Frank Ziemer, CEO Ziemer Group AG.
von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Ziemer, Sie sind von Ernst & Young als „Entrepreneur Of The Year“ in der Kategorie „High-Tech/Life Sciences“ ausgezeichnet worden. Dazu herzliche Gratulation. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Frank Ziemer: Ich bin hoch erfreut und fühle mich geehrt, dass unsere Anstrengungen gesehen und anerkannt werden. Die Auszeichnung gebührt natürlich dem ganzen Team, das mit seinem Einsatz und mit seiner kreativen Kraft den Erfolg erst ermöglicht hat. Es ist mir wichtig, die Auszeichnung nicht nur als Lohn für das Erreichte zu verstehen, sondern vor allem als Ansporn, weiter zu machen, innovativ zu bleiben und nach neuen Herausforderungen zu suchen.
Ihr Unternehmen ist spezialisiert auf chirurgische und diagnostische Instrumente für die Augenheilkunde oder Ophthalmologie. Bei welchen Eingriffen kommen Ihre Instrumente zum Einsatz?
Unsere Produkte nehmen einen wichtigen Platz ein in Verfahren, die sich auf die Hornhaut und den vorderen Abschnitt des Auges konzentrieren, vor allem in der refraktiven Chirurgie (Korrektur von Fehlsichtigkeiten), namentlich Kurzsichtigkeit (Myopie), Weitsichtigkeit (Hyperopie), Hornhautverkrümmung (Astigmatismus) und Altersweitsichtigkeit (Presbyopie), sowie in der Kataraktchirurgie (Behandlung des grauen Stars) und in der Diagnostik des grünen Stars (Glaukom). All diesen Augenerkrankungen bzw. Sehbehinderungen ist gemeinsam, dass eine sehr hohe Anzahl von Patienten betroffen ist, denen heute dank Spitzentechnologie und Mikrochirurgie geholfen werden kann.
«Unsere Produkte nehmen einen wichtigen Platz ein in Verfahren, die sich auf die Hornhaut und den vorderen Abschnitt des Auges konzentrieren.»
Frank Ziemer, CEO Ziemer Group AG
Wie wichtig ist es für das Unternehmen, nicht nur die chirurgischen, sondern auch die diagnostischen Instrumente anbieten zu können?
Nun, am Anfang jedes chirurgischen Eingriffs steht die präzise Diagnose. Wenn ich die Sehkraft des Auges chirurgisch verbessern will, ist der Ausgangspunkt die hochpräzise Vermessung der Hornhaut und des ganzen Auges, auf Bruchteile von Tausendstelmillimetern genau. Und auch bei einer Kataraktoperation, wo es darum geht, die trübe gewordene Linse im Augeninneren durch eine künstliche Linse zu ersetzen, ist die präzise Diagnostik die Voraussetzung dafür, dass ich die Brechkraft der Kunstlinse so berechnen kann, dass der Patient nach der OP optimal sieht; wenn möglich ohne Brille. Somit müssen die Diagnostik und die Operationsverfahren optimal aufeinander abgestimmt sein.
Und in kommerzieller Hinsicht ergeben sich für den Anbieter wie den Anwender (den Augenarzt) Vorteile, über integrierte Lösungen aus einer Hand verfügen zu können.
Bereits das erste von Ziemer entwickelte Instrument mit dem Namen Amadeus war sehr erfolgreich. Was kann dieses Gerät?
AMADEUS® ist ein automatisches Mikrokeratom. Es diente in den Anfangsjahren der refraktiven Chirurgie dazu, präzise lamelläre Schnitte in der Hornhaut auszuführen. Diese Verfahren sind teilweise auch heute noch im Einsatz und haben ihren Platz im Instrumentarium des Augenchirurgen, auch wenn sich in den letzten Jahren ein starker Trend weg vom Mikrokeratom und hin zum Femtosekundenlaser ausprägt. Daneben hat das Amadeus-Mikrokeratom sich neue Einsatzmöglichkeiten geschaffen für spezielle Verfahren in der Hornhautchirurgie, etwa für die partielle Keratoplastik (Transplantationsverfahren, bei denen nur ein Teil der Hornhaut transplantiert wird).
Das Prinzip des Mikrokeratoms ist nicht unsere Erfindung. Aber neu am Amadeus war, dass es einfach und sicher zu bedienen war, gesteuert und kontrolliert von einem Mikroprozessor. Und mit unseren Know-how in Mikromechanik gelang es uns, Fertigungstechniken zu entwickeln, die dem Gerät eine Präzision gaben, die damals alle anderen Mikrokeratome auf dem Markt bei weitem übertrafen, ganz in der Tradition der Schweizer Präzisionsuhren-Industrie.
Mit dem erwähnten Femtosekundenlaser für refraktive Chirurgie, also die chirurgische Korrektur von Fehlsichtigkeiten, und Hornhautchirurgie steht das Unternehmen an der Spitze der technologischen Revolution, die zur heutigen Sehkorrektur ohne Messer geführt hat. Was ist das Besondere am Femto LDV Sekundenlaser?
Generell ist das Licht des Femtosekundenlasers in der Lage, durchsichtiges Gewebe wie die Hornhaut und andere Teile des Auges zu durchdringen. Gebündelt auf einen bestimmten Punkt innerhalb der Hornhaut, kann ein Laserimpuls das Gewebe an dieser Stelle durchtrennen. Damit wird es möglich, im Inneren des Hornhautgewebes zu schneiden, ohne die Oberfläche zu verletzen. Mit hochpräziser Optik und mit Computersteuerung lässt sich der Laserstrahl auf Tausendstelmillimeter genau lenken; genauer als dies mit irgendeinem mechanischen Schnittgerät möglich wäre. Dies gilt grundsätzlich für alle auf dem Markt erhältlichen Femtosekundenlaser – zurzeit haben etwa ein halbes Dutzend Hersteller Geräte auf dem Markt.
Das Besondere am Ziemer LDV Femtosekundenlaser ist einerseits die von uns entwickelte Spezialoptik, welche das Laserlicht mit höchster Präzision bündelt und uns damit erlaubt, mit geringerer Energie eine saubere Trennung zu erzielen. Andererseits haben wir eine Laserquelle entwickelt, die in der Lage ist, die extrem kurzen Laserblitze – ein solcher Blitz dauert einige Femtosekunden; d.h. einige milliardstel Sekunden – in extrem kurzer Folge abzufeuern. Der LDV produziert mehr als 5 Millionen Laserpulse pro Sekunde und ist damit mit grossem Abstand der schnellste Femtosekundenlaser auf dem Markt.
«Mit hochpräziser Optik und mit Computersteuerung lässt sich der Laserstrahl auf Tausendstelmillimeter genau lenken; genauer als dies mit irgendeinem mechanischen Schnittgerät möglich wäre.»
Wie können wir uns die Operationstechnik vorstellen?
Unsere Z-LASIK®-Methode zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten besteht aus drei Schritten: in einem ersten Schritt wird von der Hornhaut eine oberflächliche, etwa 1/10 mm dicke Lamelle mit dem FEMTO LDV erzeugt und umgeklappt. Als zweiter Schritt wird mit einem Excimer-Laser die freigelegte Oberfläche der Hornhaut bearbeitet, so dass diese eine neue Form mit genau festgelegter Krümmung erhält. Und als letzter Schritt wird die Hornhautlamelle wieder an die ursprüngliche Stelle zurückgelegt, wo sie wieder festwächst. Da unter der Hornhautoberfläche keine Nervenbahnen verlaufen, ist dieses Verfahren schmerzlos. Bevor LASIK erfunden wurde, wurde die Behandlung direkt auf der stark schmerzempfindlichen Hornhautoberfläche durchgeführt, was mit tagelangen heftigen Schmerzen verbunden war.
Das Verfahren kann im Internet in Videos verfolgt werden; z.B. an folgenden Stellen:
Prinzipieller Ablauf als Trickfilm
Ablauf einer echten Operation
Wie viele Femtosekundenlaser konnten Sie bis anhin verkaufen und wo liegen Ihre aktuellen Hauptabsatzmärkte?
Seit der Markteinführung 2006 haben wir mehrere hundert FEMTO LDV-Geräte verkauft und weltweit platziert. Mehr noch als die Anzahl Geräte ist für uns von Interesse die Anzahl der mit diesen Geräten durchgeführten Eingriffe. Über 1 Million Augen wurden mit dem LDV behandelt. Da für jeden Eingriff ein Kit von sterilen Verbrauchsmaterialien benötigt wird, die wir ebenfalls herstellen und verkaufen, ist das wiederkehrende Einkommen aus diesem Verbrauchsmaterial inzwischen zu einem unserer Haupt-Umsatzträger geworden.
Ursprünglich waren Europa und USA unsere Hauptmärkte; seit 2009 hat sich der Schwerpunkt in zunehmendem Masse nach Asien verschoben; vor allem China, Korea und Japan.
Wie sehr ist Ihr Unternehmen von der Frankenstärke betroffen und fürchten Sie nicht, dass in vielen europäischen Ländern anstehende Sparmassnahmen auch den medizinischen Bereich treffen werden?
Wir sind bisher glücklicherweise nicht im selben Mass vom hohen Frankenkurs betroffen wie andere Schweizer Exportunternehmen, obwohl auch die Ziemer Group über 95% ihres Umsatzes im Export erzielt. Grund ist die Tatsache, dass wir einen wesentlichen Anteil unserer Komponenten von Partnerfirmen im EU-Raum kaufen.
Der Hauptanteil unserer Produkte und Verfahren wird nicht in dem vom öffentlichen Sektor und den Krankenversicherungen abgedeckten Bereich der Medizin eingesetzt, sondern es handelt sich um privatärztliche Eingriffe, die von den Patienten direkt bezahlt werden. Ausserdem ist der Preis, den der Patient für den Eingriff bezahlt, nur zu einem relativ kleinen Teil durch das Gerät bedingt, sonder mehrheitlich durch die Betriebskosten der Klinik.
Die Ophthalmologie hat in den letzten Jahren riesige technologische Fortschritte gemacht. Beim Femtosekundenlaser spricht man von einem Quantensprung. Bedeutet dies, dass diese Technik auch in 10 oder 20 Jahren das Standardprozedere sein wird?
Trotz der Fortschritte in der Femtolaser-Technologie: Wir stehen erst am Anfang! Die Entwicklung von erweiterten Anwendungen, z.B. für intraokulare Eingriffe an der Linse, ist in vollem Gange. Wir erwarten, dass in 10 bis 20 Jahren die Femtolaser-Technologie nicht mehr dieselbe sein wird wie heute, aber dass sie einen noch wichtigeren Platz in der Augenchirurgie einnehmen wird. Und unser Unternehmen wird sich weiterhin anstrengen, um an der Spitze der Entwicklung mit dabei zu sein.
«Trotz der Fortschritte in der Femtolaser-Technologie: Wir stehen erst am Anfang!»
Und wie wird sich die Ziemer Group dannzumal präsentieren?
Um gegenüber den grossen Konkurrenzunternehmen mit ihrer überlegenen Marktmacht und Finanzkraft bestehen zu können, muss die Ziemer Group weiterhin auf ihre erprobten Stärken setzen, als da sind: Innovationskraft, hoch integrierte Produktion, Kollaboration mit leistungsfähigen Partnern und starke Präsenz durch kundennahes Marketing, Verkauf und Service.
Sie haben Ihr Unternehmen erst vor 12 Jahren gegründet und stehen heute zusammen mit rund 150 Angestellten in Ihrer Branche an der Weltspitze. Welches waren und sind die Erfolgsfaktoren?
Nicht die Ersten sein und nicht die Billigsten, sondern die Besten!
Welches sind die weiteren geplanten Ausbauschritte?
Kurz- und mittelfristig unternehmen wir grosse Anstrengungen, die Weiterentwicklung der Femtosekundenlaser-Technologie mitzumachen und mitzugestalten. Aber bei aller Wichtigkeit der Femtolaser: Wir wollen es vermeiden, allzu einseitig nur von einer einzigen Technologie oder Produktanwendung abhängig zu sein und sind daher bestrebt, in Technologien und Märkte zu expandieren, welche sich auf Grund unseres Know-hows anbieten. Dies mag durchaus auch heissen, dass sich das Tätigkeitsfeld der Ziemer Group nicht immer ausschliesslich auf die Augenheilkunde konzentrieren wird.
«…Dies mag durchaus auch heissen, dass sich das Tätigkeitsfeld der Ziemer Group nicht immer ausschliesslich auf die Augenheilkunde konzentrieren wird.»
Sie stellen Ihre Instrumente in Port bei Biel her. Was spricht für diesen Standort?
Auf der Basis der starken, leistungsfähigen Uhrenindustrie, einem industriellen Kernstück der Region „Espace Mittelland“, haben sich in unserer unmittelbaren geographischen Umgebung viele KMU etabliert, welche für uns wichtige Kompetenzen in Bereichen wie Mikromechanik, Medizintechnik, Informatik oder Optik beherrschen. Es ist uns gelungen, hier ein wertvolles Netzwerk aufzubauen, welches uns hilft, unseren Wissensvorsprung zu halten und weiter auszubauen.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein?
Es ist uns bisher gelungen, gute Nachwuchskräfte zu rekrutieren und eine leistungsfähige, agile Geschäftsleitung aufzubauen. Aber gute Führungskräfte sind bei uns (und vielleicht besonders in unserem geographischen Umfeld) schwer zu finden. Ich habe den Eindruck, dass Schweizer Ingenieure und Wissenschaftler bessere Exportartikel sind als Führungskräfte. Darum sind viele Schweizer Unternehmen auf den Import von Führungskräften angewiesen.
Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen und welche Massnahmen sind in Ihrem Unternehmen zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
Vielfaltsmanagement bedeutet für uns, dass wir unsere Mitarbeiter immer und ausschliesslich gemäss ihren Fähigkeiten suchen und einsetzen. Das ist für uns eine Selbstverständlichkeit und nicht ein Programm. Schon bedingt durch die geographische Lage (direkt auf der französisch-deutschen Sprachgrenze) und die daraus sich ergebende sprachliche Diversität (wir beschäftigen französisch-, deutsch, und englischsprachige Mitarbeiter) leben wir Diversität täglich.
Herr Ziemer, herzlichen Dank für das Interview.
Werdegang Frank Ziemer
• Berufslehre zum eidg. dipl. Feinmechaniker
• Abschluss der eidg. Matura
• Abschluss an der UNI Bern lic.rer.pol
Mit Schwerpunkt Innovationsmanagement und Produktionswirtschaft Besuch der Vorlesungen an der med. Fakultät UNI Bern erstes und zweites Propädeutikum
• Mecosa AG Belgien: Aufbau einer Diamantsägerei / Diamantanwendungen für die Chirurgie
• Meyco AG Biel: Projektmitarbeiter Chirurgische Instrumente für die Ophthalmologie
• Meyco AG Biel: Projektleiter Mikrokeratom für die Ophthalmologie
• Mitglied der Geschäftsleitung der Meyco AG Biel
• Gründung der Ziemer Group / SIS AG
Auslandsaufenthalte:
Frankreich: Paris
England: London
Belgien: Antwerpen
USA: New York
Verheiratet seit 15 Jahren mit Laila Ziemer, drei Kinder
Grosser Jazzmusik Fan, spielt selber Schlagzeug
Geschichte der Ziemer Group AG:
• 1999: Start / Gründung der Unternehmung
• 1999: Private Finanzierung Ziemer und Bern-Venture
• 2000: Erste Entwicklung des Mikrokeratoms Amadeus abgeschlossen.
• 2000: Erhalt der CE und FDA Registrierung für Amadeus
• 2001: Vertriebsvertrag mit Allergan für USA, Europa und Asien
• 2001: Kapitalerhöhung; Ziemer, HBM, M2-Capital, BV
• 2001: Beginn der Entwicklung Femtolaser
• 2001: 2002: Umzug ins neue Firmengebäude
• 2003: Markteinführung Pascal
• 2004: Wandeldarlehen, Ziemer, HBM, M2C
• 2005: Zulassung Galilei für Europa und USA erhalten und Beginn Vermarktung
• 2006: Aufbau eigener Vermarktungsstrukturen
• 2006: Zulassung Femtolaser in Europa und USA
• 2007: Beginn Vermarktung Femtolaser
• 2008: Eröffnung Vertriebsniederlassung in USA
• 2008: 100‘000 Augen mit Femtolaser operiert
• 2008: Vertrag mit der grössten Augenklinik der Welt in Japan abgeschlossen
• 2008: Zulassung für Femto in China erhalten
• 2009: Beginn Vermarktung des Femtolasers in China
• 2010: 500‘000 Augen mit Femto operiert
• 2011: Neuentwicklung CrystalLine Laser auf den Markt gebracht
• 2010: Abschluss der Kapitalerhöhung unter der Leitung der UBS
• 2010: Vertriebsnetz mit Distributoren in ca. 50 Länder aufgebaut
• 2010: Verträge mit mehreren Spitalketten abgeschlossen
• 2011: Optische Kohärenz-Tomographie Proof of Concept abgeschlossen
• 2011: 35 Spitäler in China mit unserem Femtolaser ausgerüstet
• 2011: Abschluss der Neuentwicklung dritte Generation: Femto
• 2011: Beginn der Entwicklung eines Femtolasers für weitere Anwendungen am Auge