Gerold Bührer, Präsident economiesuisse
economiesuisse-Präsident Gerold Bührer.
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Bührer, vom angekündigten Unterstützungspaket des Bundesrates zur Entlastung der am starken Schweizer Franken leidenden Unternehmen in der Höhe von 2 Milliarden Franken sind noch 870 Millionen übrig geblieben. Das Geld soll vor allem in die Arbeitslosenversicherung ALV fliessen (500 Millionen) und Kurzarbeit finanzieren. Zudem gibt es 100 Millionen für den Tourismus. Wie beurteilen Sie die jetzt vorliegende Lösung, welche weiterführende Massnahmen wünschen Sie sich?
Gerold Bührer: Unsere Exportwirtschaft steht wegen des überbewerteten Franken und der sich abzeichnenden Abkühlung der Weltwirtschaft vor grossen Herausforderungen. Nebst dem zentralen Beitrag der Nationalbank steht auch die Wirtschaftspolitik in der Pflicht. Das Unterstützungspaket enthält auch Massnahmen in den Bereichen Technologie, Innovation und Forschung, welche dazu beitragen, unsere Konkurrenzfähigkeit zu stärken. Was fehlt ist jedoch eine Verbesserung der Rahmenbedingung im steuerlichen Bereich. Eine Reduktion der Abgaben und der Unternehmenssteuern ist zentral und wirkt langfristig. Daneben ist es aber auch richtig, auf Massnahmen zu verzichten, die unseren Unternehmen schaden und Arbeitsplätze in der Schweiz gefährden. Ich denke hier beispielsweise an die Verkomplizierung und Behinderung unternehmerischer Abläufe durch ein zu restriktives Aktienrecht oder an die Erhöhung der Energiekosten.
«Seit 2008 haben 13 OECD-Länder ihre Unternehmenssteuern weiter gesenkt.» Gerold Bührer, Präsident economiesuisse
Erwartungsgemäss hat auch der Bauernverband Begehrlichkeiten angemeldet. Economiesuisse hat schon im Sommer in der Diskussion um die Agrarpolitik 2014-2017 die Höhe der Subventionen kritisiert. Zeichen eines härter werdenden Verteilkampfes?
Wir kritisieren die Subventionen primär deshalb, weil sie immer noch zu einem erheblichen Teil in die Strukturerhaltung und nicht in Investitionen in eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft fliessen. Wir befürchten, dass dadurch wertvolle Zeit verloren geht, die in ein paar Jahren fehlen wird.
Fast ebenso erwartungsgemäss kam von der economiesuisse der Ruf nach Steuererleichterung, diesmal in Form eines Verzichts auf das Eintreiben geschuldeter Steuern für wechselkursgeplagte Unternehmen. Wohin andauernde Steuersenkungen führen können zeigt aktuell der Kanton Schwyz, der kaum mehr seine Aufgaben wahrnehmen kann, aber über 100 Millionen für den kantonalen Steuerausgleich aufwendet, damit Empfängerkantone ihre Infrastruktur und Wettbewerbsfähigkeit ausbauen. Sind Sie für solche Marktverzerrungen durch Steuererleichterungen?
Im Vordergrund stand und steht die Unternehmenssteuerreform III. Nebst einer Senkung der Gewinnsteuersätze geht es vor allem um die Beseitigung struktureller Mängel. Es ist eine Tatsache, dass sich der internationale Steuerwettbewerb trotz Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise verschärft hat. Seit 2008 haben 13 OECD-Länder ihre Unternehmenssteuern weiter gesenkt. Die Schweiz muss gerade mit Blick auf das Handicap des überhöhten Frankens im Steuerbereich attraktiv bleiben. Steuern können aber weder im Kanton Schwyz noch sonst wo beliebig gesenkt werden. Trotz Steuersenkungen sind insgesamt die Fiskaleinnahmen gestiegen. Ein „race to the bottom“ hat nicht stattgefunden. Die direkte Demokratie, die Besteuerungsprinzipien der Verfassung und der neue Finanzausgleich sorgen dafür, dass mittelfristig Steuern und öffentliche Leistungen in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen. Von Marktverzerrungen kann daher keine Rede sein. Die Verbindung von Steuerwettbewerb mit gleichzeitigem Finanzausgleich hat sich in der Schweiz sehr bewährt und wird auch im Ausland als Wettbewerbsvorteil gesehen.
Die Reform der Mehrwertsteuer wird zwar von allen begrüsst, wenn es um die konkrete Umsetzung geht, verfallen alle Parteien wieder in die Interessenspolitik. Wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, endlich mit einem einheitlichen Steuersatz und einfachen Regelungen Entlastung zu schaffen?
Ja, wir sind klar für den Einheitssatz. Dadurch können jährlich Verwaltungskosten in der Höhe von über 300 Mio Franken eingespart werden. Dazu kommt, dass problematische wettbewerbsverzerrende Abgrenzungen wegfallen würden.
«Die Personenfreizügigkeit mit der EU hat unsere Wirtschaftskraft gestärkt.»
Die Nationalbank bemüht sich redlich um eine Abschwächung des Schweizer Frankens und konnte kurzfristig auch schon einen ersten Erfolg verbuchen, indem der Kurs gegenüber dem Euro wieder auf über 1.20 stieg. Welche kurzfristigen Massnahmen sehen Sie als vordringlich und wie soll der Franken längerfristig gegenüber dem Euro und US-Dollar tiefer gehalten werden?
Wir begrüssen die Wechselkursuntergrenze für den Euro mit 1.20 Franken. Allerdings ist der Franken auch zu diesem Kurs immer noch deutlich überbewertet. Es ist daher wichtig, dass Politik und Wirtschaft jetzt hinter der Nationalbank stehen.
Eine Ausweitung der Geldmenge durch die Nationalbank wird zeitverzögert fast unweigerlich das Risiko einer Inflation mit sich bringen. Wie kann man sich dagegen schützen?
Selbstverständlich bring die massive Ausweitung der Liquidität Probleme mit sich. In der Güterabwägung hatte die Nationalbank aber keine andere Wahl. Was das längerfristige Inflationspotential angeht, so muss die SNB rechtzeitig die überschüssige Geldmenge zurücknehmen. Die eigentliche Gefahr eine Reflationierung geht aber von den USA aus.
Die Nationalbank hat in rascher Abfolge die Sichtguthaben der Banken von 30 auf 120 Milliarden Franken erhöht und weitere Schritte in Aussicht gestellt. In den USA wurde das vom Staat den Banken zu Verfügung gestellte Geld zur Sanierung der eigenen Bilanzen verwendet, praktisch nichts gelangte zu den Unternehmen und somit in den Wirtschaftskreislauf. Wie wird das in der Schweiz aussehen, wie kann sichergestellt werden, dass das Geld dort ankommt, wo es am dringendsten benötigt wird?
Gegenwärtig verfügen die Schweizer Unternehmen, KMU wie auch multinationale Unternehmen, über einen guten Zugang zu Krediten. Die Bilanzen sind solide. Hier orte ich zumindest vorderhand keine Probleme.
Als in der Finanzkrise in der Schweiz und in ganz Europa die Staaten Banken retten mussten, wurden überall auch massive regulatorische Eingriffe gefordert. Wenig wurde umgesetzt, es werden wieder rekordhohe Boni bezahlt und Banken beteiligen sich munter an den Spekulationen gegen gefährdete Staaten und Währungen. Wurde hier eine Chance verpasst, die Banken zu einer vernünftigen Verhaltensweise zu zwingen, oder muss das als Teil der Marktwirtschaft in Kauf genommen werden?
Es kam ja zu weitgehenden Verschärfungen der Regulierungen und Aufsicht der Banken und Finanzmärkte. Auch die Banken selbst haben ihre Lehren gezogen und ihre Bilanzen weisen heute wesentlich weniger Risiken auf. Dort, wo noch Exzesse und mangelnde Risikokontrollen bestehen, muss von den entsprechenden Instituten gehandelt werden. Was primär verpasst wurde ist eine Sanierung der öffentlichen Haushalte. Bereits vor der Krise waren die Defizite und die Schuldenquoten viel zu hoch.
Auf ungewohnt scharfe Art haben Sie die SVP-Initiative „gegen Masseneinwanderung“ kritisiert da sie unbegründete Ängste schüre, nicht umsetzbar sei und zudem der Schweizer Wirtschaft schade. Wo liegen die grössten Schwächen im bestehenden System der Freizügigkeit und wie wollen Sie diese ausmerzen?
Die Personenfreizügigkeit mit der EU hat unsere Wirtschaftskraft gestärkt. Wir müssen demographische, wirtschaftliche und soziale Aspekte in ihrer Gesamtheit betrachten. Schon nach 10 Jahren ist mit einem Rückgang der Erwerbstätigen in der Schweiz zu rechnen. Wenn dieses mittlere Szenario des Bundesamts für Statistik eintreffen sollte, kann unser Wohlstand nur mit einem offenen und flexiblen Arbeitsmarkt gesichert werden.
Während Deutschland den Atomausstieg im Eilzugstempo vollziehen will, hat in der Schweiz die Ständeratskommission UREK den Bundesrat aufgefordert, die Auswirkungen eines Ausstiegs auf die Wirtschaft, die Versorgungssicherheit und den Klimawandel aufzuzeigen. Zudem soll die technologische Weiterentwicklung verfolgt und ein Wiedereinstieg nicht verunmöglicht werden. Riskiert man mit dem „Spielen auf Zeit“ nicht, dass Alternativen zu wenig vehement verfolgt werden und man zum Schluss keine Alternative zum Atomstrom entwickelt?
Überhaupt nicht. Ich stehe hinter dem Ausbau der neuen Erneuerbaren. Wenn wir aber im Interesse des Klimaschutzes und zur Minderung der geopolitischen Risiken die Fossilen abbauen wollen, dürfen wir die Weiterentwicklung im Nuklearbereich nicht ausblenden. Es geht hier um die Sicherung der Schweizer Energiezukunft. Der von Ihnen erwähnte deutsche Atomausstieg wird in Westeuropa zu einer Verknappung des Stromangebots führen.
«Mit dem Einheitssatz können jährlich Verwaltungskosten in der Höhe von über 300 Mio Franken eingespart werden.»
In Untersuchungen zur Wettbewerbsfähigkeit belegt die Schweiz regelmässig Spitzenplätze. Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein?
Meine Erfahrungen zeigen, dass wir in der Schweiz einen sehr guten Führungsnachwuchs haben.
Ein Mittel, um auch in Zukunft genügend hoch qualifizierte Mitarbeitende zu finden, ist eine gezielte Politik bezüglich Diversity. Wie wichtig ist Diversity bei economiesuisse und welche Massnahmen sind zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
Wir pflegen bei economiesuisse eine offene Kultur. Diese wird letztlich im Interesse des Ganzen überlegen sein.
Welche wichtigsten strategischen Projekte prägen die nächsten zwei Jahre Ihrer Arbeit?
Im Zentrum stehen sicherlich alle Bestrebungen, damit die Blessuren für unsere Wirtschaft aus der Frankenstärke und der weltweiten Abschwächung in Grenzen gehalten werden können. Die Sicherstellung eines liberalen Aktienrechts, einer sicheren und kompetitiven Energieversorgung, einer hohen Innovationskraft und zusätzliche Marktöffnungen sind weitere Schwerpunkte.
Zum Schluss des Gespräches haben Sie noch zwei Wünsche frei. Wie sehen diese aus?
Dass die bewährten Werte, welche hinter dem Erfolg der Schweiz stehen auch in Zukunft ihren Platz haben. Dazu zähle ich einen zukunftsorientierten Unternehmergeist, Verlässlichkeit in Wirtschaft und Politik sowie die bewährte Sozialpartnerschaft.
Der Gesprächspartner:
Gerold Bührer schloss 1972 sein Studium der Wirtschaftswissenschaften (lic.oec. publ.) an der Universität Zürich ab. Nach 17-jähriger Tätigkeit im Finanzbereich der Schweizerischen Bankgesellschaft als Mitglied der Direktion und als Mitglied der Geschäftsleitung der zur SBG gehörenden Fondsgesellschaft war er von 1991 bis 2000 Mitglied der Konzernleitung (Finanzen) der Georg Fischer AG. Seit 2001 ist er als selbständiger Wirtschaftsberater tätig und seit Ende 2006 Präsident von economiesuisse. Gerold Bührer war von 1982 bis 1991 Mitglied des Grossen Rats des Kantons Schaffhausen und von 1991 bis 2007 Nationalrat.
Das Unternehmen:
economiesuisse vertritt die Interessen der Wirtschaft im politischen Prozess und setzt sich für optimale Rahmenbedingungen ein. Zu den Mitgliedern zählen 100 Branchenverbände, 20 kantonale Handelskammern sowie einige Einzelunternehmen. Insgesamt vertritt economiesuisse 30’000 Schweizer Unternehmen aus allen Branchen, die in der Schweiz 1,5 Millionen Angestellte beschäftigen. KMU und Grossunternehmen, export- und binnenmarktorientierte Betriebe. Die Mission von economiesuisse ist die Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für die Schweizer Wirtschaft sowohl für international ausgerichtete Grossunternehmen als auch für KMU. Dazu gehören die Erhaltung des unternehmerischen Freiraums, die kontinuierliche Verbesserung des Produktions- und Forschungsstandorts Schweiz im globalisierten Wettbewerb sowie die Förderung des nachhaltigen Wachstums.
21 internat. Europa Forum Luzern vom 7./8. November 2011
Wege aus der Schuldenkrise
21. internat. Europa Forum Luzern – am 7./8. November 2011 im KKL in Luzern Antworten auf aktuell brennende Fragen und mögliche Wege aus der Schuldenkrise zeigen am 21. Internationalen Europa Forum Luzern vom 7. und 8. November im KKL Luzern Top-Shots aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Am Symposium vom 8. November analysieren hochkarätige Experten die aktuelle Lage im internationalen Kontext. Neben Jürgen Stark und Thomas Jordan sprechen William White von der OECD, der CEO des Euro-Rettungsfonds Klaus Regling sowie Professor Harold James von der Princeton University, USA. Länderexperten wie der Irland-Korrespondent Martin Alioth oder Werner van Gent aus Griechenland beurteilen die ungemütliche Lage aus Sicht der betroffenen Staaten. Über die Situation und Perspektiven der Schweiz, angesichts der dramatischen internationalen Entwicklungen, diskutieren Fritz Zurbrügg, Chef der eidgenössischen Finanzverwaltung, betroffene Wirtschafts-Leader wie Dr. Walter Grüebler sowie Schweizer Finanzwissenschaftler. Am Vorabend wird im Beisein von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf die schweizerische Finanzpolitik im internationalen Umfeld erörtert, während Ökonomieprofessor Bert Rürup die Lage des Euro analysiert. In der anschliessenden Wirtschaftsrunde diskutieren unter anderen Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer, Nationalbank-Vizepräsident Thomas J. Jordan, Patrick Odier, Präsident der Bankier-Vereinigung, und Jürgen Stark, Direktionsmitglied der Europäischen Zentralbank über die Risiken der Schuldenkrise für Europa und die Schweiz. Symposium Dienstag, 8. November 2011 (9 bis 17.15 Uhr) Eintritt CHF 350.00, Weitere Infos und Anmeldung: www.europa-forum-luzern.ch – Öffentliche Eröffnungsveranstaltung Montag, 7. November, 2011 von 17.30 Uhr bis 19. 30 Uhr (gratis – Anmeldung obligatorisch)?
Die ersten sechs Anmeldungen per Mail an [email protected] (Stichwort “Europa-Forum”) können für 280 CHF (statt 350 CHF) am Anlass teilnehmen. Programm und weitere Informationen: www.europa-forum-luzern.ch |