von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Lehner, im Sommer ist es möglich, auf dem Gornergrat mit Walliser Schwarznasenschafen auf Tuchfühlung zu gehen. Als «Üsserschwiizer» erlaube ich mir die Frage: Wie ist die «Meet the Sheep»-Idee entstanden?
Fernando Lehner: Das ist eigentlich ein Paradebeispiel dafür, wie wir unsere Produkte nicht nur nah am Kunden, sondern tatsächlich mit den Kunden entwickeln. Ursprünglich war die Idee, eine Art Streichelzoo am Gornergrat entstehen zu lassen. Als wir das Thema in Kundenworkshops diskutiert haben, kam recht schnell die Rückmeldung, es gäbe doch die berühmten und einzigartigen Walliser Schwarznasenschafe, warum macht ihr denn nichts dazu? Also haben wir angefangen, die Idee weiterzuverfolgen und zu konkretisieren.
Da die Schafe schon seit Generationen auf dem Gornergrat übersommern, haben wir mit den lokalen Hirten Gespräche geführt, die Hirtin Deborah engagiert, ein Angebot mit geführten Wanderungen zu den Schafen erstellt und einen Themenweg mit vielen Informationen rund um die Tiere geschaffen, dessen Höhepunkt ist, mittels GPS-Signal die Schafe zu orten und ihnen so auch zu begegnen – «Meet the Sheep» eben. Ein schönes Produkt, das zudem hervorragend in unsere Strategie passt, den Gornergrat als naturnahen Ausflugs- und Erlebnisberg weiterzuentwickeln.
«Was sich jetzt auszahlt, ist das Festhalten und Vorantreiben an den strategischen Investitionen und Projekten während der Krise.»
Fernando Lehner, CEO BVZ Holding
Die sogenannten «Ghornuti» haben sicher auch zum grossen Erfolg auf dem Gornergrat beigetragen. Die Erträge haben sich auf 14 Mio Franken mehr als verdoppelt. Welche Faktoren trugen sonst zum starken Wachstum bei?
Da ist zu einem das Wetter, dass sich wochenlang von seiner schönsten Seite zeigte. In der Höhe herrschten – im Gegensatz zum Tal – angenehme Temperaturen, so dass viele «Sommerfrischler» Ausflüge in die Berge unternahmen. Zudem bewahrheitete sich unsere Annahme, dass die Menschen nach den langen Pandemieeinschränkungen wieder raus und reisen wollten. Das haben wir zum einen beim starken Schweizer Heimatmarkt gemerkt, der knapp die Hälfte unsere Gäste ausmacht, zum anderen auch beim angrenzenden europäischen Ausland wie Deutschland oder Frankreich, aber auch bei den Reisenden aus Nordamerika und zunehmend ebenso wieder aus Fernost. Die Leute wollten und wollen wieder raus an die Luft, sich bewegen, wandern, etwas sehen und erleben.
Was sich jetzt auszahlt, ist das Festhalten und Vorantreiben an den strategischen Investitionen und Projekten während der Krise. «Meet the Sheep» ist dabei nur eines von mehreren Projekten. Mitten in der Pandemie haben wir im Sommer 2021 beispielsweise auch die multimediale Erlebniswelt «Zooom the Matterhorn» eröffnet. Und gerade erst wurde der erste der fünf neuen Triebzüge «POLARIS» der Öffentlichkeit vorgestellt. Nicht zuletzt profitieren wir jetzt von der in den vergangenen Jahren systematisch aufgebauten digitalen Kundenansprache und -begleitung.
Der Freizeitverkehr hat sich schneller von der Pandemie erholt als erwartet. Hat sich die positive Entwicklung in den Sommermonaten Juli und August fortgesetzt?
Das tolle Sommerwetter hat sicherlich viel zum guten Ereignis beigetragen. Nach vielen Monaten verhaltenem Ausflugsverkehr aufgrund der Reiserestriktionen ist ein Nachholeffekt zu spüren. Also ja, die positive Entwicklung hat sich in den Sommermonaten fortgesetzt.
Sie haben die multimediale Erlebniswelt «Zooom the Matterhorn» auf dem Gornergrat angesprochen. Wie fallen die Reaktionen aus?
Das Angebot erfreut sich grosser Beliebtheit. Der Name ist Programm: in drei «Zooom»stufen, die der Besucher in drei Räumen erlebt, nähert man sich dem Matterhorn: Vom virtuellen Gleitschirm-Flug im schwebenden Sessel zum selbst Mitsteuern im ersten Raum – über Lichtprojektionen am und um das Matterhorn im immersiven 12 Meter-Kino – bis zur Sicht auf das «Horu» mit Hightech-Periskopen im dritten Raum, wo man mit etwas Glück die Bergsteiger entdecken kann. Ursprünglich mal als Schlechtwetteralternative angedacht, runden viele Gäste ihren Ausflug auf den Gornergrat mit einem Besuch der multimedialen Ausstellung ab. In den Sommermonaten haben wir durchschnittlich rund 400 Besucher pro Tag begrüssen dürfen.
Wann wird der Betrieb mit den POLARIS Zahnrad-Triebzügen zwischen Zermatt und dem Gornergrat aufgenommen?
Nächstes Jahr dürfen wir das 125-jährige Jubiläum der Gornergrat Bahn feiern und haben uns, vor allem aber unseren Kunden ein Geburtstagsgeschenk gemacht. Ab der Wintersaison 2022/2023 können sich die Gäste auf die Fahrt mit dem «POLARIS» – die Abkürzung steht für POpular LAndscape Railway In Switzerland – freuen. Die von Stadler Rail konstruierten Fahrzeuge mit ihrer futuristischen und exklusiven, zugleich aber auch zeitlosen Innen- und Aussengestaltung wurden von den Stardesignern von Pininfarina entworfen. Dank der Niederflureinstiege, einem modernen Kundeninformationssystem, Mehrzweckabteilen mit mehr Stauraum für Wintersportausrüstungen und Fahrräder sind sie besonders komfortabel.
Und wie verläuft die Beschaffung der ORION Triebzüge für die MGBahn?
Am 12. September ist der erste «ORION» – was wiederum für Optimaler Regionalzug Im Oeffentlichen Nahverkehr vom Stadler-Werk in Bussnang ins Wallis überführt worden. Nun stehen umfangreiche Testfahrten, Betriebserprobungen und Schulungen an, um den neuen Triebzug ab Juni 2023 kommerziell einsetzen zu können. Damit sind wir voll auf Kurs. Die erste Etappe umfasst die Lieferung von zwölf 3-teiligen Fahrzeugen, Das Auftragsvolumen für die erste Etappe der neuen Triebzüge beträgt rund 148.5 Millionen Franken.
Die MGBahn hatte im Sommer mit dem Pfadibundeslager den grössten Auftrag ihrer Geschichte zu bewältigen. Wie wurde diese logistische Herausforderung gemeistert?
Mit Stolz und Freude schauen wir auf die Zeit zurück, in welcher im Goms die zweitgrösste Stadt im Wallis mit 30’000 Bewohnerinnen und Bewohner entstanden ist. Fast 250’000 Passagierfahrten durften wir für Pfadis, Helfende und Besuchende auf der An- und Rückreise sowie während den Ausflügen mit unseren öV-Partnern SBB und PostAuto begleiten und durchführen. Wir haben dafür rund 500 Extrazüge eingesetzt. Alle Transportpartner haben in dieser Zeit eine unglaubliche Flexibilität gezeigt und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Dies war nur dank einer hervorragenden Planung, der grossartigen Zusammenarbeit aller Beteiligten und insbesondere dem grossen Engagement unserer Mitarbeitenden möglich.
Sie haben in den letzten Jahren viel investiert und investieren weiter. Welche Projekte stehen als nächstes an?
Bei der MGBahn werden gegenwärtig das Depot und die Werkstätten in Brig erneuert und ausgebaut. Zudem gehen die Planungen für den Tunnel Täsch–Zermatt, für die Neugestaltung des Bahnhofplatzes in Brig mit dem MGBahn-Bahnhof sowie für die Bahnhofserweiterung Andermatt inklusive eines Interventions- und Servicezentrum in grossen Schritten voran.
Der Gornergrat soll ebenfalls weiterentwickelt werden. Hier prüfen wir derzeit die Realisierung eines Alpingartens sowie die Einführung einer exklusiven Premium Class mit hochwertiger kulinarischer Begleitung und einem besonderen Rahmenprogramm.
Die hohen Energiepreise und die mögliche Strommangellage beschäftigen Sie sicher auch. Wie abgesichert ist der Betrieb und welche Vorbereitungen treffen Sie?
Wir beziehen unseren Bahnstrom von der SBB Energie und bei der Gornergrat Bahn vom lokalen Energieversorger. Dank langfristigen Verträgen haben wir für 2023 die gleichen Strompreise bei der MGBahn und der Gornergrat Bahn sichern können wie zuvor. In den kürzlich abgeschlossenen Verträgen für die Folgejahre 2024 und 2025 haben sich die Tarife im Vergleich zu 2022 und 2023 in etwa verdoppelt. Das sind aus heutiger Sicht jedoch weiterhin attraktive Preise. Als Branche beobachten wir unter der Systemführerschaft der SBB die Entwicklungen sehr genau und stimmen uns eng untereinander ab, um falls erforderlich schnell geeignet reagieren zu können.
«Dank langfristigen Verträgen haben wir für 2023 die gleichen Strompreise bei der MGBahn und der Gornergrat Bahn sichern können wie zuvor.»
Auch der Immobilienbereich legte im ersten Halbjahr zu. Welche Investitionen sind in diesem Geschäftsfeld in den nächsten Jahren geplant?
Zurzeit renovieren wir in Zermatt die Liegenschaft «Gornerhaus» von Grund auf. Die anderen Liegenschaften rund um den Bahnhof Zermatt erfreuen sich hoher Beliebtheit und sind vollvermietet. Ähnliches gilt für die Überbauung Brückenweg in Visp und das «Andermatt Central». Hier gibt es perspektivisch die Möglichkeit, das Gebäude in zwei weiteren Schritten zu erweitern. Die Nachfrage dafür ist jedenfalls vorhanden.
Nochmals zurück zu den Schwarznasenschafen und der Natur. Ihre Bahnunternehmen aber auch das Geschäftsfeld Immobilien sind sehr stark vom Tourismus abhängig. Wie gross sind Ihre Sorgen, wenn Sie an den Klimawandel, schneearme Winter und sich auf dem Rückzug befindliche Gletscher denken?
Als Privatperson sehe ich die Entwicklungen natürlich mit Sorge und wir müssen als Gesellschaft schnell Lösungen finden, um diese aufzuhalten oder zumindest spürbar abzumildern. Für uns als Bahnunternehmung ist die Natur unser grösstes Kapital. Wir sind stolz an unserer Strecke einmalige touristische Sehenswürdigkeiten wie das Matterhorn, den Aletschgletscher oder die einzigartigen Landschaften im Goms, dem Urserntal, auf dem Oberalppass und in der Surselva zu haben. Insofern sehen wir es als Verpflichtung an, sorgsam mit der Natur und den Ressourcen umzugehen und so diesem Kapital Rechnung zu tragen. Im Zielbild Gornergrat 2030 spielt das Thema Nachhaltigkeit sogar eine übergeordnete Rolle.
«Für uns als Bahnunternehmung ist die Natur unser grösstes Kapital.»
Für uns spielt dabei auch eine betriebliche Sicht eine Rolle. Als Gebirgsbahn sind wir viel mehr Naturgefahren wie beispielsweise Steinschlägen, Lawinen oder Murgängen ausgesetzt als andere Bahnen. Dank eines systematischen und vorbeugenden Naturgefahrenmanagements unter Einbezug von Geografie-Experten gehören wir dennoch zu den sichersten Bahnen.
Welche Nachhaltigkeitskriterien gehören zur Weiterentwicklung der BVZ Gruppe?
Wir haben bereits zahlreiche Massnahmen umgesetzt. Schon sei der ersten Fahrt 1898 produzieren die Züge der Gornergrat Bahn bei der Talfahrt Strom. Drei talwärts fahrende Züge speisen damit Strom für ein bis zwei bergwärts fahrende Züge ein. Nachts werden die Züge in einem 250 Meter langen doppelspurigen Depotstollen untergestellt. Dank der Erdwärme herrschen das ganze Jahr im Tunnel Temperaturen von rund 14 Grad Celsius, und somit brauchen wir für die Reinigung und Unterhaltsarbeiten keine Heizung im Winter und keine Klimaanlage im Sommer.
Wir haben auf diversen Gebäuden Solaranlagen, die neuen Züge für die MGBahn und die GGB sind deutlich energieeffizienter als die Vorgängermodelle und bei der ganz überwiegenden Anzahl der Infrastrukturprojekte kommt eine so genannte Umweltbegleitung zum Einsatz, um allfällig erforderliche Eingriffe in Natur und Umwelt so gering wie möglich zu halten und je nach Situation durch Ersatzmassnahmen zu kompensieren. Aktuell sind wir dabei, das Thema Nachhaltigkeit in seinen drei Dimensionen Ökologie, Ökonomie und soziale Verantwortung in ein stringentes und übergreifendes Konzept für die gesamte Gruppe zu überführen und so zu systematisieren. Nachhaltigkeit soll schon bald zu einem wesentlichen Teil unserer Unternehmens-DNA werden, der von allen Mitarbeitenden gelebt wird – zum einen aufgrund der Nähe unserer Strategie und unserer Produkte zur Natur, zum anderen schlicht aus Überzeugung!
Herr Lehner, wir bedanken uns für das Interview.