaut.
«Wir wollen optimale Rahmenbedingungen für neue Hotelprojekte schaffen. Es gibt relativ konkrete Pläne für neue Hotelprojekte in Silvaplana – unter anderem ein angedachtes Gesundheitshotel.»
Und zweitens: Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Natürlich kann die Gemeinde die ganzen Anstrengungen nicht selber zu 100% finanzieren. Aber wir wollen optimale Rahmenbedingungen für neue Hotelprojekte schaffen. Es gibt relativ konkrete Pläne für neue Hotelprojekte in Silvaplana – unter anderem ein angedachtes Gesundheitshotel.
…Gesundheitstourismus liegt ja voll im Trend.
Richtig. Für das geplante Gesundheitshotel sind die entsprechenden Zonenplanänderungen bereits beim Kanton zur Vorprüfung. Sobald wir erste Rückmeldungen erhalten, werden wir dies der Stimmbevölkerung zur Vernehmlassung und Entscheidung vorlegen. Eine Hotelgruppe plant ebenfalls ein grosses Bed and Breakfast-Hotelprojekt, das vor allem jüngere Gäste ansprechen soll. Die Evaluationsprozesse sind im Gang.
Um nochmals auf die Zweitwohnungen zurückzukommen: Spürt Silvaplana die 2012 von den Stimmberechtigten angenommene Zweitwohnungsinitiative?
Ja und nein. Das Engadin hat schon lange vorher eine Kontingentierung eingeführt. Silvaplana konnte nur noch 800 m2 Zweitwohnungen pro Jahr bauen. Jetzt haben wir eine Nulllösung. Silvaplana bleibt aber begehrt. Die Nachfrage ist kaum gesunken, so dass bei uns die Preise im Gegensatz zu anderen Gegenden hoch und stabil geblieben sind. Die Initiative bietet anderseits, wie schon geschildert, die Chance, im Bereich der Hotellerie neue Projekte anzugehen, was vorher lange nicht möglich war.
Engagieren sich denn Zweitwohnungsbesitzer für die Gemeinde?
Das ist sehr unterschiedlich. Viele von ihnen sind sehr gute Ambassadoren für Silvaplana. Ein paar bekannte Leute haben Zweitwohnungen bei uns: Bob Lutz zum Beispiel, der einstige Manager von Chrysler und General Motors, Marco Troncchetti Provera, CEO des Pneuherstellers Pirelli, die Familie Prada, UBS-CEO Sergio Ermotti oder der berühmte französische Klangkünstler Jean-Michel Jarre.
«Das Albana Hotel konnten meine Frau Malvika und ich vor 12 Jahren käuflich erwerben. Seither führt meine Frau das Hotel mit unseren beiden Buben Max und Moritz und ich die Gemeinde als Präsident.»
Sie stammen aus dem Emmental. Wie sind Sie nach Silvaplana gekommen?
Nach einer Lehre als Koch in Wengen kam ich 1979 erstmals ins Engadin, und zwar ins Suvretta House in St. Moritz. Danach absolvierte ich die Hotelfachschule in Luzern und das Unternehmerseminar für den eidg. diplomierten Hotelier in Merligen im Hotel Beatus am Thunersee. Einige Zeit verbrachte ich in Lenzerheide-Valbella, wo ich tagsüber als Skilehrer und nachts als Portier arbeitete. Das ehemalige Hotel Pardenn in Klosters war die nächste Station. Prinzessin Diana kam jeweils zum Schwimmen, weil wir den grössten Indoor-Pool in Klosters hatten. Nach einem Engagement in Savognin als Hoteldirektor im Danilo Hotel wechselte ich vor 30 Jahren nach Silvaplana. Das Albana Hotel konnten meine Frau Malvika und ich vor 12 Jahren käuflich erwerben. Seither führt meine Frau das Hotel mit unseren beiden Buben Max und Moritz und ich die Gemeinde als Präsident.
Sprechen Sie Rätoromanisch?
Ich kann die Gemeindeversammlung auf Romanisch eröffnen und schliessen (lacht). Nein, ich verstehe es, aber rede es nicht. Meine Söhne Moritz (5) und Max (4) hingegen müssen es beherrschen. Denn Silvaplana ist offiziell eine einsprachige Gemeinde.
Und werden Sie als Auswärtiger von der lokalen Bevölkerung akzeptiert?
Als ich zum ersten Mal zu den Wahlen als Gemeindepräsident antrat, hatte ich zwei Ur-Romanen als Gegenkandidaten und konnte dennoch reüssieren. Das dürfte die Frage beantworten.
Sie sind Gemeindepräsident und Hotel-Besitzer: Gibt es da keine Ziel- oder Interessenkonflikte?
Nein. Der Tourismus ist hier die einzige wirtschaftliche Branche mit einer zielführenden Wertschöpfung. Alle Bereiche sind vom Tourismus abhängig. Dadurch, dass jemand aus dem Tourismus ein politisches Amt übernimmt, ergibt sich die Chance, die Gemeinde in die richtige Richtung zu führen. Früher stammten Politiker oft aus der Baubranche, oder sie waren aus dem Juristischen Bereich. Da hat man die Frage nach Interessenkonflikten nie gestellt, obwohl es fast mehr Konfliktpotenzial gab.
2018 wurde die Dorfumfahrung eröffnet, und danach hat Silvaplana fast 16 Millionen Franken in die Neugestaltung des Dorfkerns investiert. Hat sich die Investition gelohnt?
Wir haben jetzt die erste Sommer- und die erste Wintersaison ohne Durchgangsverkehr erlebt. Mit der Umfahrung wurde auch der ganze öffentliche Verkehr auf die Peripherie verlegt. Früher fuhr das Postauto mitten durchs Dorf, aber ohne anzuhalten. Das brachte ausser Lärm und Gestank nichts. Neu gibt es eine Bushaltestelle beim Campingplatz, und jeder Surfer aus Zürich und dem Unterland kann mit dem ÖV direkt zum Silvaplanasee fahren. Zudem gibt es einen neuen, elektrischen Shuttlebus zwischen Silvaplana und der Talstation Corvatsch-Surlej. Die ersten Feedbacks sind sehr positiv. Der Shuttelbus wurde im Winter sehr gut genutzt und kam sehr gut an. Und die Bäckerei im Dorf zum Beispiel macht rund 20% mehr Umsatz.
Silvaplana hat die jüngste Tourismusdirektorin der Schweiz engagiert – die 26-jährige Deborah Gröble. Wollen Sie mit dieser Wahl versuchen, das Zielpublikum zu verjüngen?
Deborah Gröble ist eine junge, dynamische Tourismusfachkraft. Und sie stammt von hier. Das passt perfekt in unser Konzept.
Der Gesprächspartner Daniel Bosshard wurde 1959 in Oberburg bei Burdgorf geboren. Der Vater war Schuhmacher. Bosshard durchlief nach einer Kochlehre und der Ausbildung zum Hotelier sämtliche Karrierestufen in der Hotellerie, bis er vor zwölf Jahren das Viersterne-Hotel Albana in Silvaplana übernehmen konnte. Er ist mit Malvika Bosshard-Jürisaar (40) verheiratet, einer Ökonomin aus Estland, die heute das Hotel leitet. Seit drei Jahren ist Bosshard Gemeindepräsident von Silvaplana. |
Die Gemeinde Der Ferienort Silvaplana liegt auf 1815 m.ü.M. im Oberengadin am Beginn des Inntals und an der Verzweigung zum Julierpass. Er hat 1075 Einwohner, besteht aber zu 75% aus Zweitwohnungen. Der Silvaplanasee ist der mittlere der drei Oberengadiner Seen zwischen dem St. Moritzersee und dem Silsersee. Auf der südlichen Seite des Inns liegt der Dorfteil Surlej. Unweit dieses Ortsteils befindet sich am Seeufer ein Felsblock, von dem Friedrich Nietzsche berichtete, der Gedanke an die ewige Wiederkehr, welcher seinem dichterisch-philosophischen Werk «Also sprach Zarathustra» zugrunde liegt, sei ihm im August 1881 an genau dieser Stelle gekommen. |