von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Kottmann, Clariant entwickelt sich immer mehr von einem Spezialchemieunternehmen zu einem Chemievermeidungsunternehmen. Will heissen, weniger Chemie respektive der gezielte und vernünftige nachhaltige Umgang mit ausgeklügelten Chemikalien stehen im Vordergrund. Wie schlägt sich das in den Margen nieder?
Hariolf Kottmann: Clariant ist und bleibt ein Spezialchemieunternehmen, und zwar eines, das konsequent sein Ziel verfolgt, zu den weltweit führenden Unternehmen der Branche zu gehören. Natürlich hat es in der chemischen Industrie insgesamt einen Wandel gegeben. Unternehmen wie Clariant konzentrieren sich immer mehr auf margenstarke Segmente, um gegenüber den Billiganbietern wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Entwicklung kann auch bei Clariant beobachtet werden. Wir haben unser Portfolio stärker auf Segmente mit höheren Margen wie Anwendungen für den Körperpflege- und Haushaltsbereich ausgerichtet, die sich deutlicher an den Endverbraucher wenden. Und hier beobachten wir in der Tat einen steigenden Bedarf an nachhaltigen Produkten, der nur durch entsprechende Innovationen bedient werden kann. Wir machen also durchaus nicht weniger Chemie, sondern wir machen Chemie nachhaltiger.
Wo liegen die ganz langfristigen „nachhaltigen“ Margenziele?
Auf lange Sicht haben wir das Ziel, uns im oberen Viertel der Spezialchemiebranche zu etablieren. Da die äusseren Bedingungen ständig im Wandel sind, verknüpfen wir diese langfristige Entwicklung nicht mit einem Margenziel. Allerdings haben wir uns klar definierte mittelfristige Ziele gesetzt, die bei einem breiten Spektrum von Themen – wie Innovation, Wachstum, Kapitalrendite, Cashflow und Nachhaltigkeit – den Kurs vorgeben. Ein zentrales finanzielles Ziel ist dabei, eine EBITDA-Marge vor Sondereinflüssen von 16 bis 19 Prozent zu erreichen, was aus heutiger Sicht einem Rang im oberen Viertel der Branche entspricht. Hier haben wir in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und die Marge zuletzt von 14,7 in 2015 auf 15,2 Prozent in 2016 gesteigert.
Auch Clariants grosser Zukunftsmarkt ist China. Dort liegt in punkto Nachhaltigkeit und Umweltschutz vieles im Argen. Was verkaufen Sie im Reich der Mitte am besten?
Obwohl China im Bereich Nachhaltigkeit sicherlich einiges aufzuholen hatte, bin ich der Meinung, dass das Land in Sachen Nachhaltigkeit derzeit zu einem der aktivsten der Welt gehört. Im jüngsten Fünfjahresplan zum Beispiel werden »grüne« Entwicklungen gezielt gefördert, und Ministerpräsident Li Keqiang hat beim Nationalen Volkskongress von 2017 raschere Fortschritte bei der Verringerung der Luftverschmutzung versprochen. Für Clariant spiegeln sich diese Entwicklungen in einer gesteigerten Nachfrage nach Produkten mit Nachhaltigkeitsvorteilen wider. Dazu gehören zum Beispiel Katalysatoren, die eine effizientere und umweltverträglichere Herstellung von Düngemitteln ermöglichen. Ein anderes Beispiel ist unsere Low-Emission-, kurz: LE-Technologie, die eine Kombination aus speziellem Graphit und Dispersionsmitteln zur Reduzierung von Giesserei-Emissionen nutzt.
«Obwohl China im Bereich Nachhaltigkeit sicherlich einiges aufzuholen hatte, bin ich der Meinung, dass das Land in Sachen Nachhaltigkeit derzeit zu einem der aktivsten der Welt gehört.»
Hariolf Kottmann, CEO Clariant
Der Rohölmarkt hat nach oben gedreht. Nach der Übernahme vom letzten Jahr in Nordamerika dürften die Einnahmen bei Oil & Mining Services (OMS) sprudeln, oder?
Der Ölpreis hat sich im Laufe des vergangenen Jahres nach und nach erholt, was entsprechend zu einem leichten Anstieg der Branchenaktivität geführt hat. Dennoch bleiben wir vorsichtig, was Vorhersagen zu zukünftigen Entwicklungen angeht, da der Markt nach wie vor mit vielen Herausforderungen zu kämpfen hat. Wir sehen 2017 als ein Übergangsjahr. Insgesamt sind wir zuversichtlich, dass wir mit unserer Strategie auch in Zukunft Mehrwert für Kunden schaffen werden. Wir werden uns weiterhin auf Technologien konzentrieren, mit denen sich Effizienz, Nachhaltigkeit und Sicherheit verbessern lassen, und erwarten, einen entsprechenden Ergebnisbeitrag aus unseren jüngsten Übernahmen ziehen zu können. Deren Eingliederung ist auf einem guten Weg.
Clariant hat heute vier Geschäftsfelder: Care Chemicals, Catalysis, Natural Resources sowie Plastics & Coatings. Welcher dürfte ab 2020 die höchsten Wachstumsraten haben?
Das wirtschaftliche Umfeld ist viel zu unsicher, um konkrete Prognosen abzugeben, die so weit in die Zukunft reichen. Aus heutiger Sicht sehen wir vor allem Wachstumspotential in Natural Resources und Catalysts, auch Care Chemicals dürften in den nächsten Jahren Wachstum zeigen. Unser Ziel ist es, langfristigen Mehrwert für all unsere Stakeholder zu schaffen, und entsprechend werden wir unsere Geschäfte führen. Auf Veränderungen des Umfeldes werden wir angemessen reagieren.
«Trotz unsicherem Umfeld, volatilen Preisen und Währungen sowie politischen Unsicherheiten gehen wir davon aus, auch in 2017 unsere Ziele zu erreichen.»
2016 war für Clariant der Wendepunkt im operativen Cashflow zum Guten. Viele Anleger hoffen, dass sich das nun auch im absoluten Gewinn pro Aktie niederschlägt. In den letzten Jahren gab es da immer wieder unerwartete Querschläger von aussen. Wo orten Sie für 2017 Gefahren?
Die Aktie hat sich durchaus positiv entwickelt. Was den „Total Shareholder Return“ betrifft, können wir mit den Mitbewerbern gut mithalten. Unsere Dividende haben wir seit 2011 jedes Jahr erhöht, im Durchschnitt um 8,5 Prozent. Und natürlich arbeiten wir daran, Schritt für Schritt die Sondereinflüsse zu reduzieren. Auch wenn wir weiterhin mit einem unsicheren Umfeld, volatilen Preisen und Währungen sowie mit politischen Unsicherheiten zu tun haben werden, gehen wir davon aus, auch in 2017 unsere Ziele zu erreichen.
Im 2016 investierte Clariant 77 Millionen weniger in Sachanlagen. Wie passt das zu den vielen Produktlancierungen?
Zunächst einmal bin ich froh über die vielen neuen Produkte, die wir lancieren. Das zeigt, dass unsere Investitionen in F&E und Innovation die gewünschten Ergebnisse liefern. Was unsere Investitionen in Sachanlagen angeht, ist es unser Ziel, vernünftige und realistische Beträge zu investieren, mit denen wir unsere Wachstumsambitionen umsetzen können. Wenn Sie von dem Jahr 2015 einmal absehen, in dem eine neue Anlage in den USA zusätzliche Kosten verursacht hat, werden Sie erkennen, dass unsere Investitionen in Sachanlagen ziemlich stabil geblieben sind und bei etwa 300 Millionen Schweizer Franken pro Jahr liegen.
Sehr lange dürfte das günstige Finanzierungsfenster am Fremdkapitalmarkt für Unternehmen wegen der sich abzeichnenden Zinswende nicht anhalten. Spielen Sie vielleicht mit dem Gedanken, einen Geldvorrat anzulegen, oder sind Ihre syndizierten Kreditverträge besser als eine allfällige Unternehmensanleihe?
Clariant verfügt derzeit über eine solide Liquiditätslage. Das Unternehmen finanziert sich in der Regel nicht auf Vorrat, sondern nur dann, wenn echter Finanzierungsbedarf besteht. Der im Dezember 2016 abgeschlossene Syndikatskredit über 500 Millionen Franken dient Clariant als Liquiditäts-Reserve. Die Laufzeit beträgt 5+1+1 Jahre. Der Syndikatskredit ist ökonomisch günstiger als Reserve-Cash zu halten.
Mit dem Einstieg bei der südkoreanischen BioSpectrum hat Clariant ein klares Bekenntnis zu natürlichen Rohstoffen abgeliefert. Ist das ein grösserer Wachstumsmarkt als die organische Chemie?
In manchen Segmenten gibt es eine grössere Nachfrage nach natürlichen Inhaltsstoffen, verallgemeinern lässt sich das jedoch nicht. Wo wir steigenden Bedarf an nachhaltigen Produkten sehen, ist zum Beispiel der Körperpflege- und Haushaltsbereich. Hier bietet Clariant auch eine Auswahl an Lösungen an, die auf natürlichen Inhaltsstoffen basieren. So ist Zucker der Grundstoff für bestimmte Tenside, die in der Haut- und Haarpflege eingesetzt werden. Dennoch dürfen Sie nicht vergessen, dass sich ein erheblicher Teil der Produkte auf die organische Chemie stützt. Und das wird sich in der absehbaren Zukunft auch nicht ändern.
«Wir fokussieren uns auf kleine und mittlere Zukäufe.»
Bei flüssigen Mitteln von einer Milliarde (Stand Ende 2016) stellt sich natürlich wieder die Frage nach den nächsten strategischen Übernahmen. Gute und nicht zu hoch bewertete Unternehmen gibt es sicherlich gerade in den Schwellenländern, oder?
Aktives Portfolio-Management ist Teil unserer Strategie. Dazu gehören auch ergänzende Akquisitionen, wobei wir uns auf auf kleine und mittlere Zukäufe fokussieren. Solche Zukäufe müssen attraktive Margen und Wachstumspotential bieten, was vor allem in den Bereichen Care-Chemicals oder auch in Oil and Mining Services zu erwarten ist. Regional gesehen haben Sie Recht: Solche Ziele finden Sie in Wachstumsmärkten, das heisst in Nordamerika oder in den aufstrebenden Märkten in Asien. Die Bewertungen sind jedoch weltweit sehr hoch und eines ist klar: Von Abenteuern halten wir uns fern.
Naturgemäss arbeiten in der Chemiebranche recht wenige Frauen. Tut Clariant etwas im Diversity Management, um die Quote zu erhöhen?
Mit der Natur hat das sehr wenig zu tun. Wobei es faktisch richtig ist, dass die Chemiebranche historisch gesehen im Vergleich zu anderen Branchen weniger Frauen in ihren Reihen hatte. Als globales Unternehmen ist es unser Ziel, eine durch Diversität geprägte Belegschaft zu haben, wobei sich das nicht auf das Geschlecht beschränkt. Insgesamt sind 32 Prozent unserer Mitarbeitenden weiblich, sie kommen aus 90 verschiedenen Nationalitäten und 44 Prozent unserer Mitarbeiter waren in den Schwellenländern tätig. In unserem Verwaltungsrat sind drei von zehn Positionen mit Frauen besetzt, und seit April vergangenen Jahres haben wir mit Britta Fuenfstueck auch eine Frau im Vorstand.
Der Gesprächspartner:
Hariolf Kottmann stammt aus Göppingen und begann 1974 Chemie und Biochemie in Stuttgart zu studieren, wo er 1984 seinen Doktortitel erwarb. 1985 startete er seine Berufskarriere bei den Farbwerken Hoechst in Frankfurt, wo er von R&D, Production and Technology bis Controlling die unterschiedlichsten Positionen innehatte. 1996 wurde er zum Head of Business Line Inorganic Chemical befördert und von 1998 bis 2001 war er in den USA Executive Vice President von Celanese AG, einer Hoechst-Tochter. Ab April 2001 arbeitete er als Exekutivmitglied bei SGL Carbon, bevor er 2008 zum CEO von Clariant berufen wurde.
Das Unternehmen:
Clariant ist ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialitätenchemie. Der Konzern ist auf fünf Kontinenten mit 140 Konzerngesellschaften vertreten. Der Hauptsitz ist Muttenz bei Basel, Schweiz. Am 31. Dezember 2016 beschäftigte das Unternehmen insgesamt 17 442 Mitarbeitende. Im Geschäftsjahr 2016 erzielte Clariant mit seinen fortgeführten Aktivitäten einen Umsatz von 5,85 Mrd. CHF und ein bereinigtes EBITDA von 887 Millionen. Das Unternehmen berichtet in vier Geschäftsbereichen: Care Chemicals, Catalysis & Energy, Natural Resources sowie Plastics & Coatings.