Hans Wiedemann, Hoteldirektor «Badrutt’s Palace» St. Moritz
Interview aus dem SMG Magazin «management»
(Text: Dave Hertig, Fotos: Nici Jost SMG «management»)
Hans Wiedemann, Sie sagen: Wer spitze sein will, in dem muss ein Feuer lodern. Wofür brennt Ihr Feuer?
Ich liebe es, jemandem einen Wunsch abzulesen, bevor er ausgesprochen ist. Und das Grösste für mich ist es, wenn jemand bei der Abreise sagt, der Aufenthalt sei eine Wucht gewesen. Das ist mein Hauptantrieb.
Zeichnete sich das bereits während der Kindheit ab?
Ja, meine Eltern waren Ärzte und das hätte mir eigentlich auch zugesagt. Doch ich wollte nicht mit dieser Verantwortung leben, da es oft um Leben und Tod geht. Klar war, dass ich in einem Service-Beruf arbeiten möchte. Als ich 15 war, gab mein Grossvater einen Cocktail und das Personal tauchte nicht auf. Ich sprang ein und bediente die 60 Gäste im Alleingang.
Es folgte eine internationale Karriere. 1995 kamen Sie und Ihre Familie nach Montreux, um das dortige «Palace» auf Vordermann zu bringen. Wollten Sie damals zurück indie Schweiz?
Eigentlich nicht. In Australien führte ich zu jenem Zeitpunkt fünf Hotels und 2000 Angestellte. Und für die Familie bedeutete es, sich nach Australien und Asien auch noch in eine dritte Kultur einzuleben. Ich überlegte lange.
Sie entschieden sich letztlich für Montreux. Neun Jahre später wechselten Sie nach St. Moritz. Im «Badrutt’s Palace» stand der nächste Neuanfang auf dem Plan. Sind Sie ein Turnaround-Manager?
Als geborenen Troubleshooter habe ich mich nie gesehen. Ich hatte einfach das Glück, zweimal einen Turnaround schaffen zu können.
Martha Wiedemann, Ihre Frau, ist Inderin. Wie steht sie zu St. Moritz?
Dass wir hier sind, hat viel mit ihr zu tun. Sie kannte das «Palace» aus Filmen und war ganz begeistert vom Haus mit den Türmen. Als wir in den Achtzigern erstmals Europa bereisten, wollte sie es unbedingt sehen. Wir stiegen allerdings in Savognin ab. In einem einfachen Hotel, das unserem Budget entsprach. Es klingt wie ein Märchen, dass wir inzwischen im «Palace» leben.
Teil des Märchens ist, was 2009 geschah. Das kinderlose Besitzerpaar Hansjürg und Anikó Badrutt setzt Sie, den Angestellten, als «Palace»-Erben ein. Wie war das für Sie?
Hansjürg kam in mein Büro und fragte, ob ich einen Moment Zeit hätte. Ich sagte Nein. Er liess sich nicht beirren und zog die Tür hinter sich zu. Das hatte er noch nie getan. Dann sagte er es mir. Ich war sprachlos, stand total neben den Schuhen und fand ein paar Tage lang kaum mehr Schlaf.
«Wir lachen seit unserem ersten Treffen viel zusammen. Doch bei aller Übereinstimmung: Dieses Vertrauen hat mich umgehauen.»
Hansjürg Badrutt sagt, Sie würden einander blind vertrauen, hätten die gleiche Wellenlänge, denselben Humor.
Wir lachen seit unserem ersten Treffen viel zusammen. Doch bei aller Übereinstimmung: Dieses Vertrauen hat mich umgehauen.
Sie sind ein Weltbürger und erst 57. Sie könnten Ihre Karriere an den spannendsten Orten des Planeten fortführen. Sie ziehen jedoch das Bergdorf vor?
Ich habe das Glück, dass die Familie sich hier zu Hause fühlt. Meine Frau bringe ich nie mehr von St. Moritz weg. Vielleicht hat das damit zu tun, dass man in der indischen Kultur einmal im Leben so hoch wie möglich gehen soll. Je höher, desto besser. Aus diesem Grund reisen die Inder ja auch alle auf das Jungfraujoch und berühren dort den Schnee.
Weltstädte und andere Kulturen locken Sie nicht mehr?
Nein, ich habe im Hotelfach von unten bis oben alles gesehen und gemacht. Für mich geht es nicht mehr um die Karriere, sondern um eine Passion, die ich ausleben will. Da spielt auch das Verantwortungsgefühl mit. Wenn es keine Leute wie mich mehr gibt, werden diese besonderen Hotels sterben oder von Ketten geschluckt. Zudem ist St. Moritz einfach sehr, sehr schön. Wenn der Herbst kommt mit den farbigen Bäumen, da flippen wir fast aus.
Dann werden Sie also hier pensioniert respektive gehen eben gar nie in Rente?
Ich bleibe im «Palace», bis ich umfalle, wenn ich darf – und ich hoffe, ich falle noch lange nicht um. Bei uns ist alles auf das Hotel ausgerichtet. Nach Stationen in Adelboden und Kuwait arbeiten unser Sohn und seine Frau seit dem Sommer im Haus. Unsere Tochter hat soeben die Hotelfachschule Lausanne begonnen. Nach Martha und mir wird es weitergehen.
«St. Moritz ohne «Palace», das können Sie vergessen, und umgekehrt kann es das «Palace» mit seiner speziellen Atmosphäre nur hier geben.»
War das eine Bedingung des Ehepaars Badrutt in Bezug auf die Erbschaft?
Sie machten mir keine Auflagen. Ihr Anliegen ist, dass das Haus im Sinne ihrer Familientradition weitergeführt wird. Deshalb sprechen wir nicht von einer Erbschaft, sondern von einer Vermachung.
Wenn es keine Bedingungen gibt, könnten Sie das Hotel auch irgendwann verkaufen und sich einen schönen Lebensabend machen, nicht?
Obwohl es keine Auflagen gibt, käme ein Verkauf für mich nie in Frage. Ich war mehrmals dabei, als Hansjürg Badrutt in der Eingangshalle Kaufinteressenten empfing. Die nannten auch mal Fantasiepreise von 500 Millionen Dollar. Er sagte Nein. Wir sprechen hier immerhin von gut 150 Jahren Familientradition!
Braucht St. Moritz das «Palace», um St. Moritz zu sein?
St. Moritz ohne «Palace», das können Sie vergessen, und umgekehrt kann es das «Palace» mit seiner speziellen Atmosphäre nur hier geben. Hier gehören wir hin und hier tragen wir eine soziale Verantwortung. Nach der Ems Chemie und dem Südostschweiz Verlag sind wir der drittgrösste Bündner Arbeitgeber.
Muss das Haus ein Familienunternehmen sein, um der Tradition gerecht zu werden?
Ja. Mit den Worten von Hansjürg Badrutt: «Das ‹Palace› muss in St. Moritz bleiben.»
Sie sprachen vorhin vom Umfallen. Im April 2010 schwebten Sie in Lebensgefahr. Erst die Rückenschmerzen, dann Komplikationen beim Hubschraubertransport zum Spital. Dort fielen Sie vom Bett und brachen sich die Schulter. Später wurde der Hirntumor entdeckt. Wie geht es Ihnen heute?
Der Tumor war gutmütig, die Knochen sind verschraubt. Ich habe kurz die andere Seite angeschaut und mich dann entschieden, am Leben zu bleiben. Es geht mir wieder gut. Am Kopf habe ich nun halt diese Delle, doch die ist praktisch, wie eine «Dachrinne»: Wenn es regnet, läuft das Wasser seitlich ab.
Ihr Humor nahm keinen Schaden. Hat sich für Sie etwas verändert?
Ich weiss jetzt, dass ich nicht unsterblich bin. Im Spital hatte ich zehn Wochen Zeit. Da wird einem klar, dass man das Leben Tag für Tag nehmen soll. Alles, was ein bisschen länger ist, ist Zugabe.
Hans Wiedemann
Im vergangenen Jahr kürte das Fachmagazin «Hotel» – die internationale Branchenbibel – Hans Wiedemann zum «Independent Hotelier of the World 2009». Der 1953 in Basel geborene schweizerisch-australische Doppelbürger ist mit der Inderin Martha Wiedemann verheiratet. Das Paar hat zwei Kinder, Raphael (28 Jahre) und Rebecca (20). Hans Wiedemann startete seine Karriere mit der Service-Lehre im Schloss Binningen. Nach mehreren Schweizer Stationen und dem Besuch der Hotelfachschule Lausanne führte er 15 Jahre lang Hotels in China und Australien. 1995 kam er mit seiner Familie in die Schweiz und leitete das «Montreux Palace», das damals Nestlé und Swissair gehörte. 2004 übernahm Wiedemann in St. Moritz die Direktion des «Badrutt’s Palace». 2009 wurde er vom Besitzerpaar Hansjürg und Anikó Badrutt als «Palace»-Alleinerbe eingesetzt.