Franco Muff, Ombudsman der Schweizer Reisebranche.
Von Vanessa Bay, Travelistas.info
Vanessa Bay: Mit wie vielen Beschwerde-Fällen hatten Sie es dieses Jahr schon zu tun?
Franco Muff: Bis dato waren es schon über 1000 Beschwerden – etwas mehr als im Vorjahr. Wegen des schlechten Sommers und der damit verbundenen Reisefreudigkeit der Schweizer, rechne ich auch nach den Herbstferien mit einigen Beschwerden.
«Es ist eine Pflicht, sich vor Ort mit der Reiseleitung in Kontakt zu setzen und dem Anbieter die Möglichkeit zu geben, den Mangel zu beseitigen.» Franco Muff, Ombudsman der Schweizer Reisebranche
Sind die Schweizer Reisenden allgemein kritischer geworden?
Diese Grundtendenz ist erkennbar, ja. Einen grossen Einfluss hat hier sicher das Internet. Die Reisenden tauschen sich vor der Reise aus und lesen Kommentare in Bewertungsforen. Leider werden diese, falls negativer Art, oft zu stark gewichtet und auch die Relation zum Preis- und Leistungsverhältnis geht oft verloren. Die Tendenz, dass insbesondere Bucher von billigen Angeboten zu Reklamationen neigen, ist ungebrochen.
Welche Beschwerden begegnen Ihnen am häufigsten?
Probleme mit selbst ausgeführten Buchungen im Internet sind sehr häufig zu verzeichnen. Da geht es beispielsweise um fehlerhafte Eingaben, die dann mit negativen Konsequenzen verbunden sind. Nebst den üblichen Mängelrügen zu Ferienaufenthalten und Rundreisen sind auch Fragen zur EU-Verordnung 261 (Flugreisen) ein häufiges Thema.
Wie sollen Konsumenten bei massiven Flugverspätungen vorgehen?
Oftmals sind die Ansprüche der Reisenden beschränkt und nicht so hoch wie in der Verordnung beschrieben. Die Reisenden haben beispielsweise Anrecht auf Betreuungsleistungen und eventuell auch eine Übernachtung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass der Reisende sich selber mit der Airline in Verbindung setzen muss, die Abwicklung also weder über den gewählten Reiseveranstalter oder das involvierte Reisebüro läuft.
«Wer alles selbstständig gebucht hat, muss auch die Probleme mit dem Anbieter auf diese Art lösen.»
Wie geht man vor, wenn man im Hotelzimmer statt dem versprochenen Meer einen Parkplatz vor Augen hat?
Der Reisende muss genau wissen, was er gebucht hat. Wenn auf den Unterlagen ein Zimmer mit Meersicht aufgeführt ist, kann man auch davon auszugehen, dass dafür einen Zuschlag bezahlt wurde. Erhält der Reisende nicht das entsprechende Zimmer, muss er zuerst mit dem Hotel eine Lösung suchen, dann die Reiseleitung vor Ort einbinden und allenfalls mit dem Anbieter in der Schweiz Kontakt aufnehmen.
Man muss also vor Ort eine Lösung finden?
Genau. Es ist eine Pflicht, sich vor Ort mit der Reiseleitung in Kontakt zu setzen und dem Anbieter die Möglichkeit zu geben, den Mangel zu beseitigen. Falls man vor Ort nichts erreicht, besteht in diesem Fall manchmal die Möglichkeit, dass man die Preisdifferenz der Zimmerkategorie zurückerstattet bekommt.
In welchen Fällen macht eine Beschwerde wirklich Sinn?
Eine Reklamation sollte „Händ und Füess“ haben und nicht mit überhöhten Forderungen oder gar Drohungen verknüpft sein. Wenn so gehandelt wird, hat man schon unnötig Öl ins Feuer gegossen und erntet dafür Rauch. Eine klar deklarierte und begründete Mängelrüge sollte uns in der Regel erst dann erreichen, wenn zwischen Anbieter und Konsument keine einvernehmliche Lösung getroffen werden konnte.
Gibt es Richtlinien, welche Ansprüche bei welchen Mängeln gelten?
Es gibt selbstverständlich Erfahrungswerte und eigens dafür verfasste Tabellen. Diese haben für die Schweiz zwar keinen bindenden Charakter, können aber als Mittel zum Entscheid beigezogen werden. Grundsätzlich gilt aber auch hier die Verhältnismässigkeit.
Was ist, wenn ich meine Reisekomponenten online gebucht habe und sich niemand um mein Anliegen kümmern will?
Dann stelle ich mir die Frage, ob es eine gute Idee war, dass ich einen mir unbekannten Anbieter gewählt und die Vertragsbedingungen nicht gelesen habe. Noch ärgerlicher wird es, wenn ich feststellen muss, dass dieser kein ordentliches Reklamationsmanagement bieten kann oder will. Wer alles selbstständig gebucht hat, muss auch die Probleme mit dem Anbieter auf diese Art lösen.
«Eine Reklamation sollte „Händ und Füess“ haben und nicht mit überhöhten Forderungen oder gar Drohungen verknüpft sein.»
Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie unverhältnismässige Reklamationsfälle auf dem Tisch haben?
Man darf nie vergessen, dass Reisen doch immer noch eine Art Abenteuer sind. Ich empfehle jedem Reisenden, auch eine Ration Lockerheit im Gepäck zu verstauen. Letztlich ist es doch auch so, dass Unerwartetes, im Moment Unangenehmes mit etwas zeitlicher Distanz in humorvoller Weise in Erinnerung bleibt.
Der Gesprächspartner:
Franco Muff, Ombudsman der Schweizer Reisebranche. Franco Muff ist seit vielen Jahren in der Reisebranche verankert, als früherer Filialleiter und Geschäftsführer verschiedener Reiseunternehmen, Referent über Reiserecht und zuletzt Kundendienstleiter eines grossen Reiseveranstalter, ist er ein ausgewiesener Fachmann und als solcher in der Lage, die Anliegen der Konsumenten und der Marktteilnehmer in ausgewogener Weise zu beurteilen.
Der Ombudsman
der Schweizer Reisebranche wurde 1990 eingesetzt als Vermittler bei Unstimmigkeiten zwischen der Kundschaft und Schweizer Reiseunternehmen, welche diese miteinander nicht zufriedenstellend lösen können. Der Ombudsman ist durch seine neutrale Tätigkeit eine wichtige Institution geworden und nicht mehr wegzudenken. Oft werden auch Kundenbeschwerden von Medien und Konsumentenorganisationen an den Ombudsman zur Vermittlung weitergeleitet.