Frédéric Gastaldo, CEO Swisscom Energy Solutions, im Interview

Frédéric Gastaldo, CEO Swisscom Energy Solutions, im Interview
Frédéric Gastaldo, CEO Swisscom Energy Solutions (Bild: Swisscom)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Gastaldo, die Schweizer Bevölkerung hat gerade die Energiestrategie 2050 angenommen, die den Ausstieg aus der Kernenergie, weniger pro-Kopf-Verbrauch und Investitionen in erneuerbare Energie festlegt. Welche Chancen und Risiken sind mit dieser Ausgangslage jetzt verbunden?

Frédéric Gastaldo: Mit diesem eindeutigen Resultat hat sich das Volk klar für eine nachhaltige Zukunft entschieden. Die Frage des „Was“ ist somit klar: Rücklauf der Kernkraftwerke, Entwicklung von erneuerbaren Energien, Abbau von fossilen Energien auch im Heiz- und Mobilitäts-Bereich. Die Frage des „Wie“ bleibt aber noch offen. Es muss da noch sehr viel gearbeitet werden.

Normalerweise liegt der Eigenverbrauch bei einer Photovoltaikanlage bei 20%. Mit tiko und einem Heimspeicher kann er auf bis zu 80% erhöht werden. Frédéric Gastaldo, CEO Swisscom Energy Solutions

Deutschland hat einige Jahre vor der Schweiz den Ausstieg aus der Atomkraft entschieden, mit dem Resultat, dass sich die Energie massiv verteuerte und zusätzlich wieder Kohlekraftwerke in Betrieb genommen wurden. Wie kann die Schweiz einem ähnlichen Schicksal entgehen?

Als Deutschland sich für die Energiewende entschied, hat es eine Pionierrolle übernommen. Die Wege der Pioniere sind nie perfekt. Es gibt auch in Deutschland intern politische Kräfte, die diese Entwicklung geprägt haben, es hat nicht immer zur optimalsten Lösung geführt. In Nachgang ist es leicht zu kritisieren, aber die deutsche Ausgangslage ist nun gut. Sie haben schon bewiesen, dass man vor ein paar Jahren unvorstellbare Anteile von Erneuerbaren ins Netz einspeisen kann, ohne ein Black Out zu befürchten. Die Lage ist reif für einen Rückbau von Kohlkraft.

Die Schweiz wird von dieser Erfahrung profitieren, ich hoffe es wird uns ermutigen unseren eigenen Weg zu einer nachhaltigen Energiezukunft zu finden. Es wird auch nicht perfekt sein, aber wenn wir es so akzeptieren können, werden wir schon einen riesigen Schritt nach vorne gemacht haben.

Der damalige Bundesrat Adolf Ogi hat 1988 in einem viel beachteten Fernsehspot mit der korrekten “Eierkoch”-Methode auf das Thema Energiesparen aufmerksam gemacht. Wo muss man heute ansetzen, um die Energieeffizienz wirksam zu erhöhen?

Es fehlt noch am „CO2 Bewusstsein“. Jeder weisst, dass heute der finanzielle Anreiz fehlt, CO2 zu sparen. Es ist aber möglich, die Grössenordnungen des CO2 Ausstosses mit einem Vergleich zwischen der Reise mit dem Flugzeug, Auto, Bus und Bahn zu erklären. Jeder kann dann für sich entscheiden. Begriffe wie „Graue Energie“ können verbreitet werden. Wenn man in die Schulung von Kindern investiert, hat man in der Sache einen doppelten Effekt: Sie werden ihre Eltern sehr gerne selbst schulen! Ich spreche da aus Erfahrung.

«Der Preis für CO2 Zertifikate ist laut alle Experten viel zu tief gesetzt. Er muss korrigiert werden.»

Bestehende Installationen, Heizungen, oder Häuser lassen sich oft nur mit hohen Investitionen energietechnisch verbessern. Bei den aktuell tiefen Energiepreisen sind solche Investitionen oft kaum wirtschaftlich. Wie können hier Anreize geschaffen werden?

Nicht alle Entscheide, die wir treffen, sind finanziell getrieben. Wie rentiert sich ein schöner Garten? Gar nicht. Trotzdem investieren Viele in ein schönes Haus oder einen schönen Garten. Es gefällt ihnen. Es bringt ihnen ausserdem einen sozialen Mehrwert:  Man erhält Wertschätzung seitens der Nachbarschaft für die Ästhetik. Was machen wir heute, um den Investitionen in eine nachhaltige Zukunft eine solche soziale Wertschätzung zu zeigen. Eher wenig. Es kann da viel mehr getan werden: individuell und kollektiv.

Nebst dieser sozialen Wertschätzung gibt es natürlich auch die finanzielle Wertschätzung. Dort kann man kollektiv auch mehr tun. Der Preis für CO2 Zertifikate ist laut alle Experten viel zu tief gesetzt. Er muss korrigiert werden.

Mit Swisscom Energy Solutions haben Sie die Plattform “tiko” geschaffen, mit der Produzenten und Konsumenten dank intelligenter Messgeräte und Steuerung die Effizienz steigern und die Kosten senken können. Für wen lohnt sich der Einsatz, welche Erfahrungen haben Sie bis anhin gemacht?

Jeder der über eine elektrisch getriebene Hausheizung verfügt – und es soll in der Zukunft die Mehrheit sein – kann  von tiko profitieren. Sie werden die Möglichkeit haben, Energie einzusparen,  werden volle Transparenz über ihren Verbrauch erhalten und bekommen eine Mitteilung, wenn Ihre Heizung versagt. Und dort wo tiko einen wirklichen individuellen und kollektiven Mehrwert erzeugt, ist die Möglichkeit des Kunden, sich mit anderen energetisch zu vergleichen. Alles mit einer einfachen App. Für die Konsumenten die auch in Photovoltaik-Anlagen und – möglicherweise – in einen Heimspeicher investiert haben, hilft tiko noch dazu, den Eigenverbrauch zu maximieren. Normalerweise liegt der Eigenverbrauch bei einer Photovoltaikanlage bei 20%. Mit tiko und einem Heimspeicher kann er auf bis zu 80% erhöht werden.

Die tiko Platform bietet auch für die Stromnetze Vorteile, es nützt die Flexibilität von Hausgeräten, um Regelenergie und ähnliche Dienstleistungen an die Netzbetreiber anzubieten. Somit beteiligt sich der Konsument an einer nachhaltigen Stromwirtschaft. Er profitiert zusätzlich davon, dass ein Teil der Erträge des Regelenergiegeschäfts von tiko an ihn als Subvention seiner initialen Investition zurückfliesst. Das System bietet somit für die Konsumenten die günstigste Energiemanagement-Lösung des Marktes.

Wer sich an tiko beteiligt, spart Energie ein, reduziert die CO2 Emissionen, leistet einen Beitrag zur Stabilität des Netzes und unterstützt somit die praktische Erreichung der Ziele der Energiestrategie 2050.

Ein grosses Problem mit den erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne ist die ungenügende Produktion einer kontinuierlichen Grundlast. Wie kann die vor allem auch für die Industrie wichtige Verfügbarkeit garantiert werden?

Die Grundlastthematik ist etwas übertrieben. Die Lastkurve eines Landes war niemals ein Band. Es wird natürlich deutlich weniger Energie in der Nacht gebraucht als am Tag, und am Tag gibt es Spitzen am Mittag und am Abend. Das Energiesystem hat immer Flexibilität gebraucht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

«Wenn Gaskraftwerke ein paar Tage pro Jahr laufen müssen, ist das für das Klima und die CO2 Emissionen keine Katastrophe.»

Was neu ist, ist die stochastische Dimension der erneuerbaren Erzeugung, aber die Spitzen von Photovoltaik und Wind sind für das Elektrizitätssystem eher günstig, denn sie decken sich gut mit der Spitzen des Verbrauchs. Lösungen wie tiko bieten einen Teil der Antwort, da sie Haushaltslasten flexibilisieren, mit der Verbreitung von Heim- und Unternehmens-Speicher gibt es zusätzliche Glättungspotentiale zwischen Tag und Nacht.

Es ist in Deutschland momentan sehr viel die Rede von der „Dunkelflaute“: Die Tage im Winter ohne Sonne, ohne Wind. Wie wird man sie überbrücken? Da sollte man pragmatisch und nicht dogmatisch denken. Wenn Gaskraftwerke – davon gibt es heute viele und gewisse wurden in Deutschland stillgelegt noch vor ihrer Inbetriebnahme – ein paar Tage pro Jahr laufen müssen, ist das für das Klima und die CO2 Emissionen keine Katastrophe. Vielleicht ist dies nicht die ideale Lösung. Was ich sagen will: Es gibt Lösungen, man muss nur pragmatisch denken. Die Lösung kann aber nicht darin liegen, eine strategische Reserve aus Kohlekraftwerken mit dem Segen der EU (siehe Winterpaket der EU) aufrecht zu erhalten.

Was bedeutet die zunehmende Zahl von Kleinsteinspeisern für das Stromnetz, das kaum für einen solchen Betrieb konzipiert wurde und zeichnen sich hier über neue Batterie-Technologien Alternativen ab?

Die lokale Netze in der Schweiz wurden „gut dimensioniert“ bzw. überdimensioniert. Wir können dafür unseren Vorfahren dankbar sein. Es gibt sicher Einzelfälle, wo man noch Kupfer legen muss, aber in der Regel sind die Investitionen eher in Trafo-Stationen als in den Boden zu tätigen. Dicht mit Photovoltaik (PV) angesiedelte lokale Netze in Deutschland haben noch kein Black-out erlebt. Es ist ein Beweis der Stärke der lokalen Netze. Die Verbreitung von Heimspeichern wird dieses Problem stark reduzieren. Mit einer richtig dimensionierten Batterie wird eine private PV-Anlage kaum mehr im Netz einspeisen. Die Netze werden massiv entlastet.

«Wenn viele Haushalte 80% Selbstversorgung erreichen und nur noch 20% ihren Strom vom Netz beziehen, wie wird man die Netze finanzieren, in einer Welt wo das Netzentgelt pro bezogene kWh verrechnet ist?»

Die Befürchtungen von Angstmachern, die die Netzstabilität als Argument nützen, um die Entwicklung von PV und Heimbatterien zu bremsen, sind in Wirklichkeit viel weniger technisch als wirtschaftlich geprägt: Wenn viele Haushalte 80% Selbstversorgung erreichen und nur noch 20% ihren Strom vom Netz beziehen, wie wird man die Netze finanzieren, in einer Welt wo das Netzentgelt pro bezogene kWh verrechnet ist? Es werden 80% der Erträge fehlen. Diese Frage müssen wir lösen. Die technische Frage ist untergeordnet.

Die Schweiz hat eine lange Tradition im Bereich Wasserkraft, einen hohen Technologiestandard bei der Digitalisierung und hervorragende Hochschulen. Wie lässt sich dies im internationalen Wettbewerb gewinnbringend einsetzen?

Ich wünsche, dass wir bei tiko die Zauberformel hätten! Die Schweiz geniesst heute die Vorteile, die Sie genannt haben. Es ist aber ein kleines Land. Die Lösung, die wir in der Schweiz entwickeln, muss auch ihren Markt im Ausland finden. Es ist auch kritisch, dass in der frühen Entwicklungsphase das lokale Umfeld risikofreudig handelt: Man muss Versuche machen können, die Energiewirtschaft muss sich für Innovation offen zeigen. Man kann nicht behaupten, dass ein Schweizer Startup Erfolg im Ausland haben wird, wenn es sich im Schweizer Markt nicht zuerst hat beweisen können. Heute fehlt es noch ein Stück weit an Innovationsanreizen für Akteure der Energiebranche in der Schweiz.

Oft scheitern in der Schweiz an sich gute Ideen bei der Umsetzung an zu viel Föderalismus, wenn jeder Kanton eigene Vorschriften erlässt und in zu kleinen Räumen denkt. Wie sieht das aus bei der Energiewende und der Digitalisierung und Liberalisierung des Strommarktes?

Föderalismus ist in dieser Sache grundsätzlich ein Vorteil, kein Nachteil. Unterschiedliche Ansätze bieten Vielfältigkeit und Chancen, diverse Experimente durchführen zu können. Wenn ein Kanton falsche Rahmenbedingungen bietet, wird der nächste bessere zur Verfügung stellen. Die Schweiz ist per se sowieso zu klein, um einen Markt für Technologieentwicklung darzustellen. Die Schweiz sollte aber Schweizer Unternehmen die Chance bieten, Experimente durchführen zu können und neue Lösungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln. Eine liberale Grundhaltung in dieser Sache wird da mehr helfen, als brettdicke Vorschriften zu erlassen.

Zum Schluss des Interviews haben Sie noch zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Ich wünsche, dass die Energiewirtschaft in politischen Kreise nicht mehr nur als Mittel wahrgenommen wird, um auf schmerzlose Weise „Steuern“ einzutreiben. So lange, wie die Politik die Energiewirtschaft als Milchkuh betrachtet und die Dividenden der Energieversorger in ihre Budgets fest einplant, wird es schwer sein, neue Geschäftsmodelle mit der Energiewirtschaft zu entwickeln und diese in Bewegung zu bringen. Steuersysteme sind extrem schwer anzupassen. Das haben wir letztlich nochmals erlebt. Heute sind die Erträge von lokalen Energieversorger so kritisch für den Haushalt von Kantonen und Gemeinden, dass Innovation oder Initiativen im Keim erstickt werden, obwohl diese auch Gewinnchancen für sie bieten.

«Ich wünsche, dass die Energiewirtschaft in politischen Kreise nicht mehr nur als Mittel wahrgenommen wird, um auf schmerzlose Weise „Steuern“ einzutreiben.»

Mein erster Wunsch ist gross genug, so dass ich keinen zweiten habe.

Der Gesprächspartner:
Frédéric Gastaldo startete seine Karriere bei UGINE ACG, einem französisch-amerikanischen Edelstahl Produzenten, bevor er zur Boston Consulting Group in das Pariser Büro wechselte. Er wurde danach Chief Technology Officer (CTO) bei Cegetel Entreprises (Vivendi Group) in Frankreich. Ende 1998 wechselte er zur Louis Dreyfus Gruppe und wurde CEO und Mitgründer der Louis Dreyfus Communications später als Neuf Telecom bekannt und der grösste Konkurrent der France Telecom in französischen Festnetz Markt.

Frédéric Gastaldo kam 2003 zur Swisscom um Swisscom Hospitality Services, einen international spezialisierten Dienstleister von Internet Dienstleistungen für Hotels und Kongresszentren, zu gründen und entwickeln. Er hatte seitdem zahlreiche Positionen und VR-Mandaten innerhalb der Swisscom Gruppe, u.a. war er als Mitglied der Geschäftsleitung zuständig für Strategie und Innovation und Verwaltungsratpräsident der local.ch. Zur Zeit ist er Geschäftsführer der Swisscom Energy Solutions AG und verantwortlich für den Swisscom Connected Living Bereich. Frédéric Gastaldo hat die École Polytechnique, Paris sowie die École Supérieure des Mines de Paris absolviert.

Das Unternehmen:
Mit dem Hauptsitz in Olten entwickelt die Swisscom Energy Solutions AG flexible und modulare Lösungen unter dem Namen tiko. tiko bietet Regelenergie mit einer Reaktionszeit von weniger als einer Sekunde an indem es die Geräte von Endkunden wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen, Heimbatterien und Heizungsanlagen nutzt. Mit dem Award-gekrönten Energiemanagement Systems können die Bedürfnisse der Endkunden wie die Erhöhung der Effizienz sowie des Eigenverbrauchs erfüllt werden. Dazu integriert tiko die Haushaltsflexibilitäten in das Stromnetz und schafft damit innovative, neue Geschäftsfelder.


Das Interview entstand im Zusammenhang mit dem Lifefair Forum «Energiezukunft: Wie kommt die Schweiz zu Inspiration und Power?»

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