Ferdinand Metzler, CEO meepl / Fision AG, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Metzler, Online-Shopping funktioniert heute noch mehrheitlich zweidimensional. Mit meepl lassen sich nun Kleider digital anprobieren, und zwar in 3D. Können Sie uns erklären, wie das funktioniert?
Ferdinand Metzler: Um Kleider digital anprobieren zu können braucht es im wesentlichen zwei Dinge. Zum einen das eigene 3D-Körpermodell, zum anderen digitale 3D-Kleidermodelle. Der Nutzer kann sein eigenes 3D-Körpermodell ganz einfach mit der meepl Body Scan App erstellen. Alles was die App dazu benötigt, sind Angaben zur Körpergrösse, Geschlecht und zwei Bilder des Users – eines von vorne und eines von der Seite. Die App berechnet dann in wenigen Sekunden das 3D-Körpermodell und eine Liste von mehr als 50 Körpermassen. Nun können die 3D-Kleidermodelle direkt im Onlineshop auf den digitalen Körper des Nutzers simuliert werden. So ist es dem Nutzer möglich, die Passform verschiedener Artikel in verschiedenen Grössen am eigenen 3D-Modell anzusehen.
Wie präzise sind die Berechnungen?
Unsere Abmessungen sind über die letzten Monate so präzise geworden, dass wir massgeschneiderte Kleidungsstücke produzieren können. Dazu bedarf es neben der Genauigkeit auch einer gewissen Robustheit des Systems – das können wir nun bereitstellen.
«Zusammen mit starken Partnern aus der Wissenschaft (z.B. EPFL) setzen wir die neusten Erkenntnisse aus der Forschung mit Software-Engineering um und schaffen so neue Ansätze zur ständigen Innovation unserer Produkte.»
Ferdinand Metzler, CEO meepl / Fision AG
Welche Technologie steckt dahinter?
Da steckt viel Computer Vision, Machine Learning, Neuronale Netzwerke und 3D Geometry Processing dahinter. Zusammen mit starken Partnern aus der Wissenschaft (z.B. EPFL) setzen wir die neusten Erkenntnisse aus der Forschung mit Software-Engineering um und schaffen so neue Ansätze zur ständigen Innovation unserer Produkte.
Welche Vorteile ergeben sich für Kunden und Anbieter über die virtuelle Anprobe hinaus?
Der Nutzer kann sein 3D-Körpermodell für Massanfertigungen sharen ohne sich selbst zu vermessen, wird automatisch beim Finden der richtigen Kleidergrösse beraten und kann diese virtuell anprobieren. So erlebt der Nutzer eine neue, interaktive Art und Weise von personalisiertem Onlineshopping und muss sich weniger Gedanken um die richtige Passform machen.
Marken und Händler profitieren von meepl auf vielfältige Weise. Für Online-Massschneider ist meepl die Basistechnologie, um solch einen Dienst überhaupt skalierbar zu machen.
Retouren sind ein allgegenwärtiges Thema. meepl hilft Rücklaufquoten zu senken, indem es dem Nutzer die richtige Grösse empfiehlt und es ihm ermöglicht, Grösse und Passform durch virtuelles Anprobieren auch visuell zu beurteilen. Zusätzlich steigert die virtuelle Anprobe aber auch cross- und upsell, indem der Nutzer verschiedenste Produkte miteinander kombinieren kann.
meepl will das Ökosystem der Bekleidung nachhaltiger machen. Sie haben die Retouren angesprochen – was gehört noch dazu?
Die heutige Bekleidungsindustrie ist sehr ineffizient und in vielen Aspekten nicht nachhaltig. Im Zeitalter von “Fast Fashion” ist, neben Retouren, die Überproduktion eines der grössten Probleme von Bekleidung. Bis zu 30% der produzierten Artikel enden in Verbrennungsanlagen oder werden vergraben, was vor allem daran liegt, dass die Artikel nicht auf die Konsumenten abgestimmt sind. Laut der EllenMacArthur Foundation gehen derzeit ca. 2% des globalen CO2-Fussabdrucks auf die Bekleidungsindustrie zurück, und dieser Anteil wird sich bis 2050 noch vervielfachen – insofern ist diese Ineffizienz durchaus beängstigend.
Eine Gegenmassnahme sind Massanfertigungen für den Massenmarkt. Das heisst, es wird nur so viel produziert, wie auch Nachfrage vorhanden ist. Der Schlüssel zu solch einem Ansatz ist unsere Body Scanning Technologie, welche es jedem Nutzer mit einem Smartphone ermöglicht, ein 3D-Körpermodell als Ausgangspunkt für die Produktion zu erstellen. Durch sogenannte Microfactories kann vermehrt dort produziert werden, wo die Kleidung dann geografisch getragen wird. Globale Transportketten können also effizienter und somit nachhaltiger gestaltet werden können.
Nun wurde meepl resp. der Virtual Dressing Room vor wenigen Wochen lanciert. Wie sind die Reaktionen?
Wir bekommen sehr gutes Feedback und viele Anfragen aus den verschiedensten Bereichen der Bekleidungsindustrie, die alle den grossen Mehrwert der Technologie sehen. In den kommenden Wochen wird der Virtual Dressing Room schrittweise mit neuen Features erweitert, weshalb wir weiterhin mit steigender Nachfrage und Interesse rechnen.
«Die heutige Bekleidungsindustrie ist sehr ineffizient und in vielen Aspekten nicht nachhaltig.»
Das Interesse seitens der Modeindustrie und des Online-Handels an meepl muss gross sein…
Ja, waren es zu Beginn kleinere Startups und mittelständische Unternehmen aus der Bekleidungsbranche, von welchen wir kontaktiert wurden, sind es nun globale Player, die auf uns zukommen und unsere Technologien einsetzen wollen.
Wie funktioniert denn die Verknüpfung zwischen Ihrer Plattform und den Bekleidungs-Unternehmen?
Alle unsere Dienstleistungen (Body Scanning, Grössenempfehlungen und Virtual Dressing Room) können über eine sogenannte API (Schnittstelle) bezogen und mit minimalem Aufwand auf jeder bestehenden Webseite integriert werden. Die Kleiderdaten, welche wir für unsere Dienstleistungen benötigen, werden bei uns auf der Plattform integriert, wobei wir hier direkt mit den Marken zusammenarbeiten.
Um welche Funktionen soll meepl künftig noch erweitert werden?
Der Nutzer und die User-Experience stehen bei meepl stets im Mittelpunkt. Neben kontinuierlichen Verbesserungen von UX/UI, Simulation und Performance soll es in Zukunft möglich sein, das eigene 3D-Körpermodell im Virtual Dressing Room auch in Bewegung zu sehen. Im Wesentlichen geht es darum das Einkaufserlebnis zu optimieren und gleichzeitig die Nachhaltigkeitsaspekte der Industrie zu verbessern.
«3D-Körpermodelle werden bald ein zentraler Bestandteil des Handels und nicht mehr wegzudenken sein.»
Wie sehen Sie generell das Potenzial und die Zukunft von 3D-Körpermodellen im Handel?
3D-Körpermodelle werden bald ein zentraler Bestandteil des Handels und nicht mehr wegzudenken sein. In Zukunft wird jeder sein eigenes 3D- Körpermodell auf dem Smartphone haben, wobei dieses der Ausgangspunkt für verschiedenste Dienstleistungen sein wird. Anwendungsbereiche wie Gesundheit, Ernährung, und Sport sind nur ein paar Märkte in welchen 3D Körpermodelle eine grosse Rolle spielen wir.
Und wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Die Bekleidungsindustrie ist zu einem grossen Teil ineffizient, weil konkrete industrieübergreiffende Standards fehlen. Beispielsweise pflegt jede Marke ihre eigenen Grössen-Standards und es fehlen File-Standards welche das Zusammenspiel verschiedener Module in der Produktionskette erschweren. Das führt dazu, dass das Grössenraten beim Onlineshopping bisher unumgänglich war. Ziel ist es, eine skalierbare Gesamtlösung auf einem Standard aufzubauen, welche es ermöglicht die Lücke zwischen 3D-Produktdesign und der Verwendung dieser 3D Kleidermodelle im Onlinehandel zu schliessen.
meepl beschäftigt sich seit 2015 mit der Aufnahme und Weiterverarbeitung von körperbezogenen Daten. Wie kam es überhaupt zur Gründung des Unternehmens?
Während meines Austauschsemesters 2014 in Hongkong habe ich mich das erste Mal mit den Problemen der Bekleidungsindustrie auseinandergesetzt – hohe Retouren-Raten, fehlende Standards und mangelndes Wissen bezüglich User-Experience. Nach meiner Rückkehr nach Zürich trommelte ich ein kleines Team von Ingenieuren zusammen und wir begannen mit der Entwicklung dessen, was später die Grundlage für unsere meepl Body Scan- Technologie und das heutige Team bilden sollte.
Herr Metzler, besten Dank für das Interview.