Hans Michael Kellner, CEO Messer Schweiz AG
Hans Michael Kellner, CEO Messer Schweiz AG. (Bild: Messer Schweiz AG)
von Bob Buchheit
Moneycab: Herr Kellner, durch Sauerstoffverpackung wird die Erhaltung des roten Muskelfarbstoffes in Frischfleisch um mehrere Tage verlängert. Das ist ein Beispiel für die Anwendung von Industriegasen. Welches ist denn Ihr persönliches Lieblingsbeispiel für die vielen Industriegase, die Messer Schweiz seinen Kunden liefern kann?
Michael Kellner: Mich fasziniert das Gas Kohlendioxid am meisten. Das als umweltfeindlich geltende Gas kann für so viele umweltfreundliche Verfahren eingesetzt werden und verhindert den Einsatz von wirklich gefährlichen Stoffen. Die Abwasserneutralisation mit CO2 zum Beispiel verhindert, dass Abwässer mit einen zu hohen pH-Wert in Gewässern eingeleitet werden. Wir sorgen dafür, dass Kohlendioxid erst einen positiven Beitrag macht, bevor es in die Atmosphäre geht. In fester Form wird er in Konzerten, wie neulich das von der Sängerin „Lady Gaga“, eingesetzt. Das sorgt für die entsprechende nebelige Atmosphäre und Freude bei dem Publikum.
Welches Industriegas verkaufen Sie umsatzvolumenmässig am meisten und welches ist das teuerste?
Stickstoff, das mit 78% in der Luft enthalten ist, ist wegen seiner inerten Eigenschaft das meist eingesetzte Gas. Es schützt und konserviert Lebensmittel, verhindert Brände und andere unerwünschte Reaktionen.
Das teuerste Gas ist das Edelgas Krypton. Aber auch Xenon und Neon gehören zu den teuren Gasen. Diese kann man nur aus der Luft gewinnen. Krypton ist in der Luft mit 1 ppm (das sind 0,0001 %) enthalten und sehr aufwendig zu extrahieren.
Gibt es in Ihrer Branche auch mal Probleme mit fanatischen Umweltaktivisten?
Nein. Das liegt daran, dass kaum eines unserer Gase umwelt- oder gesundheitsgefährdend ist und zudem wir sehr hohe Sicherheitsstandards haben, die weit über den gesetzlichen Anforderungen liegen. In diesem Bereich ist unsere Branche vorbildlich: Sicherheitsfragen stehen stets über Marktinteressen. Hierfür wurden starke Verbände und Vereinigungen aufgebaut. Damit ist unsere Branche in 100 Jahren positiv aufgefallen.
«Statistisch gesehen sind wir eine der sichersten Branchen.»
Hans Michael Kellner, CEO Messer Schweiz AG
Risikomanagement wird bei Messer grossgeschrieben. Was wäre dennoch ein Beispiel für einen sehr unerwünschten Zwischenfall?
Wie für jeden Betrieb ist ein Brand auf dem Werksgelände äusserst unangenehm. Auch wenn unsere Gebinde sehr hohe Temperaturen ertragen können, sind einige wenige unserer Produkte bei hohen Temperaturen empfindlich. Glücklicherweise sind wir für solche Fälle sehr gut vorbereitet.
An Beatmungsgase und Narkosegase im Krankenhaus werden hohe Qualitätsansprüche gestellt. Wie oft wird im Produktionszyklus dieser Gase kontrolliert, bis sie in der Luftröhre der Patienten landen?
Sie können sich gar nicht vorstellen, welch ein Aufwand getrieben wird, um die Sicherheit des Patienten sicherzustellen. Das Gas wird an vielen Stellen während der Produktion, aber auch beim Umfüllen regelmässig gemessen. Dabei wird nicht nur die Reinheit kontrolliert, sondern auch zahlreiche Begleitkomponenten. Auch die Behandlung von Flaschen und Geräten erfolgt nach strikten Kriterien. Zusätzlich überwacht uns noch die Behörde.
Wie viel Geld müssen Sie für Versicherungen ausgeben?
Die Ausgaben für Versicherungen liegen nicht höher wie bei anderen Unternehmen unserer Grösse. Von uns geht nicht so eine grosse Gefahr aus wie man vermutet. Statistisch gesehen, sind wir eines der sichersten Branchen.
Wie viel Vorlaufzeit haben im Schnitt Ihre Produktionszyklen?
Unsere Produkte benötigen kaum Vorlaufzeit, wenn alle Rohstoffe und Hilfsmittel vorhanden sind. Wir können von einem Tag auf den anderen die gewünschten Mengen produzieren.
Gibt es, von der Muttergesellschaft in Deutschland kommend, in den nächsten Jahren interessante Neuentwicklungen?
Auch wir tragen unsere Beiträge zur Umweltschonung und zur Förderung erneuerbare Energie. So entwickeln wir zur Zeit ein Verfahren, dass es ermöglicht, überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie zu speichern. Das wird durch Nutzung der Aggregatzustandsänderung von Gasen möglich. Ein Pilotprojekt ist bereits realisiert.
Wie entwickelt sich bei Messer Schweiz das Geschäft mit den Dienstleistungen? Läuft da der Trockeneisservice der ASCO Kohlensäure AG am besten?
Da sprechen Sie etwas an. Gerade der Dienstleistungsbereich entwickelt sich gut. Fachkompetenz, Beratung und aktive Unterstützung bei der Optimierung von Produktionsprozessen sind stark gefragt. Besonderes Interesse gilt, dank unserer Live-Vorführungen, unseren Sicherheitsschulungen. Aber auch Softwarelösungen für eine schnellere und unkomplizierte Abwicklung werden immer beliebter.
Der Trockeneisservice unserer Tochtergesellschaft ASCO Kohlensäure AG expandiert weiter. Nun kann man neben Romanshorn auch in Muttenz vom Trockeneisservice profitieren. Der dritte Standort ist bereits in Planung. Sogar eine App haben wir hierfür entwickelt, die ab November verfügbar sein wird.
«Einen Gang an die Börse wird es nach meiner Einschätzung nicht geben.»
Air Liquide, Linde, das sind Firmen, die Industriegase herstellen und an der Börse ihren Anlegern viel Freude bereiteten. Ein Going Public von Messer Deutschland wäre sicherlich denkbar, aber ich nehme an Sie schätzen die Stabilität eines Familienunternehmens, oder?
Das ist die grosse Stärke von Messer: Der Familiencharakter. Diesen pflegen wir auch mit den Kunden. Nicht alles ist immer streng nach Wirtschaftlichkeit entschieden, um Aktionären zu gefallen. Wir leben auch Visionen und suchen den gemeinsamen langfristigen Erfolg mit unseren Partnern. Einen Gang an die Börse wird es nach meiner Einschätzung nicht geben.
Da der Kauf von Industriegasen von Kunden kaum auf die lange Bank geschoben werden kann, dürften Sie die momentane Konjunkturdelle kaum spüren, oder?
Leider trifft das so nicht zu. Es ist war, dass das breite Branchenspektrum unserer Kundschaft uns eine stabilere Geschäftsentwicklung ermöglicht, aber bei der aktuellen Konjunktur sind auch wir betroffen. Der grösste Teil der Gase geht zu Produktionsbetriebe der Metallverarbeitung. Diese sind in der Schweiz stark exportorientiert. Der geschwächte Euro-Raum mit dem ungünstigen Wechselkurs sorgt für geringere Exporte. Das setzt die Produktion herab und somit auch der Gasverbrauch.
Inwieweit betreibt ihr Marketing für gewisse Produkte eine Push-Strategie?
Die Schweiz ist stark bei Innovationen und High-Tech-Produkte. Wir möchten durch unsere Innovationen und technischen Entwicklung unseren Beitrag leisten die grosse Stärke der Schweiz aufrecht zu erhalten. Auch die Qualitätsstandards werden immer wieder angehoben. Das ist unser Anspruch.
Welches Produkt wird in den nächsten Jahren das grösste Volumenwachstum haben?
Es werden nach wie vor die Luftgase Stickstoff, Sauerstoff und Argon sein. Und innerhalb dieser wird Stickstoff stets die Spitzenposition einnehmen. Hier entwickeln sich die Anwendungsmöglichkeiten auch am stärksten. Auch ist es das meistverwendete Gas.
Zur Person:
Dr.-Ing. Hans Michael Kellner (geb. 19. Sept. 1965) ist in Barcelona aufgewachsen. Nach Studium und Forschungstätigkeit der Energie- und Verfahrenstechnik an der Universität Essen (1985 – 1991), promovierte er bis 1996 im Bereich Verfahrenstechnik
in Zusammenarbeit mit der Carbo Tech Anlagenbau GmbH. Vor Antritt bei Messer arbeitete er als Marketing- und Verkaufsleiter bei der Sauerstoffwerk Friedrichshafen GmbH (Germany), einem Hersteller von technischen, medizinischen und Lebensmittelgasen. In 9 Jahren konzentrierte er sich hier auf die strategische Entwicklung des Gasgeschäfts in Deutschland mit Schwerpunkt auf medizinische und Lebensmittelgase. Bei Messer stieg er als Leiter Marketing und Verkauf bei der Messer Schweiz AG ein. Seit 2012 ist Kellner Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats bei der Messer Schweiz AG in Lenzburg und auch Vizepräsident des Industriegaseverbands Schweiz (IGS) in Zürich.
Zum Unternehmen:
Die Geschichte der Messer Schweiz AG in Lenzburg, ehemals „Sauerstoffwerk Lenzburg AG“ (Suurstoffi)“, hat ihren Ursprung 1891 mit der Gründung der Firma „C.A. Scharpff, Cartonfabrik Lenzburg“. Im Jahr 1911, wurde als zweites Standbein das Sauerstoffwerk gegründet und mit der Produktion von Sauerstoff begonnen. 1971 begann die Zusammenarbeit mit dem weltweit tätigen grossen deutschen Konzern MESSER Griesheim. Im Jahr 2003 wurden die restlichen Firmenanteile übernommen. Die Umfirmierung in Messer Schweiz AG erfolgte dann 2005.
Heute besteht die Messer Schweiz AG aus drei zentralen Bereichen: 1. dem hochmodernen Flaschenabfüllwerk, die Produktionsanlage für Wasserstoff, dem Umschlagplatz für flüssig Helium und das Spezialgasewerk am Hauptsitz in Lenzburg, 2. der neuen Luftzerlegungs-anlage für Sauerstoff, Stickstoff und Argon in Visp im Wallis sowie 3. der ASCO Kohlensäure AG als kompetenter Anbieter rund um Kohlendioxid und Trockeneis in Romanshorn und beschäftigt in der Schweiz 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Auslieferungen der Gase an die Kunden erfolgen ab Werk Lenzburg und durch 34 regionale Vertriebspartner. Messer Schweiz bietet seinen Kunden die verschiedensten Gase, insbesondere die Luftgase (Stickstoff, Sauerstoff und Argon), Helium, Kohlendioxid, Wasserstoff und eine Vielzahl von Gasgemischen in unterschiedlichen Qualitäten und Lieferformen, angefangen von Druckdosen über Druckgasflaschen in allen Grössen bis hin zur On-Site-Anlage an.