von Sandra Willmertoh
Moneycab.com: Das erste Halbjahr als CEO der Helvetia Gruppe liegt hinter Ihnen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, was hat Sie bei Helvetia überrascht?
Fabian Rupprecht: Mein Start und die ersten Monate bei Helvetia verliefen sehr gut. Positiv überrascht hat mich die grosse Identifikation unserer Mitarbeitenden mit Helvetia. Dies ist ein wichtiger Grundstein, um unseren Kundinnen und Kunden die bestmögliche Dienstleistung zu bieten. Und es ist eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung von Helvetia.
Der erste Jahresabschluss, den Sie präsentiert haben, weist für 2023 einen um 37% tieferen Gewinn aus. Was waren die Gründe für dieses Ergebnis?
Im Vergleich zum Jahr 2022 fielen 2023 der IFRS-Ergebnisbeitrag von Sa Nostra und der einmalige Gewinn aus dem Verkauf dieser Gesellschaft Ende 2022 weg. Diese weggefallenen Einmaleffekte hatten im Vorjahr rund 108 Mio. Franken zum Gewinn beigesteuert. Zudem war 2023 das Marktumfeld mit einer Häufung von Naturkatastrophen und Grossschadenereignissen in der Nicht-Lebensversicherung sehr herausfordernd. In diesem Umfeld profitieren wir von unserer robusten Finanzkraft und unserer diversifizierten Geschäftsbasis. So haben wir im Lebengeschäft ein solides Ergebnis erzielt, das leicht über demjenigen des Vorjahrs lag. Auch konnten wir das Ergebnis von Specialty Markets und dem Schweizer Ländermarkt verbessern.
«2024 werden wir einen Fokus auf die versicherungstechnische Profitabilität legen.»
Fabian Rupprecht, CEO Helvetia
Wie lauten die Geschäftsziele für 2024?
Wir haben in unserer Strategie helvetia 20.25 Ziele festgelegt. An der Strategie halten wir im laufenden Jahr fest, unterziehen sie aber zurzeit einem Review. Die Ergebnisse dieses Reviews werden wir im Dezember an einem Capital Markets Day vorstellen. Für dieses Jahr gelten weiterhin die Ziele der aktuellen Strategieperiode. Sie betreffen zum Beispiel die Eigenkapitalrendite, die Entwicklung des Fee-Geschäfts, Kosteneffizienzmassnahmen oder die bis zum Ende der Strategieperiode kumulierte Dividendenausschüttung.
2024 werden wir einen Fokus auf die versicherungstechnische Profitabilität legen, die unter anderem in Form der Combined Ratio auch ein strategisches Ziel ist. Aufgrund der bereits erwähnten Unwetter- und Grossschadenereignissen sind wir nicht zufrieden mit dem technischen Resultat des Vorjahres und setzen zur Verbesserung dieser Kennzahl Massnahmen im Schadenmanagement und der Risikobewertung sowie in Form von Tarifanpassungen um.
«Mit dem technischen Resultat des Vorjahres sind wir nicht zufrieden und setzen zur Verbesserung dieser Kennzahl Massnahmen im Schadenmanagement und der Risikobewertung sowie in Form von Tarifanpassungen um.»
Die grösste Herausforderung für die Versicherungsbranche dürften derzeit die durch den Klimawandel induzierten Naturkatastrophen sein. Wie begegnet Helvetia diese Risiken?
Die Beurteilung der Entwicklung von wetterbedingten Schäden gehört seit jeher zum Kerngeschäft eines Versicherers. Die Analyse des Einflusses des Klimawandels und insbesondere die langfristige Betrachtung dieser Risiken hat an Bedeutung gewonnen. Wir berücksichtigen die Risiken des Klimawandels mit internen stochastischen Risikomodellen und Szenariotechniken und wir nutzen Informationen von Dritten. Des Weiteren modellieren viele Rückversicherer mit denen wir zusammenarbeiten, ihre Tarife mit Hilfe geophysikalischer Simulationssoftware, wodurch vorwärtsgerichtete Szenarien in unsere Rückversicherungspositionen einfliessen. Neben der Versicherungstechnik ist aber auch das Thema Prävention wichtig, um unsere Kundinnen und Kunden auch bei der Vermeidung von möglichen Schäden wie zum Beispiel durch Naturereignisse wirkungsvoll zu unterstützen.
Das Thema Cybercrime und damit auch die Versicherung gegen Cyberangriffe gilt ebenfalls als grosses und zunehmend schwierig zu kalkulierendes Risiko. Werden Cyberrisiken weiterhin versicherbar bleiben? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Versicherer aus diesem Segment aussteigen?
Gemäss den Zahlen des Bundesamts für Cybersicherheit BACS sind im letzten Jahr die gemeldeten Cybervorfälle in der Schweiz stark angestiegen. Zudem hat die zunehmende Digitalisierung der Prozesse in Unternehmen zu einer weiteren Sensibilisierung bei Kundinnen und Kunden geführt, was eine gestiegene Nachfrage nach Cyber-Versicherungen zur Folge hat. Wir gehen daher davon aus, dass Cyber-Versicherungen weiterhin von der Mehrzahl der Versicherer angeboten werden. Für Ereignisse, die über Einzelangriffe hinausgehen und eine weitaus höhere Deckungskapazität erfordern, also grossflächige- (systemische) Cyber-Attacken, besteht im Bereich der benötigten finanziellen Kapazitäten tatsächlich eine Lücke, sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Angesichts des riesigen volkswirtschaftlichen Schadenpotenzials bei solchen systemischen Ereignissen kann das Versicherungsprinzip des Ausgleichs – die Prämien vieler decken die Risiken einzelner – nicht mehr greifen.
«Für Cyber-Ereignisse, die über Einzelangriffe hinausgehen, besteht im Bereich der benötigten finanziellen Kapazitäten tatsächlich eine Lücke.»
Es gab bereits Vorstösse für eine gemeinschaftliche Pool-Lösung bei Cybervorfällen, analog zum Elementarschadenpool. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Ein konkreter politischer Vorstoss im Parlament, der dies fordert, ist mir nicht bekannt. Sollte auf politischer Ebene der Wunsch nach einer partnerschaftlichen Lösung zur Versicherbarkeit grossflächiger Cyber-Angriffe, zum Beispiel mittels eines kommerziellen Cyber-Rückversicherungs-Pools, aufkommen, sind wir als Versicherungswirtschaft willens, zusammen mit dem Staat, der Wirtschaft und der Wissenschaft an einer Lösung mitzuwirken. Ein solcher Ansatz müsste partnerschaftlich entwickelt werden.
Helvetia hat als erste Schweizer Versicherer eine Dependance im Metaverse eröffnet. Wie stark ist das Interesse auf Seiten der Kunden und Konkurrenten? Was bringt der Helvetia dieser Auftritt?
Für uns war und ist die Präsenz im Metaverse ein Experimentierfeld. Wir konnten in einer sehr frühen Phase ohne grosse Investitionen wertvolle Erfahrungen hinsichtlich der technologischen Entwicklungen und der hieraus neu entstehenden Kundenbedürfnisse sammeln. Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine Kundenberatung im virtuellen Raum nicht mit einer persönlichen Beratung vergleichbar ist, aber durchaus Vorteile gegenüber einer Videoberatung bietet. Zugleich setzen die technischen Möglichkeiten und der geringe Verbreitungsgrad von VR-Brillen noch Grenzen. Da wir das Angebot aktuell nicht pushen und der Hype um das Metaverse etwas zur Ruhe gekommen ist, ist die Nachfrage momentan überschaubar.
Seit kurzem können Kundinnen und Kunden die Vorsorgeprodukte von Helvetia auch digital signieren. Wie ist dieses Angebot bislang von den Kunden angenommen worden?
Das Angebot, Produkte der privaten Vorsorge mittels einer digitalen Unterschrift zu unterzeichnen, war ein Wunsch unserer Kunden und Vertriebspartner aufgrund der COVID-Restriktionen. Das Angebot ist sehr gut aufgenommen worden und ist weiter auf dem Vormarsch. Unser Kundenberaterinnen und Kundenberater können den gesamten Beratungs- und Abschlussprozess digital durchführen, und am Ende wählen die Kunden fast ausnahmslos die Möglichkeit, den Versicherungsantrag digital zu unterzeichnen.
Was sind die nächsten Milestones in der Digitalisierungsstrategie?
Wir verstehen die Möglichkeiten der Digitalisierung als Mittel, um die Ziele unserer Strategie zu erreichen, zum Beispiel hinsichtlich Kunden-Convenience oder effizienteren Prozessen. Die jüngsten Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz führen zu ganz neuen Möglichkeiten. Diese nutzen wir bereits in ersten Anwendungen wie unserem Chatbot Clara auf der Schweizer Website. Zudem prüfen wir derzeit, in welchen Bereichen generative KI bei der Verbesserung unserer Kernprozesse unterstützen kann und identifizieren so weitere Einsatzbereiche.
Wie laufen die Arbeiten am neuen Helvetia Campus in Basel? Wird die Eröffnung 2027 wie geplant stattfinden können?
Die erste und auch grösste Bauetappe haben wir letztes Jahr abgeschlossen und die beiden Zwillingstürme sowie das dazwischenliegende Auditorium eingeweiht. Mittlerweile sind die Mitarbeitenden in diese Gebäude gezogen, und wir sammeln erste Erfahrungen mit den neuen Möglichkeiten wie zum Beispiel einem Veranstaltungsraum für bis zu 300 Personen. Im April ist die zweite Bauetappe gestartet. Im Rahmen dieser wird bis 2026 ein weiteres Gebäude kernsaniert und um ein Geschoss erhöht. Die letzte Etappe folgt im Anschluss und sollte bis 2028 abgeschlossen sein. Das ist etwas später als ursprünglich geplant, unter anderem wegen Lieferkettenproblemen.