von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Dickgreber, das TV-Geschäft ist im Umbruch. Wie stark haben Pay-TV-Anbieter, YouTube, aber auch Telekom-Unternehmen oder Kabelnetzbetreiber das Geschäft in den letzten Jahren bereits verändert?
Florian Dickgreber: Die wesentlichen Veränderungen sind durch die Online-Anbieter (Over-the-top OTT) wie YouTube, Netflix und AmazonPrime angestossen worden. Die Fernsehgewohnheiten der jungen Bevölkerungssegmente haben sich gerade durch diese Angebote sehr nachhaltig verändert und treiben jetzt die Gesamtveränderung. Insbesondere Sky ist schnell nachgezogen – Telekom- und Kabelunternehmen sind reaktiver unterwegs, wenn auch – wie im Fall Swisscom – sehr hochqualitativ in der Schweiz.
Wir streamen, laden runter und schauen zeitversetzt. Aber obwohl das lineare Fernsehen seit Jahren totgesagt wird, lebt es noch immer – und dies nicht mal schlecht. Wie lange wird das Fernsehen in seiner heutigen Form den Medienkonsum noch prägen?
Wir haben mehr als 50 Jahre Erziehung in der Gewohnheit des linearen Fernsehens. Diese Gewohnheiten lassen sich nicht direkt abstreifen und es wird nach wie vor einige Alterssegmente geben, die verständlicherweise hauptsächlich weiter auf lineares Fernsehen zurückgreifen werden. Auch die Zeitung existiert weiter, obwohl wir sie schon lange totgesagt haben. Allerdings werden beim Fernseher durch die Veränderungen bei den Fernsehern selber (SmartTV), bei den Decoder/Settop Boxen und den Fakt, dass viele Nutzer auf ihren Mobilfunkgeräten oder Tablets schon ein Abo oder einen Account haben, die Veränderungen der Anteile schneller und stärker zu den neuen Fernsehgewohnheiten umschlagen. Dies kann dadurch besonders beschleunigt werden, dass einige der gefragten Exklusivrechte für Sport in der Zukunft nicht mehr beim klassischen oder PayTV landen, sondern eher bei den OTT Anbietern.
«Nur wer sich als Content Navigator platziert, also dem Kunden dabei hilft, die Angebotsfülle gezielt nach den eigenen Präferenzen zu bewältigen, wird Erfolg haben.»
Florian Dickgreber, Partner A.T. Kearney
Was würden Sie als die grössten Herausforderungen für das klassische Fernsehen betrachten?
Die grösste Herausforderung besteht darin, relevant zu bleiben. Hierzu gehören, sich Exklusivrechte von gefragten Sport- und Kulturveranstaltungen zu sichern, sich Zugriff zu sonstigen Premium-Rechten wie bei Serien zu sichern und einen qualitiativ hochwertigen Nachrichtenjournalismus zu betreiben. Die Relevanz muss dann ergänzt werden durch «Hygienefaktoren», wie zeitversetztes Sehen, Zugriff auf die Inhalte via App oder Empfehlungen, die auf den Butzer zugeschnitten sind.
A.T. Kearney hat für eine Studie weltweit Führungskräfte der Branche befragt, welche Veränderungen sie in den nächsten fünf Jahren im globalen TV-Markt erwarten. Mit welchen zentralen Resultaten?
Es gibt mehrere zentrale Resultate: Als Erstes erwarten alle Führungskräfte eine signifikante Disruption in den nächsten fünf Jahren. Weiter ermöglicht die Demokratisierung des TV günstigere Produktionen und eine direkte Verteilung an den Kunden: dadurch ergibt sich eine massive Vielfalt an Angeboten für den Kunden. Die Geschwindigkeit dieser Disruption wird unterschiedlich schnell verlaufen. Viele Player haben heute noch die Chance zu gewinnen. Aber nur wer sich als Content Navigator platziert, also dem Kunden dabei hilft, die Angebotsfülle gezielt nach den eigenen Präferenzen zu bewältigen, wird Erfolg haben.
Welche Entwicklungen sind den Aussagen zufolge für den Schweizer Markt zu erwarten? Wie hoch ist beispielsweise die Bereitschaft der Schweizer, für Inhalte zu bezahlen?
Die Schweizer sind mit PayTV Angeboten wie Teleclub schon länger daran gewöhnt, für Inhalte zu bezahlen – hinzu kommt die hervorragende Breitbandabdeckung, die dazu führt, dass Zugang zu neuen Diensten – auch qualitativ hochwertig – fast überall möglich ist. Wir sehen daher eine höhere Bereitschaft in der Schweiz für Premium Content zu bezahlen als bei den deutschsprachigen Nachbarn. Erste Anzeichen dieser Entwicklung sehen wir deutlich bei der Entwicklung um die Sportrechte. Der Kampf um exklusive Sportrechte wie Eishockey und Bundesliga zeigt, dass internationale Firmen diese Bereitschaft genauso einschätzen.
Nachdem die SRG über Jahrzehnte praktisch konkurrenzlos war, tummeln sich gerade im Sportbereich mittlerweile zahlreiche Player, sei es DAZN, sei es MySports oder demnächst auch Sky. Was wird über die reinen Inhalte hinaus entscheiden, wer sich behaupten kann?
Hier zeigt unsere Studie sehr klar, dass neben «Content is king» noch zwei andere wichtige Faktoren rücken: Die Kundenerfahrung und die Marke. Bei der Kundenerfahrung ist wichtig, dass der Zuschauer schnell einen Überblick erhält, wo er die von ihm präferierten Inhalte findet, aggregiert über mehrere Plattformen hinweg. Hier sehen wir die Rolle der «Content Navigatoren» entstehen, der dem Kunden genau dabei hilft. Daneben muss auch die Marke stimmen – eine sogenannte «Lovebrand» wird in der Zukunft auch immer wichtiger dabei, den Kunden auf der Plattform zu halten.
«Wir sehen eine höhere Bereitschaft in der Schweiz für Premium Content zu bezahlen als bei den deutschsprachigen Nachbarn.»
Die neuen Anbieter haben mit hervorragend produzierten Serien, Dokus oder Sportübertragungen bewiesen, dass sie qualitativ hochstehendes Fernsehen machen können. In welchen Themenbereichen kann das klassische oder lineare Fernsehen heute und in Zukunft punkten?
Die Produktion wirklich guter Inhalte ist nicht mehr allein an grosse Budgets gebunden. Daher hat auch das klassische Fernsehen weiter gute Chance hochwertige Inhalte zu produzieren. Insbesondere in der Kombination mit lokalem Content ist hier eine sehr gute Chance für das klassische Fernsehen, sich einen Zukunftsplatz zu sichern.
DAZN, Netflix oder Amazon Prime sind reine OTT-Plattformen – mit schier unerschöpflichen finanziellen Mitteln. Und auch Sky will sein vollständiges Pay-TV-Angebot schon im kommenden Jahr via Internet streamen. Mit welchen Auswirkungen im deutschsprachigen Raum?
Die Auswirkungen für den Kunden werden durchaus spürbar sein – daher geben auch die überwiegende Mehrheit der Manager an, dass eine grosse Veränderung bevorsteht. Viele spannende Angebote werden genau auf diesen Plattformen zu finden sein – auf dem SmartTV, dem Tablet und dem Smartphone. Die Konkurrenz für die etablierten Spieler wird grösser – die Verteilung der gesehenen Fernsehminuten ebenfalls und dies wird auch Konsequenzen für die Werbeetats haben. Der Wettbewerb wird also deutlich härter werden für das lineare Fernsehen, aber auch für die Angebote von Telekommunikations- und Kabelanbietern.
Auch das klassische Fernsehen wird ja immer mehr auch über das Internet verbreitet. Reicht das – oder müssen die Sender eigene Plattformen mit alternativen Angeboten und Spartenkanälen anbieten?
Die Verbreitung über das Internet ist wichtig, aber nicht hinreichend. Zeitversetztes Sehen, das Fortsetzen von Inhalten, aber auch spannende eigene Inhalte (insbesondere mit lokalem Bezug) werden immer wichtiger. Spartenkanäle können helfen, aber der Zuschauer muss Klarheit haben, was er wo finden kann.
«Zeitversetztes Sehen, das Fortsetzen von Inhalten, aber auch spannende eigene Inhalte (insbesondere mit lokalem Bezug) werden immer wichtiger.»
Egal, welcher Sender, welche Plattform, welches Format – es muss mobil und zeitunabhängig genutzt werden können?
Ganz klar ja – aber nicht nur mobil. Auch die Möglichkeit auf dem klassischen Fernseher zu schauen, sollte vorhanden sein.
Herr Dickgrebern, wir bedanken uns für das Interview.
Zur Person:
Dr. Florian Dickgreber ist Geschäftsführer und Partner bei A.T. Kearney. Er ist Mitglied des Beratungsbereiches Telekommunikation, Medien und High Tech in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Florian Dickgreber verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Beratung internationaler Telekommunikationsgruppen, Media-Konzernen und Unternehmen des Bereichs Konsumelektronik. Er berät schwerpunktmässig in den Bereichen Marketing und Vertrieb sowie bei der Transformation globaler Unternehmensmodellen und bei der Organisations- und Prozessoptimierung. Dickgreber ist zudem Teil der Strategie-, Marketing und Sales Practice und fokussiert auf die Optimierung der Vertriebsmodelle von B2B- und B2C-Klienten.
Nach seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens mit technischer Fachrichtung Maschinenbau stieg Florian Dickgreber bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney ein. Parallel promovierte er an der TU Darmstadt zum Thema Innovationsmanagement in Netzindustrien.