von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr De Winter, wegen der Hagelschäden an Autos und Gebäuden musste die Baloise letztes Geschäftsjahr mit rund 120 Millionen Franken so viel Geld wie noch nie zur Deckung eines einzelnen Schadenaufkommens bereitstellen. Ab wann ist ein Auto ein Totalschaden?
Gert de Winter: Die Sommerunwetter 2021 waren tatsächlich der grösste Schaden in der Geschichte der Baloise. Wir haben netto diesen dreistelligen Millionenbetrag gruppenweit aufgewendet und sind damit unseren Kunden in dieser schwierigen Situation zur Seite gestanden. Das umfasst Hagelschläge, aber auch die Kosten durch die grossen Überschwemmungen. Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt immer dann vor, wenn die Reparaturkosten den Zeitwert überschreiten, und von einem technischen Totalschaden ist hingegen auszugehen, wenn der ursprüngliche Zustand unter keinen Umständen wiederhergestellt werden kann.
Wir wissen schon seit dreissig Jahren, dass die Unwetterschäden laufend zunehmen. Werden sich die inflationsbereinigten Kosten durch Mutter Natur in zehn Jahren verdoppelt haben?
Wir beobachten, dass sich schwere Unwetterereignisse häufen. Gerade in den letzten Jahren ist es vermehrt zu Naturkatastrophen gekommen. Präzise Kostenprognosen sind per se schwierig und Vorhersagen von Natur aus mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Aktuell gehen wir – aus versicherungstechnischer Sicht – nicht von einer Verdopplung der Kosten aus.
«Für die 2022 gestartete strategische Phase «Simply Safe: Season 2″ zielen wir auf eine Schaden-Kosten-Quote von rund 90%. Damit unterstreichen wir, dass die Baloise eines der profitabelsten Nichtlebenportfolios in Europa hat.»
Gert de Winter, CEO Baloise
Ihre Schaden-Kosten-Quote ging um 1,4% nach oben, ist aber mit 92,6% weiter top. Läge unter 90 bei der Baloise prinzipiell drin?
Für die 2022 gestartete strategische Phase «Simply Safe: Season 2» zielen wir auf eine Schaden-Kosten-Quote von rund 90%. Damit unterstreichen wir, dass die Baloise eines der profitabelsten Nichtlebenportfolios in Europa hat. Das schaffen wir durch die konsequente Anwendung unserer operativen Exzellenz, bei welcher wir uns auf profitable und sicherheitsaffine Kunden fokussieren.
Der Gewinn kletterte letztes Jahr um über ein Drittel auf 588 Millionen Franken. Wann wird 2019 getoppt?
Im Geschäftsjahr 2019 profitierten wir von einem einmaligen Steuereffekt von rund 150 Mio CHF. Das Jahr 2021 war somit auch im Vergleich sehr stark. Vor allem das Lebengeschäft hat dank der besseren Kapitalmarkt- und Zinssituation zum sehr guten Gewinn beigetragen. Auch die anhaltenden Optimierungen in diesem Geschäft haben zu diesem Erfolg geführt. Nebst dem buchhalterischen Gewinn legen wir vor allem Wert auf eine starke Cash-Generierung. In den Jahren 2022 bis 2025 wollen wir zwei Milliarden Franken Barmittel erwirtschaften, von denen unsere Aktionärinnen und Aktionäre auch in Form von Dividenden und Investitionen in Innovation profitieren werden.
Mit Spark Works und Sparkademy startete die Baloise vor einem knappen Jahr den Mobility-Accelerator, um Startups mit Ideen in ihrer Frühphase zu fördern und zu unterstützen. Wie zahlen die das als treue Kunden zurück?
Seit 2016 arbeitet die Baloise daran, mehr zu sein als eine traditionelle Versicherung. Neben dem traditionellen Finanzgeschäft – bestehend aus Versicherungs-, Bank- und Asset Management-Dienstleistungen – arbeiten wir aktuell an zwei sogenannte Ökosystemen mit den Fokusbereichen Heim und Mobilität, um neben dem traditionellen Kerngeschäft neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Die Idee ist, Dienstleistungsnetzwerke zu erschaffen, die unter anderem der Versicherungs- und Finanzdienstleistung vor- oder nachgelagert sind.
Die Ökosysteme ergänzen also das traditionelle Versicherungsgeschäft, da die eigentliche Versicherungsleistung durch Kundinnen und Kunden quasi im Vorbeigehen bezogen werden kann – oder diese ist bereits in den Angeboten mitenthalten. So machen wir unsere Kunden einfach sicher. Um diese Ökosysteme aufzubauen, halten wir uns an einen disziplinierten Innovationsansatz – unseren «Innovationfunnel». In dessen Logik investieren wir in Startups, akquirieren wenn sinnvoll, inkubieren oder gründen gleich selber. Auch Partnerschaften sind wichtig, um erfolgreiche Ökosysteme aufzubauen. Die erwähnten Acceleratoren helfen uns dabei, Startups – die in unsere Ökosysteme passen – früh zu erkennen und ihnen beim Geschäftsaufbau zu helfen.
«Als innovatives Unternehmen zu gelten, das Neues ausprobiert im Versicherungsgeschäft und darüber hinaus wächst, hilft sicherlich.»
Das klingt alles sehr modern. Hilft Ihnen dieses hippe Image jüngere Kunden anzusprechen?
Wir haben in den letzten fünf Jahren über eine Million neue Kunden dazugewonnen, darunter auch viele junge Kunden. In der Schweiz haben wir für sie unter dem Namen «younGo» eine spezielle Angebotspallette lanciert. Kunden bis dreissig können hier von vollwertigen und einfachen digitalen Dienstleistungen zu Vorzugspreisen profitieren. Neben der Kundenattraktivität macht uns unser Image auch als Arbeitgeberin sehr interessant. Ziel ist, bis 2025 zu den fünf Prozent der attraktivsten Arbeitgeberinnen in Europa zu gehören. Als innovatives Unternehmen zu gelten, das Neues ausprobiert im Versicherungsgeschäft und darüber hinaus wächst, hilft hier sicherlich.
Wie unterscheiden sich die Neukunden sonst noch von Ihren Bestandskunden?
Wir hatten und haben ein sehr breites Kundenportfolio, da wir auch eine breite Dienstleistungspallette anbieten. Für mich ist es deshalb nicht so wichtig, wie sich die Kunden unterscheiden, sondern was sie gemeinsam haben: Den Wunsch nach Sicherheit in allen Lebenslagen und eine Versicherungspartnerin, die dank ihres kundenzentrierten Ansatzes diesem Wunsch unkompliziert nachkommt.
Mit einer durchschnittlichen Reduktion der Zinsgarantie von 1,6 auf ein Prozent im Lebensversicherungsmix setzt die Baloise immer mehr auf den Verkauf von Geschäften mit Anlagecharakter. Wie sichern Sie diese Produkte ab?
In den letzten zehn Jahren haben wir den Geschäftsmix im Lebengeschäft kontinuierlich verbessert. Aufgrund der Zinssituation werden zunehmend anlagegebundene Produkte angeboten. Das heisst, die Versicherungsnehmer partizipieren an den Anlagegewinnen und tragen im Gegenzug das Investitionsrisiko.
Bei Anlagen auf Versicherungsgelder ist die Baloise seit langem sehr konservativ unterwegs. Sind Ihnen 2.2 Prozent nicht zu wenig?
Im aktuellen Umfeld sind wir mit einer Anlagerendite von 2.2% sehr zufrieden. Wir können langfristig unsere Zinsverpflichtungen bedienen und haben eine ausbalancierte Asset Allocation, die auch in Krisenzeiten eine zuverlässige Rendite bietet. Hierin sehe ich auch unseren Auftrag: Lieber etwas konservativer, aber dafür sicher. Denn wir haben langfristige Versprechen unseren Kunden gegenüber. Deshalb müssen wir langfristig denken, agieren und investieren.
«Lieber etwas konservativer, aber dafür sicher. Denn wir haben langfristige Versprechen unseren Kunden gegenüber.»
In diesem und dem nächsten Jahr werden grössere Anleihepositionen fällig. Ärgert es Sie, dass es gerade jetzt an der Zinsfront zu einem kräftigen Schluckauf gekommen ist?
Nein. Zum einen haben wir zu Beginn des Jahres bereits einen grossen Teil der in diesem Jahr anfallenden Fälligkeiten zu sehr guten Konditionen vorab refinanziert. Hier hatten wir zeitlich ein gutes Händchen.
Zum anderen sind wir nicht nur Emittent, sondern insbesondere auch Investor. Die Versicherungsindustrie ist eine der Branchen, die insgesamt tendenziell von steigenden Zinsen profitiert, da die Wiederanlage unserer Investments zu besseren Konditionen erfolgen kann als dies in der jüngsten Vergangenheit der Fall gewesen wäre. Auf der Anlageseite war das Null- beziehungsweise Negativzinsumfeld eine grosse Herausforderung. Der Zinsanstieg erleichtert uns hier die Kapitalanlage.
Sie erwähnten bereits die 2022 gestarteten zweite Runde Ihres langfristigen Strategie Rollouts «Simply Safe». Sehen Sie bereits eine erste Frucht reif werden?
Ha! Wir sehen viele Früchte reifen. Die erste strategische Phase war von Erfolg gekrönt. Wir haben schon ’mal, wie erwähnt, eine Million Neukunden gewonnen, über zwei Milliarden Cash generiert, sehen in der Tendenz, dass unsere Bemühungen fruchten, zu den attraktivsten Arbeitgeberinnen in der Branche zu gehören. Ausserdem konnten wir das Prämienvolumen im Nichtlebengeschäft um fast 30% steigern und haben die durchschnittliche Marge in diesem Geschäft um zwei Prozentpunkte verbessert. Im Lebengeschäft haben wir uns erfolgreich an das leidige Niedrigzinsumfeld angepasst und im Durchschnitt einen jährlichen EBIT-Beitrag von 320 Millionen erzielt.
Wir haben eine starke Bilanz, sind innovativer geworden, in neue Geschäftsbereiche vorgestossen und haben mit dem Aufbau von Ökosystemen begonnen. Von diesen Erfolgen profitieren übrigens auch die Aktionäre mit einer Dividendensteigerung von durchschnittlich 6% pro Jahr von 2016 bis 2021 und einem Total Shareholder Return von 51%.
Die Anzahl assoziierter Unternehmen hat sich in den letzten Jahren erhöht. Was planen Sie da demnächst wieder Spannendes?
Wir arbeiten laufend am Ausbau unserer Ökosysteme Heim und Mobilität sowie an der Optimierung unseres Kerngeschäfts durch Innovationen. Teil dieser Strategie ist unter anderem die Beteiligung an, beziehungsweise die Gründung von Startups, die in diese Dienstleistungsnetzwerke passen oder das Kerngeschäft verbessern. Diese Aktivitäten spiegeln sich auch im Volumen an assoziierten Unternehmen wider. In den Ökosystemen wollen wir eine aktive Rolle wahrnehmen und das Leben für unsere Kunden dank mehrwertstiftenden Services einfacher machen. Jüngst haben wir deshalb zum Beispiel in das dänische Peer-to-Peer Carsharingunternehmen GoMore investiert, das nun seine Dienstleistungen auch in der Schweiz anbietet.